Zwei Auszüge aus dem Werbener Schöppenbuch.
Von E. Wollessen, Zeitz.
Nachstehend folgen zwei Auszüge aus dem Werbener „Schöppenbuch", dem rathäuslichen Gerichtsprotokoll, aus der Zeit von 1485 bis 1523, welches ich auch bei meiner „Werbener Chronik" (s. Abschnitt „Die Schöppen" S. 76) benutzte. Der erste Auszug ist eine testamentarische Bestimmung des Gotteshausmannes Merten Giesenslage und seiner Frau Ilse von 1506, der zweite, ein Brief des Choriner Abtes Petrus an „Bürgermeister und Ratmänner, Richter und Schöppen zu Werben" von 1523.
Die größte Bedeutung haben diese Auszüge für die jetzt wieder erwachte Familiengeschichte. Wenn ich auf Seite 59 der Werbener Chronik zu den Namen angesehener, mittelalterlicher Familien noch hie und da Ergänzungen hinzufügen konnte, so verdanke ich das meinen Schöppenbuch-Auszügen. Ferner lernen wir schon hier die Namen von Straßen der Stadt Werben kennen, nämlich die platea piscatorum (1486), „Bei dem Stauen" (1513), die Judenstraße, „Vor dem Seehäuser Tor". Den Namen „Fischerstraße" trägt noch heute die nach dem Elbdeich führende Straße. Der Straße „Bei dem Stauen", d. h. bei der städtischen Badstube, hat man den Namen „Fabian-", der Judenstraße den Namen „Seehäuser Straße" gegeben; jener Name dürfte von dem Heiligen, dem die Badstube gewidmet war, dieser Name von der nach Seehausen führenden Straße hergeleitet sein. Jedenfalls haben etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, als die Bahn Wittenberge-Stendal eröffnet wurde, die letzten Juden die Stadt verlassen, so daß also der Straßenname „Judenstraße" keinen Sinn mehr hatte. Das Haus des Peter Fauck wird als das „Fürnembste" mit Brauerei darin bezeichnet. Auch für die örtliche Kirchengeschichte wichtige Bemerkungen finden sich in dem Schöppenbuch; es genügt, sie hier kurz aufzuführen: Das Haus zwischen dem „tigellboden und den grawen terminarienn", also das Haus zwischen der Ziegelei und der Franziskaner „Terminarie", ferner „Jakob Schultes Haus" vor dem Seehäuser Tor zwischen H. Jacobi Amelungs Hause anhörend der Commenden S. Georgii und Hans Listemanns Haus, „Unsrer-Lieben-Frauen-Gilde" (1490), Claus Konow, ein Verweser „des Heiligen Geistes" (1497), „die provisores corporis Christi" (1497), der Altar Erasmi (1506), der Gotteshausmann zu Werben Merten Giesenslage (1513), die Elendengilde (1492). Nähere Nachrichten über das hier Angeführte finden sich in der Werbener Chronik. Eintragungen des Jahres 1490 führen uns als Teile des Panzers an den Eisenhut, den „blanken" (eisernen) Kragen und ein Paar „blanke" Handschuhe; auch die Armbrust wird genannt.
Das Testament lautet:
a) Merten Ghisenslage is gewesen vor gerichte jn ghehegeden Dinge in echter rechter Dingstadt, unnd heft ghegeuen unnd vorlaten Titzen syner eeliken hußfrouwen alle syne guder de hie meth ar beßeten hefft unnd besith, liggende gründe, stande eruen, uthgande schulde, kamren, ketell, grapen, bedden laken, alle lynenwerd, koye swyne, Schape, kisten unnd kisten gerede, alle Hußgeräth, weß deß is neynerleye buten bescheyden, de tid eres leuendes syck to brukende, unnd dar van tho therende, Isset sye synen doth aff leueth, nach arer twiger doth schal de helffte deß gudes, weß des is, vallen an Merten Ghisenslagen rechten eruen jn dem bescheyde, dath de erffgenamen scholen gheuen 20 marck Stend. to eyner ewigen missen alle weke ling dar var to holdende to Sunte Erasmus altar in der ere Marien Sunte Annen unnd scollen ock ... to Marien to den Ensedel ... syner armen szelen nha to hulpe unnd ... troste unnd vor 1 gulden sho armen luden. Sodane ... hefft Hanns Beylingk van Tißen syner eeliken Hußfrouwen wegen altze eyn gekaren varmunder vor gericht jn ghehegeden Dinge entfangen. Et pax.
b) Hanns Beylingk alze eyn gekaren vormunder Tilsen Merten ghisenslagen eeliken hußfrouwen jst gheweßen vor gericht jn ghehegheden Dinge jn rechter echter Dingkstadt hefft ghegheuen unnd vorlaten Merten Ghisenslagen szodane guder, alße hee meth Tilßen syner eeliken hußfrouwen beseten hefft unnd besith, liggende grunde, stande eruen, uthgande schulde, kannen ketell grapen bedden laken alle lynenwerd, koye, Swine, Shape, kisten unnd kisten gherede alle hußgerath, weß des is neynerleye buten bescheyden, de tyd synes leuendes syck tho brukende, unnd dar van tho terende, isset he aren doth aff leueth, nach arer twier doth schall de helffte des gudes weß dar auer blifft alße syner frouwen deell vallen unnd kamen to werben in gades ere to dem altare Erasmi to ewigen missen (edder wo unnd war en dath bequeme is missen dar myt tho bostedigen) dar myth to bostetigende meth mede wetende unnd vulborth deß ersamen Rades unnd der varstender Sunte Johanß parkerken to werben szo see en wol to truwet unnd ock eyne reise von dem gude laten ghan to der leuen Marien to den Enszedell, unnd vor 1 gulden scho den armen luden umme gades willen. Sodanß hefft Merten Ghisenslage vor gericht in ghehegeden Dinge entfangen Et pax. Acta Sunt hec anno 15 Sexto am Mandage nha Martini.
Wir haben hier also ein gegenseitiges Testament: Merten Giesenslage und Ehefrau vermachen sich gegenseitig für den Fall des Todes des einen Teils ihren gemeinsamen Besitz. Merten Giesenslage muß ein angesehener, frommer und wohlhabender Werbener Bürger gewesen sein, denn er wird 1513 als Gotteshausmann, 1520 als gerichtlicher Zeuge und später als Schöppe angeführt. Daß er aber auch wohlhabend gewesen sein muß, geht aus der Aufzählung der einzelnen Besitztitel hervor. Danach besaß er mit seiner Ehefrau liegende Gründe, Haus und Hof, „uthgande schulde", Kannen, Kessel, eiserne Töpfe, Pfannen, Betten, Laken, Leinewand, Kühe, Schweine, Schafe, Kisten und Kistengerät, besaß also eine gut ausgestattete Ackerwirtschaft. Die Bestimmungen für beider Eheleute Todesfall weichen ein wenig von einander ab: Der Ehemann bestimmt, daß die Hälfte des dann vorhandenen Gutes unter der Einschränkung an seine rechten Erben falle, daß 20 Mark davon für kirchliche Zwecke verwandt werden, u. zw. sollen davon wöchentliche Messen an dem Erasmuß-Altar der Pfarrkirche zur Ehre der Maria und der heiligen Anna gehalten, ferner zu seinem Seelenheil ein Teil der „Maria zu Einsiedeln" zugewandt und für 1 Gulden Schuhe den Armen gekauft werden; die Ehefrau Jlse, vertreten durch ihren Vormund bestimmt, daß für beider Todesfall die andere Hälfte des Besitzes nur zu kirchlichen und guten Zwecken verwandt werde und zwar gleichfalls zu Messen an dem Erasmusaltar, mit Zustimmung des Rates und der Kirchenvorsteher S. Johannis, ferner zu einer Reise zu der Maria in Einsiedeln und endlich zur Beschaffung von Schuhwerk für die Armen.
In diesem Testament aus dem Jahre 1506 ist doch manches bemerkenswert. Wir lernen den frommen Sinn unserer Vorfahren kennen, in dem sie, wenn auch nicht alles, so doch einen bedeutenden Teil ihres Nachlasses für kirchliche Zwecke zu ihrem Seelenheil bestimmen. Daß sie eine Altarstiftung machten, kann uns in jener Zeit nicht wundernehmen, aber daß sie eine Reise, eine Wallfahrt nach dem fernen schweizerischen Einsiedeln bestimmen, erscheint auffallend. Wir müssen dabei daran denken, welch' ein berühmter Wallfahrtsort damals gerade die Benediktiner-Abtei „Maria zu den Einsiedeln" in der Schweiz war. Der gefürstete Abt daselbst empfing die Lehn von dem Kaiser und war unmittelbar dem Päpstlichen Stuhle unterworfen. Von weit her kamen die frommen Wallfahrer dorthin, um vor dem Standbilde der Maria zu opfern und für ihr und der Ihrigen Seelenheil zu beten. So wollte auch Ilse, Merten Giesenslages in Werben Gattin, sich der Gnade der heiligen Jungfrau auch für die Zeit nach ihrem Tode gewiß machen. Reicher war diese Gnade nicht offenbar als in Einsiedeln; darum sollte einer ihrer überlebenden Erben die Reise dorthin auf Kosten ihres Nachlasses unternehmen, -- eine nicht so leichte Aufgabe bei der weiten Entfernung von Werben. Aber wichtig ist dieses Testament auch deshalb, weil es den Altar Erasmi nennt; es ist die einzige Urkunde über diesen Altar, die bis jetzt bekannt geworden ist. In der Werbener Chronik Seite 84 und folg. sind acht Altäre in der Johanniskirche aufgezählt; ihre Zahl kann nun um eins erhöht werden; zwischen dem Nikolai- und Elenden-Altar kann der Erasmuß-Altar eingeschoben werden. Die Johanniskirche besitzt auch eine Abbildung des Erasmus auf der Rückseite des einen Flügels des Johannisaltars, jenes Altars, der in später Zeit oben auf den Hauptaltar ganz ungehörigerweise gestellt ist. Der heilige Erasmus wird bekanntlich durch die „Winde" gekennzeichnet, mit der ihm nach der Märtyrerlegende die Gedärme ausgeschunden wurden.
Der zweite Auszug gibt einen Brief des Choriner Abtes Petrus wieder, den dieser in einer Erbschaftsangelegenheit im Jahre 1523 nach Werben gesandt. Der Brief und die betreffende Eintragung im Schöppenbuch lauten wörtlich:
„Ernn Jacob Amelungk is erschenen vor gerichte jn gehegeden Dinge, Szo alß syn seliger fruntlihe vader Drewes Amelungk unnd Margareten syner stiffmader, eelichmael genannten Drewes Amelungs gewesen, ock in godt ... worden, alß de jhm leuende wente ahm lesten steruen syck malckander begifftet unnd begudt, beide verstoruen, unnd gennte Ern Jacob Amelungk beider verstoruen parte wegen, mit den uthgeschiten des Closters to Coryn, dar syn fruntliche Broder Ernn Peter Amelungk geistlich begeuen, ock vonn wegen orer vorstoruen suster alß Coppe Latekaten erfschichtinge gedan unnd holden hefft, hefft jrtoge unnd in tuchnisse touorteikende angegeuen Eynen breff Szo ... Petrus Abbt des Closters Coryn.
Unnsse jnnige gebeth to godt almechtigen unnd willige denste vor ahn Ersamen gunstigen frunde. So iw anetwiuel bewust ist unnses godeshuses begauen Broder Petrus Amelungk durch syner moder seliger steruen sampt synen Broder Jacobum to den Erffall alß dy negesten gekamen, Szo wy nu durch Inholt unnses hilligen ordens unnd der geistlichen götlichen rechte syn owerste unnd vorweser synt unns ock woll geboreth sulch erffall tofordern unnd dar eth von her horeth thovorschaffende, Szo wy gemelten unsen Broder unser Regell des ordens gemesich nicht geue, ock uth beuelichen orsaken sulkeyn erue presonlichen to fordern durch dy leuth laten theen unnd reisen, hebben. wy jegenwordigen des klosters verordneten Ern Laurentius Tamme, unnses Closters bruder unnd Secretaren Clawes Bergemann unses klosters dehner ihm krafft dusser unnser schrifft fulmacht unnd anualdt gegeuen, sulche erffguder to fordern unnd nehmen, Iw unnd jedermann dy Interesse hebben to quitiren unnd dat unns olderhogest beweget, gunstige frunde, hebben wy hogen touorsicht to Iw, alß lieffhebbers der rechtuerdicheit unserm broder durch unnse geschickeden to syner rechtlicheit unnd erffall woll vorhelpen werden, unnd setten dat in Juwer wisheitt forderung touorschaffen, unnd so gy iw so guthwillich retligen willen wy sampt unsen Innigen gebede jegen godt almechtig stedes vorschulden. Datum in unnserm kloster Coryn Wittweke Pentecosten anno 1523.
Ahnn Ersamen, wolwisen Hernn Burgermster unnd Rathluden Richter unnd Schepen to Werben."
Der Sachverhalt ist danach der folgende: Drewes Amelung und seine zweite Frau Margarete hatten für ihre Lebenszeit ein gegenseitiges Testament gemacht. Nun waren beide gestorben. Dem Sohne aus der ersten Ehe des Drewes A., dem Herrn Jakob A., fiel die Aufgabe zu, Testamentsvollstrecker zu sein. Eine Tochter, die an Coppe Latekaten verheiratet gewesen, war auch schon gestorben. Ein anderer Sohn, namens Peter A., war Mönch in dem Cisterzienserkloster Chorin (bei Eberswalde). So waren also nur noch außer dem Schwiegersohn Coppe Latekaten die beiden Brüder Jakob und Peter übrig. Letzterer durfte als Mönch „solchen Erbfall nicht fordern", wohl aber sein Kloster. Letzteres sandte dazu nach Werben seinen Sekretär Laurentius Tamme und den Klosterdiener Claus Bergemann. Zu ihrer Beglaubigung gab ihnen der Klosterabt Peter das Schreiben mit, das wir oben im Wortlaut mitgeteilt haben.
Aus der Anrede „Herr" können wir schon entnehmen, daß Jakob Amelung dem geistlichen Stande angehört hat; wenn es 1523 heißt, er wohne in einem vor dem Seehäuser Tor gelegenen, „der Commende S. Georgii angehörenden Hause, so können wir weiter daraus schließen, daß er Priester an der Kapelle des Hospitals S. Georgii, über welches in der Werbener Chronik S. 64 ff. näheres berichtet wird, gewesen ist. Der „ehrhaftige" Jacobus A. wird 1520 als Vormund für Margarete, Hans Badekers ehelige Hausfrau, und in demselben Jahre als einer der gerichtlichen Zeugen bei der Erbschichtung der Witwe des Hans Wilsnack iun. und ihrer Kinder genannt. Ueber den Cisterzienser Mönch Peter A. erfahren wir aus unsrer Quelle nichts weiter; ein Peter A. wird zwar 1486 genannt; in welcher Beziehung er aber zu dem Mönch gestanden, wissen wir nicht. Ein hervorragendes Glied der Werbener Familie Amelung war Claus A., 1497 provisor corporis Christi, also einer der beiden Vorsteher der Fronleichnamsgilde; vielleicht ist er derselbe Claus A., der 1511, 1513 und 1527 als „Roßmüller" angeführt wird. Er hat mit Joachim Krüger, Kommendist in der Werbener Pfarrkirche, und mit dessen Bruder Peter Krüger, Bürgermeister in Werben, den Altar S. Annae in der Werbener Pfarrkirche gestiftet, am 12. Nov. 1512 vom Johanniter-Herrenmeister Georg von Schlaberndorf dazu die Erlaubnis erhalten und mit Hans Belitz, Gert Kone sowie Hans Schutte den wichtigen Vertrag zwischen Peter Kroger und dem Künstler Helmeke Borstel über die Herstellung des Altarschreines im Jahre 1513 mitunterzeichnet (cf. Altmärk. Jahresbericht 28, S. 30 f.). Ein Achim A. war in der Zeit von 1553 bis 1560 Vorsteher des S. Georghospitals. Ein Jakob A. studierte 1571 in Wittenberg.
Daß Jakob A. einen Bruder hatte, der Mönch in Chorin gewesen, erfahren wir erst aus unserem Briefe. Es war das nicht so ganz selten, daß damals Werbener in der Ferne in geistlichen Dienst traten. Unser Schöppenbuch erzählt zum Jahre 1513 von Nicolaus Krele, Domherrn zu Ratzeburg, der bei dem Tode seines Bruders Peter mit seinem andern Bruder Hans, Ratmann zu Havelberg, nach Werben kam, um sich wegen des brüderlichen Nachlasses mit den sechs Kindern und der Witwe Lucie, Tochter des Hans Konow, auseinanderzusetzen. Vor allem ist hier aber Henning Goede, der berühmteste „Werbener", zu nennen, zweimal Rektor der Universität Erfurt, ein „monarcha juris", der letzte katholische Stiftspropst in Wittenberg (cf. Werbener Chronik S. 59 ff.).
Die beiden obigen Auszüge sind für die Werbener Geschichte sowie für die Familiengeschichte nicht unwichtig; vor allem aber lassen sie uns einen Blick in das Denken und Leben der damaligen Zeit tun, der die vorliegende kleine Arbeit und ihre Veröffentlichung rechtfertigt.