Ältere Abendmahlsgeräte in Werben und Umgegend.
Von E. Wollesen, Werben a. Elbe.
Die herrliche St. Johanniskirche in dem altmärkischen Städtchen Werben birgt viele Schätze mittelalterlicher[1] Kunst in ihren Mauern. Vielleicht der bedeutendste Schatz ist der mit vielen eingravierten Rundbildern geschmückte vergoldete Messkelch, der nach dem Urteil Sachverständiger aus dem 13. Jahrhundert stammt. Aber nicht nur die Werbener Kirche, nein, auch die oft äusserlich unscheinbaren Kirchen in der Werbener Umgegend bewahren manches wertvolle Stück früherer kirchlicher Kunst, besonders wiederum manchen schönen Abendmahlskelch. Wohl kommen dem Besucher dieser Kirchen die in ihnen aufgestellten Altarschreine und Epitaphien, die in ihnen angebrachten Glasmalereien und Erzgusswerke zu Gesicht, aber die Abendmahlsgeräte bleiben ihm meistens verborgen; sie führen in den Pfarr- und Sakristeischränken ein verborgenes Dasein, das nur unterbrochen wird, wenn sie etwa zur Feier des heiligen Abendmahles in Gebrauch genommen werden. Und doch sind diese älteren Abendmahlsgeräte in Werben und in seiner Umgegend gewichtige Zeugen der Vergangenheit, wohl wert, einmal daraufhin geprüft zu werden. Bei der Aufgabe, Stoff zu Beiträgen der Geschichte des Kreises Osterburg an Ort und Stelle zu sammeln, haben wir uns mit grosser Freude dieser Prüfung unterzogen. Das Ergebnis dieser Prüfung teilen wir im folgenden mit, um vielleicht dadurch zu weiteren ähnlichen Prüfungen anzuregen. Uns dünkt, dass die älteren Abendmahlsgeräte in Werben und Umgegend gewichtige kunst- und dogmengeschichtliche, zeit- und familiengeschichtliche Urkunden sind.
1. Die wichtigste Stelle unter allen besichtigten Kelchen nimmt der erwähnte Werbener Messkelch, der aus der Mitte oder aus dem Ende des 13. Jahrhunderts stammt, ein. Die Werbener Kirche kann darüber überaus froh sein, dass sie diesen Kelch im Jahre 1876 glücklich diebischen Händen wieder entrissen hat. Der Kelch ist 16 cm hoch und in der regelmässig halbkugelförmigen Schale und im Fusse 15 cm breit. Der grosse runde Fuss ist flach und gestaltet sich in der Mitte in schön geschwungener Linie zu einem kurzen, zylindrischen Schafte, der sich oberhalb des Knaufes als Träger der Schale (Cuppa) noch fortsetzt. Der Knauf hat die Form zweier sich durchschneidender Tönnchen. In dieser Gestalt ist unser Kelch charakteristisch für alle Kelche der romanischen Zeit. Künstlerisch wie die Gestalt ist auch der Schmuck des Kelches. Wir sehen am Fusse vier gravierte Rundbilder, welche „die Verkündigung der Maria", „Moses und der feurige Busch", „Gideon und das wunderbar benetzte Vliess" und das Signaculum „die Kreuzigung des Herrn" darstellen. Der Knauf ist an den vier Seiten mit den Medaillons der Evangelisten in Relief geschmückt. Um die Cuppa herum, mehr am Grunde, erblicken wir wiederum vier gravierte Rundbilder, welche durch flach-erhabene Ornamentstreifen untereinander verbunden sind; sie zeigen uns die folgenden biblischen Szenen: „Melchisedek und Abraham", „Isaaks Opferung", „Moses und die eherne Schlange", sowie „Elias und die Witwe von Sarepta". Diese Darstellungen enthalten manche Züge, welche für die Kunst des 13. Jahrhunderts geradezu charakteristisch sind. Nur einige dieser Züge wollen wir hervorheben: Gideon erscheint in frühgotischer Rüstung mit bewimpelter Lanze, mit Schwert und mit Schild, der den Beschlag in Form des sogenannten Lilienhaspels zeigt; der Gekreuzigte ist dargestellt mit geneigtem Haupte, übergelegtem rechten Fusse, mit wagerechter Haltung der Arme, ohne Dornenkrone, mit vollem, von den Hüften bis zu den Knieen reichendem Schurz; Melchisedek erscheint am Altar mit dem Hostienkelch in der Hand in der Tracht eines christlichen Priesters, angetan mit der altertümlichen Casula, die er mit den Armen emporhebt; unter derselben trägt er die Alba mit übergehängter Stola; die Kopfbedeckung allein erinnert an den alttestamentlichen Priester; Isaak erscheint hier in rührender Weise als ein zarter Knabe, zu schwach freilich, um das Holz zum Brandopfer tragen zu können; die Augen sind ihm verbunden.
Die sämtlichen anderen besichtigten Kelche gehören nicht der romanischen, sondern der gotischen Zeit an. Unter ihnen zeichnen sich die beiden Hindenburger aus den Jahren 1540 und 1541 stammenden Kelche durch ihre edlen Formen ganz besonders aus. Der grössere, 23 cm hohe Kelch trägt im Innern des Fusses die Jahreszahl 1541. Der am Rande durchbrochene Fuss zerlegt sich in die Form der sechsblättrigen Rose und steigt steil zum sechsseitigen Ständer empor. An dem einer plattgedrückten Kugel gleichenden Knauf treten zwischen sechs Löwenköpfen sechs übereck gestellte viereckige Zapfen hervor, auf denen sich die Umschrift herumzieht: „JHS Hindenborch Verbum Dn manet in eternum an. 40", worin die Buchstaben JHS natürlich nichts anderes wie Jesus bedeuten. Man hielt ja im Mittelalter das H aus ΙΗΣΟΥΣ fälschlich für ein H und schrieb demgemäss auch in lateinischen Minuskeln so, schreib aber dann das anscheinend fehlende e, wie auch hier gesehen, extra hin. Das ist ganz typisch. Über dem Knauf wird der Schaft als Träger der einfach gehaltenen, eiförmigen Schale wiederum sichtbar. Der andere nur 15 cm hohe Hindenburger Kelch trägt auf seinem Fuss den in schöner erhabener Arbeit aufgelegten Crucifixus und an den sechs weit hervorstehenden Rotuli des Knaufs die Buchstaben Ihesus. Die Löwenköpfe fehlen hier. Die anderen gotischen Kelche, die sämtlich aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammen, gleichen in der Form im grossen und ganzen diesen beiden Hindenburger Kelchen, weichen aber in Einzelheiten von ihnen ab; so z. B. zeigt der Polkritzer Kelch auf seinem Fusse acht Felder, der Bertkower Kelch auf jedem der acht niellierten Rotuli die Buchstaben IHS, der 28 cm hohe vergoldete Falkenberger Kelch in seinem Knaufe kugelförmige, in seiner Schale kegelförmige Gestalt. Nur ein einziger Kelch, der Räbeler, zeigt auf drei Feldern seines Fusses biblische Darstellungen, nämlich „den gekreuzigten Heiland", „die Opferung Isaaks" und „Moses mit der ehernen Schlange". Er stammt aller Wahrscheinlichkeit nach aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Für die künstlerische Auffassung in seiner Entstehungszeit ist ein Vergleich zwischen den beiden Darstellungen der „Opferung Isaaks" auf diesem Kelch und jenem berühmten Werbener Messkelch nicht uninteressant. Auf dem Räbeler Kelch sehen wir in der Mitte des Bildes Abraham in grosser Gestalt, rechts von ihm den Widder, links von ihm den auf dem Holzstoss knieenden betenden Isaak mit abgewandtem Angesicht. Abraham schwingt über seinem Haupte das Opfermesser in der Rechten, während er die Linke auf das Haupt des geliebten Kindes legt. Über dem Abraham aber an dem durch zwei Sterne angedeuteten Himmel erscheint der Engel des Herrn, der dem Abraham zuruft: „Lege deine Hand nicht an den Knaben".
2. Wenn wir oben sagten, dass die Abendmahlskelche auch gewichtige dogmengeschichtliche Urkunden ihrer Entstehungszeit sind, so dachten wir dabei an diese beiden mit bildlichen Darstellungen geschmückten Kelche in Werben und Räbel, von denen jener uns in die katholisch-theologische, dieser uns in die evangelisch-theologische Anschauung hineinweist. Der Künstler des Werbener Kelches hat mit grosser Weisheit die einzelnen Darstellungen für den Fuss, den Knauf und die Schale desselben gewählt, um uns in drei Stufen das dreifache Geheimnis der Menschwerdung Christi, der Erlösung und des Messopfers zu veranschaulichen. Wir betrachten daraufhin zunächst die vier Darstellungen am Fuss des Kelches. Um das erste Rundbild „Verkündigung der Maria" zieht sich die lateinische Umschrift: „Ave Maria gracia plenna Dominus tecum". Dieses Bild will uns den Beginn der Menschwerdung Christi zur bildlichen Anschauung bringen. Mit dem Glauben der Maria hebt für die Menschheit das Erlösungswerk an. Das zweite Bild „Moses und der feurige Busch" trägt die ergänzte Umschrift: „Quod rubus ut fiamma, tu portasti, virgo mater facta". Wie der Busch durch das Feuer unverletzt geblieben, so auch die Jungfräulichkeit der Maria durch die Empfängnis. Und derselbe, der sich im Busche dem Moses geoffenbart, ist's auch, den Maria unter dem Herzen getragen: „Das Wort", „Gott der Sohn". So weist also dieses Bild auf den göttlichen Ursprung Christi hin. Das dritte Bild „Gideon und das aus gesterntem Himmel wunderbar benetzte Vliess" zeigt uns die Schrift am Rande: „Fusa coeli rare tellus, fusum Gideonis vellus deitatis pluvia". Wie das Vliess durch Himmelstau wunderbar benetzt ward, so hat auch Maria übernatürlich empfangen. So will dieses Bild die jungfräuliche Geburt zur Anschauung bringen. Um das vierte Bild „der gekreuzigte Heiland" lesen wir die bekannten Worte „Jesus Nazarenus rex Judaeorum". Entsprechend dem gegenüber befindlichen Bilde von der Verkündigung der Maria, als dem Anfänge der Erniedrigung, stellt dieses Bild das Ende derselben dar, wie auch die Legende, welche beide Ereignisse auf denselben Jahrestag, den 25. März, verlegt, die gegenseitige Beziehung derselben andeutet. So hat also der Künstler am Fusse des Kelches die vier wesentlichen Punkte der Menschwerdung Christi zur bildlichen Anschauung gebracht und damit zugleich die erste Hälfte des zweiten Artikels im apostolischen Glaubensbekenntnis erschöpft.
Es mangeln noch die übrigen wesentlichen Stücke des Glaubensartikels, diesem Mangel hat der Künstler vortrefflich dadurch abgeholfen, dass er auf die gedrängteste Weise am Griffe des Kelches das ganze Geheimnis der Erlösung durch die Sinnbilder der vier Evangelisten zu veranschaulichen wusste. Der geflügelte Mensch (Matthäus) ist der Menschgewordene, der Stier (Markus) wird geopfert, der Löwe (Lukas) überwindet, zerstört den Tod und der Adler (Johannes) steigt auf: Weihnachten, Karfreitag, Ostern und Himmelfahrt.
Nachdem wir an dem Fusse des Kelches das Geheimnis der Menschwerdung und an seinem Griffe das der Erlösung erkannt haben, sehen wir an seiner Schale das Mysterium des Opfers dargestellt. Alle vier Darstellungen reden von Opfern, die Gott angenehm sind. Abram, so stellt es uns das erste Bild dar, kommt aus dem Feldzuge gegen die neun Könige siegreich zurück; er bringt den Zehnten von der gemachten Beute dem Könige Melchisedek von Salem, dem Priester Gottes des Allerhöchsten, dar, welcher ihm, seinerseits segnend, mit Brot und Wein entgegentritt. Die Umschrift lautet: „Melchisedek rite dat Abram duo munera vitae". Nach der theologischen Anschauung bildet Melchisedek Christum, den „König der Gerechtigkeit" und „den Priester in Ewigkeit" typisch vor. Auf dem zweiten Bilde lesen wir die Umschrift: „Abraham immolat filium suum Ysaac". Abraham ist hier ein Vorbild Gottes, der auch seines eigenen Sohnes und seines einigen Sohnes nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben. Wie Mechisedek, so deutet also auch Abraham und sein Opfer auf Christum hin. Die dritte Gruppe mit der Umschrift: „Moses cum hereo serpente" bezeichnet Christus selbst als Vorbild seines Todes. Das vierte Bild endlich „Pauper muliercula Helias profe" weist in den beiden von der Witwe aufgelesenen und in Kreuzform gehaltenen Hölzern auf das „heilige Kreuz" hin; es bedeutet aber noch mehr. Wenn das Öl und Mehl, das sich wunderbar vermehrt, die von Gott mit gnadenreichem Segen gekrönte, stets heitere und unerschöpfliche Liebe und Barmherzigkeit bedeuten: auf wen anders könnte das mit Recht bezogen werden, als auf die der Kranken- und Pilgerpflege, der Predigt und dem Gottesdienste geweihten, dienenden, geistlichen und ritterlichen Glieder des Johanniterordens? Waren die sieben anderen Darstellungen wohlgeeignet für den Abendmahlskelch einer jeden beliebigen Kirche, so bezeichnet diese Darstellung der sareptanischen Frau unseren Kelch entschieden als einen Opferkelch einer Johanniterkirche.
Auch der Räbeler Kelch bringt das Opfer Christi zur Darstellung in den drei Bildern „Isaaks Opferung", „Moses und die eherne Schlange" und der „gekreuzigte Heiland". Während das letztere Bild die lateinische, auf deutsch lautende Inschrift trägt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun", zieht sich um die anderen fünf Felder, mehr am Rande, die deutsche Inschrift herum: „Die Here sprach zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie auf zum Zeichen. Wer gebissen ist, der soll leben" (Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie auf zum Zeichen auf; wer gebissen ist und siehet an, der soll leben 4. Mosis 21, v. 8).
So weisen auch diese alttestamentlichen Darstellungen auf das im dritten Bilde zur Anschauung gebrachte Opfer Christi hin, finden in ihm ihren bedingenden Mittelpunkt und entsprechen zugleich der besonderen Bestimmung des Kelches für den Gebrauch zum heiligen Abendmahl.
3. Die Kelche sind auch zeitgeschichtliche Urkunden. Unter den Kelchen fallen einige in Hinsicht des Materials, aus dem sie gefertigt sind, auf. Da gibt es Kelche, die aus verschiedenem Metall bestehen, der Fuss vergoldet, die Cuppa versilbert; wir denken dabei an die Kelche in Polkritz und in Iden; und da gibt es wieder andere Kelche, die aus Zinn hergestellt sind; der Fuss ist rund, der Schaft niedrig, die Schale kegelförmig und verhältnismässig gross; solche Kelche finden wir in Giesenslage aus dem Jahre 1629, in Ferchlipp aus dem Jahre 1639, in Bertkow und Plätz aus unbekannter Zeit. Auffallend unter dieser Gruppe von Kelchen war besonders der eben genannte Idener Kelch insofern, als er um den Schaft herum in Minuskeln noch die Worte Ave Maria erkennen liess, an seiner Cuppa aber die Inschrift trug: „Das Blut Jesu macht uns rein von aller Sünde"; „Christoph von Kannenberg, Obrister". Wir möchten behaupten, dass Fuss und Schaft dieses Kelches noch aus mittelalterlicher Zeit stammen, während die Schale etwa um 1650 ergänzt ist. Ähnlich wird es sich auch mit dem genannten Polkritzer Kelch verhalten, dessen Fuss die Jahreszahl 1584 trägt, dessen Schale jedenfalls aus späterer Zeit stammt.
Alle diese Kelche reden eine ergreifende Sprache von der Not der Zeit, in der sie entstanden oder ergänzt sind, von der Not des dreissigjährigen Krieges. Die Altmark hatte in den Jahren 1627 bis 1630 die Tillyschen und Pappenheimschen Scharen im Quartier. Welche entsetzlichen Leiden brachten damals solche Einquartierungen mit sich! Den Soldaten folgte ein Schwarm von mindestens ebenso vielen Weibern, Dirnen, Buben, Trossknechten und sonstigem Gesindel. Die Offiziere begingen allerlei Exzesse, hielten zahlreiche Bediente und Pferde, verlangten von den Einwohnern einen angeblichen Rückstand, indem sie die Verpflegungsgelder von einem viel zu frühen Termin an berechneten. Nicht einmal vor dem, was doch sonst dem Menschen für heilig und unantastbar gegolten, machte man Halt: Auch die Gotteshäuser wurden beraubt, geplündert und wohl gar zerstört. Da mögen viele der alten, wertvollen, kostbaren Abendmahlsgeräte gestohlen, verkauft, zerschlagen und eingeschmolzen sein. Um aber dennoch den Gemeinden die Feier des heiligsten Mahles, deren sie gerade in diesen Zeiten der entsetzlichsten Nöte am meisten bedurften, zu ermöglichen, schenkten fromme Gemeindeglieder Gott zu Ehren jene einfachen zinnernen Kelche. Andere Abendmahlsgeräte sind glücklich vor den Feinden verborgen worden; aber bei dem Schrecken des Überfalls und bei der Eile der Flucht sind sie beschädigt, bis denn fromme und wohlhabende Kirchenpatrone nach der Zeit der Not das Fehlende oder Beschädigte wieder ergänzten und herstellten. Man muss sich freuen und wundern, dass doch verhältnismässig viele Kelche glücklich durch die Not dieses furchtbaren Krieges hindurchgerettet sind.
4. Endlich geben uns die Kelche manche willkommene familiengeschichtliche Kunde. Auf vielen Kelchen finden wir die Namen der bürgerlichen und ritterlichen Donatoren. Und wenn schon die ersteren bei dem Lokalhistoriker grosses Interesse erwecken, so tun es doch die letzteren in noch viel höherem Grade nicht nur bei dem Lokalhistoriker, sondern auch bei dem Heraldiker und Genealogen. Gewiss werden die Kirchenbücher näheren Aufschluss über die Person des Joachim Runge geben, welcher dem lieben Gott zu Ehren im Jahre 1639 der Kirche zu „Verglippe" den zinnernen Kelch[2] geschenkt hat. Den kleinen, dünn versilberten, innen vergoldeten Krankenkommunionkelch der Kirche zu Falkenberg schenkte laut Inschrift Emerentze Schaffers, Joh. Medebecken ehel. Hausfraw. Dazu erfahren wir, dass Johann Medenbeck in der Zeit des dreissigjährigen Krieges Verwalter auf dem Falkenberger Rittergut war, welches damals der Sibylle, der Herzogin zu Braunschweig-Lüneburg gehörte. Auf dem Fuss des schon oben erwähnten sehr hohen vergoldeten Falkenberger Hauptkelches finden wir zwei Wappen, von denen das eine im Schilde eine Taube mit dem Ölzweiglein im Schnabel, darunter drei Sterne, das gegenüberliegende andere Wappen im Schilde ein Pentagramm zeigt. Der Kelch stammt aus dem Ende des 17. Jahrhunderts. Die Wappen sind jedenfalls die Wappen des damaligen Falkenberger Pfarrers Georgius Werner und dessen Frau. Die Stifter des Polkritzer Kelches sind Thike Pletz und Christoffel Koppe. Um die Kirche in Plätz machten sich Georg Beuchel und Elisabeth Steinbeckin dadurch sehr verdient, dass sie die Kirche mit manchem malerischen, allerdings nach unserem Geschmack wenig schönen Schmuck versehen liessen und im Jahre 1680 den silbernen Abendmahlskelch stifteten. Über Georg Beuchel erfahren wir, dass er Amtmann in Burgstall und Besitzer des früher von Zehmenschen Rittergutes in Plaetz war. In dem Buche „Über die Altmark" von Steinhart heisst es auf S. 41 des 1. Bandes: „A. 1679 hat der Amtmann Peuchel in Burgstall das Ritterpferd prästiert, woraus sein Besitzstand hervorgeht". Diese Notiz ist vom Verfasser dem Verzeichnis der altmärkischen Ritterschaft und ihres Lehnsaufgebots vom Jahre 1610 dort hinzugefügt, wo gesagt ist, dass die von Zehmen in Pleetz mit einem Ritterpferde auf der Musterung 1610 in Gardelegen erschienen wären. Es wird ja freilich Sache der Lokalhistoriker sein müssen, aus Kirchenbüchern und anderen örtlichen Akten mehr Licht über diese Donatoren zu verbreiten.
Wir wenden uns nun den Kelchen zu, welche uns Beiträge zur Geschichte der damaligen hier angesessenen altmärkischen Ritterfamilien liefern; es sind die Kelche zu Berge, Käcklitz und zu Bertkow. „Die St. Nikolaikirche auf dem Berge" bei Werben besitzt zwei Kelche, deren jeder zwei Wappen trägt. Das erste Wappen auf dem Fusse des grösseren vergoldeten Kelches zeigt in seinem Schilde einen schräg links gelegten und auf dem Helm einen senkrecht stehenden Holzschlägel. Darüber stehen die Buchstaben H. C. V. S. O. L., darunter steht die Jahreszahl 1632. Das Wappen ist den von Schwarzenholz und von Osterholz gemeinsam. Da aber letztere Familie um 1632 bereits ausgestorben war, so kann das Wappen nur einen Angehörigen der ersteren Familie bezeichnen. Die Hauptgüter der Schwarzenholz waren um jene Zeit ausser dem Stammsitz Schwarzholz und dem Rittersitz in Welle bei Stendal die zur Parochie Berge gehörigen Güter in Germerslage und Berge selbst. Eine Hauptperson des Geschlechts war Heinrich Caspar von Schwarzenholz, erzbischöflich-magdeburgischer Obristleutnant, Hofmarschall, Mundschenk und Oberküchenmeister. Wir gehen also wohl nicht irre, wenn wir die obigen Buchstaben dahin erklären, dass sie auf Heinrich Caspar von Schwarzenholz Obrist-Leutenant hinweisen. In dem daneben liegenden Wappenschilde und auf dem Helme sehen wir je drei altertümlich geformte, gestürzte, unten etwas spitz zusammengesetzte Schwerter, darüber die Buchstaben M. V. E. Es ist das Wappen der Maria von Eichstedt, der Gemahlin jenes Schwarzenholz. Die Gattin schenkte im Jahre 1632 den Kelch an die Kirche, um das Andenken ihres 1630 bereits verstorbenen Gatten zu ehren.
Auch der kleinere silberne Kelch derselben Kirche trägt zwei Wappen. Das erstere Wappen gibt sich mit seinem 2:1 gestellten zierlichen Kannen im Schilde, mit seiner einen Kanne als Helmschmuck, mit seinen darüber stehenden Buchstaben C. V. K. als das des Christoph von Kannenberg zu erkennen; das zweite, das im Schilde zwei Garben mit darüber springendem Wolf und als Helmschmuck einen fächerartigen Busch von hohen, schmalen Federn und als Überschrift die Buchstaben M. V. B. zeigt, weist auf Maria von Bartensleben, die Gemahlin Christophs von Kannenberg hin. Wir wissen, dass beide am 13. Januar 1652 das Ehebündnis geschlossen. Über Christoph von Kannenberg führen wir die folgenden Personalien kurz an: Zunächst in schwedischen Diensten, trat er 1651 auf den Wunsch des Kurfürsten, seines Landesherrn, in brandenburgische Dienste über. Eine Gelegenheit, sich auszuzeichnen, bot sich ihm im polnischen 1654 beginnenden Kriege und namentlich in der Schlacht bei Warschau 1656 dar, in welcher er durch eine Stückkugel eine unheilbare Wunde davontrug. Kurz vorher hatte ihn der Kurfürst zum Gouverneur der Stadt und Festung Minden ernannt, die auch fortan die Garnison seines Kürassierregiments blieb. Er wurde im Laufe der folgenden Jahre Generalleutnant, Geh. Kriegsrat und Erbmarschall des Fürstentums Minden. Als er am 10. Februar 1673 in einem Alter von 58 Jahren 21 Tagen gestorben war, erwies der Kurfürst selbst dem bewährten Helden bei dem grossartigen Leichenbegängnis die letzte Ehre.
Der Abendmahlskelch der Käcklitzer Kirche zeigt wiederum ein interessantes Wappen mit der Jahreszahl 1688 und den Buchstaben A. P. Das Wappen lässt einen quergeteilten Schild erkennen, in dessen Feldungen je eine Lilie steht; es ist das Wappen des auf Rosenhof und Käcklitz angesessenen Abraham von Pieverling. Die seit Jahrhunderten dort begüterte Familie, die ihren Namen von dem bei Stendal belegenen Peulingen entlehnte, starb in dem Jahre 1806 hier aus, blüht aber in Bayern noch heute. Unten an dem Fusse des Kelches lesen wir die auf die jetzigen Besitzer von Büttnershof (Alt-Käcklitz) weisende Inschrift: „Erneuert 1888 durch Rudolf und Agnes von Lucke".
Es bleibt nun nur noch übrig, dem herrlichen Abendmahlskelch der Bertkower Kirche eine kurze Betrachtung zu widmen. Der aus dem Sechspass aufsteigende Kelchfuss enthält sechs Felder. Das erste Feld zeigt in dem Wappen der von Bertkow einen mit drei Rosen belegten Schrägrechtsbalken, auf dem Helm zwischen zwei Büffelhörnern eine Rose auf astigem Stiel, darunter den Namen Ottho von Bertkow. In dem Wappenschilde des zweiten Feldes lesen wir unter einer traubentragenden Weinrebe die eingravierten Buchstaben M. V. G. und unter dem ganzen Wappen den Namen Margarethe Gorren (von Gohr). In dem dritten Felde befindet sich der aufgelegte silberne Crucifixus als signaculum, daneben die Jahreszahl 1591, darunter der Name Hans von Bertkow. In den drei übrigen Feldern folgen die Namen der anderen damals lebenden Glieder des Geschlechts Dannegell (Daniel), Heisse und Christoffer, Otto und Heinrich, Jacop und Adam. Das 1225 zuerst urkundlich auftretende Geschlecht erlosch im Mannesstamme durch den am 31. Dezember 1798 zu Suderwalde bei Bremen erfolgten Tod des Leutnants a. D. Friedrich Wilhelm Otto Gottfried von Bertkow, des einzigen Sohnes der verwitweten Majorin von Bertkow, geborenen von Katte. Der Hauptbesitz lag in Bertkow selbst, dann auch in Schwarzholz.
Die zu den angeführten Kelchen gehörigen Patenen sind meist einfach gehalten mit dem Kreuz auf dem Rande, dasselbe hie und da mit der darüber gelegten segnenden Hand Gottes. Nur die zum Werbener Messkelch gehörende Patene zeigt den Heiland in halber Figur, das Haupt nach rechts geneigt, die Arme über die Brust gekreuzt, mit der Rundschrift: „Editur hie Jhesus et permanet integer esus" (Hier wird Jesus genossen und bleibt, obwohl genossen, doch unversehrt).
Es ist nur eine kleine Anzahl von Kelchen gewesen, die in den Kreis der Betrachtung hineingezogen sind; aber vielleicht ist die Zahl doch gross genug gewesen, um einmal zu zeigen, wie herrliche Kelche noch hin und her auf unseren Dörfern erhalten geblieben sind, und wie diese Kelche immerhin gewichtige Urkunden der Kunst- und Dogmengeschichte, der Zeit- und Familiengeschichte, sind. Und wenn diese Ausführungen die Aufmerksamkeit auf die älteren Abendmahlskelche hingelenkt, wenn sie hie und da vielleicht willkommenen Aufschluss gegeben, wenn sie die Liebe zu der bedeutenden Geschichte unserer altmärkischen Heimat aufs neue angeregt haben, so haben sie überreichlich ihren Zweck erfüllt.
Die folgenden Kelche sind in der obigen Abhandlung berücksichtigt worden: Der Messkelch in Werben (13. Jahrh.), die beiden Kelche zu Hindenburg (1541), der Kelch zu Räbel (16. Jahrh.), der Kelch zu Polkritz (1584), der Kelch zu Bertkow (1591), die beiden Kelche zu Berge (1632, 1652), der zinnerne Kelch zu Giesenslage (1629), der zinnerne Kelch zu Ferchlipp (1639), der Kelch zu Iden (1650), die zinnernen Kelche zu Bertkow und Goldbeck (17. Jahrh.), der Kelch zu Plätz (1680), der Kelch zu Käcklitz (1688), die beiden Kelche in Falkenberg (17. Jahrh.).
E. Wollesen, Chronik der altmärkischen Stadt Werben und ihrer ehemaligen Johanniterkomturei. 1898, S. 248 ff. (S. namentlich die Abbildungen des Kelches).