Allerlei Gerichtsurteile aus früherer Zeit.

Von E. Wollesen, D. theol. h. c., Zeitz.

Die folgenden gerichtlichen Urteile fand ich in einem besonderen Aktenstück des Staatsarchivs zu Magdeburg. Da sie Bürger der mir lieben Stadt Werben-Elbe angehen, weckten sie mein besonderes Interesse. In dem Glauben, daß sie auch anderen Liebhabern heimatlicher Geschichte manches zu sagen haben, halte ich ihre Veröffentlichung an diesem Orte für dienlich.
Es handelt sich um 7 Entscheidungen; von diesen sind allein 5 von den Schöppen beider Städte Brandenburg, der alten und der neuen Stadt, gefällt, eine von der Juristenfakultät Frankfurt a. O. und eine vom Landeshauptmann der Altmark, Thomas von dem Knesebeck. Diese Urteile fallen in die Zeit von 1591 bis 1646. Es war damals sehr üblich, bei den Schöppen größerer Städte Rat zu suchen, in wichtigeren Dingen aber die Ansicht einer juristischen Fakultät zu erbitten. Warum gerade die Werbener die Urteile der Brandenburger Schöppen erkundet haben, entzieht sich näherer Kenntnis; jedenfalls läßt es darauf schließen, daß das Brandenburger Schöppenkollegium in dem Rufe besonderer juristischer Weisheit und Gerechtigkeit gestanden. Möglicherweise spielten in diese Wahl der Brandenburger Schöppen auch irgendwelche besonderen persönlichen Verhältnisse hinein. Doch gehen wir nun zu den einzelnen Urteilen über.

1. Der Inhalt der 1. Streitsache wird bezeichnet: „Bürgermeister Kaulitz contra Kempe de prioritate. Sonnabend post Pentecostes 1591". Es handelt sich um Folgendes: Ein Werbener Bürger hat seinem Bruder sein Haus und Zubehör verkauft, aber nicht mehr als 100 Gulden auf solche Kaufsumme empfangen. Inzwischen ist der Käufer des Hauses dem Mitbürgermeister der Stadt in die 210 Thaler auch schuldig geworden. Der Bürgermeister will sein Geld haben, der Verkäufer aber auch den Rest der Kaufsumme. Wer soll nun von beiden den Vorzug haben? Der Bürgermeister, so entscheiden die Brandenburger Schöppen, kann darin dem Verkäufer nicht vorgezogen werden; es wäre denn, daß er älteres Unterpfand und dingliches Recht daran erlanget, als der Verkäufer hat. --- Aus der Ueberschrift entnehmen wir, daß es sich um den Verkäufer namens Kempe und um den Bürgermeister Kaulitz handelt; beide sind uns aus der „Chronik der Stadt Werben und ihrer ehemaligen Johanniterkomturei", 1898, bekannt.[1]) Gegen die Entscheidung der Brandenburger werden die Parteien nichts haben einwenden können.

2. Das nächste Urteil trägt das Datum 20. Dezember 1595. Gregor Wantschneider hat seinem Nachbar Christoph Schroeder einen Garten verpfändet. Der Garten ist durch übernatürliche Wasserflut weggerissen und dadurch zum Wehle oder Kolke geworden. Dennoch ist Gregor Wantschneider verpflichtet, dem Christoph Schroeder den schuldigen Pfandschilling zu erstatten.

3. Das weitere Urteil stammt von Montag nach Viti 1604.
Kersten Kaulitz, weiland Werbener Bürgermeister, hat bei seinem Leben dem Herrn Doctor Corfinius seine einzige Tochter ehelich versprochen, ist aber geraume Zeit vor der Hochzeit gestorben. Dr. Corfinius bittet nun den Rat der Stadt Werben, ihm das Bürgerrecht zu verleihen. Die Brandenburger Schöppen entscheiden, der Rat solle ihm das Bürgerrecht verleihen und zwar unter der Bedingung, daß sich Dr. Corfinius, der sich die zwei Jahre in Werben aufgehalten, erklären würde, es sei durch solche seine Suchung des Bürgerrechts „des Abschosses halben" der Stadt nichts gefährliches zustehen, sondern er wolle nach Erlangung des Bürgerrechts nicht an anderen Orten sich niederlassen. --- Wir kennen diesen Dr. Corfinius schon als ehemaligen Lehrer des pommerschen Ritters Bernhard von Holla[2]). Dieser Ritter erkrankte auf der Rückreise von Braunschweig in Gardelegen sehr schwer an einem hitzigen Fieber und wurde mit Not und Mühe nach Werben, wo sein ehemaliger Lehrer Dr. Corfinius wohnte, gebracht. Hier starb er. Die Angehörigen erwirkten die Erlaubnis, ihn in der Werbener Johanniskirche beizusetzen und ihm dort einen Grabstein zu errichten.

4. Es folgt nun ein Urteil der Juristenfakultät der Universität Frankfurt a. O. vom 22. Juli 1601: Der Ehrbaren und Tugendsamen Anna Schors, Bekauften ins Hospital S. Gertrud zu Werben. Ihr Brudersohn ist in Norwegen gestorben und hat seine Tante Anna Schors und seiner Mutter Halbschwestern zu Erben eingesetzt. Ist das gesetzlich richtig? Die Fakultät entscheidet: Wenn in Norwegen die gemeinen üblichen Kaiserrechte gelten, so hat der Verstorbene Recht, wenn er sein Erbe zu gleichen Teilen an die drei vererbt. Nach dem Sächsischen Recht aber ist die Tante alleinige Erbin.

5. Hier treten wieder die Schöppen beider Städte Brandenburg als Richter auf und zwar am 18. Januar 1623. Streitsache: Injurien zwischen Lorens Gleim und Joachim Pankow. Die Schöppen raten: „Der beklagte Pankow soll nochmals vergenommen werden, ob er der Injurien geständig, wie er dazu komme, woher er es wisse, ob er solches auszuführen sich getraue und wie? Im Fall er sich weiter dazu bekennen würde, soll ihm eine peremptorische Frist gestellt werden, solchen Beweis zu vollführen". --- Lorenz Gleim kennen wir als einen der altmärkischen Vorfahren des Dichters der preußischen Grenadierlieder (Vgl. Beiträge 1927, Seite 156 ff.).

6. Es handelt sich auch hier um Beleidigungen. Der Werbener Rat hat angeblich „ehrenverletzliche Schmähkarten" an Michael Cernikow gesandt. Der Beleidigte verklagt den Rat bei dem Landeshauptmann Thomas von dem Knesebeck; er bittet den Landeshauptmann, den Rat vor das „instehende" Quartalgericht zu citiren. Der Landeshauptmann antwortet, daß er am 4. Mai 1629 sowieso nach Werben kommen müsse und dann die Parteien hören wolle. Michael Cernicows Brief vom Montag nach Reminiscere 1629 berichtet uns über die Ereignisse, die diesem Bescheid des Landeshauptmanns vorangegangen waren. Er schreibt: Er danke dem Landeshauptmann, daß er ihm auf heute contra Senatum Werbensem und B. Joachim Fritze wegen ihrer ehrenverletzlichen Schmähkarten Audienz aufs Quartal erteilt. „Bin auch gleich mit Pferd und Wagen fertig gewesen, mich zu sistiren. Allein gestern Sonntags in der Kirche hat der Rat mich durch ihren Mitkollegen Petrum Bulfen berichten lassen, daß sie vor zwei Tagen an Euer Gnaden einen Boten gesandt und den Tag abgeschrieben, aus Gründen, ihr B. Fritze wäre zum General Tilly verreiset". Michael C. will und muß sich für dieses Mal darin finden. Aber er fährt fort: „Es erfordert aber meiner Ehren Nothdurst, daß ich mit dem Gegenteil rechtliche Erörterung habe". Er bittet den Landeshauptmann, einen Tag nach Stendal und „womöglich, in der Osterwoche, da der Landeshauptmann auf der Rückreise von Berlin nach gehaltener Communion zu Stendal zu übernachten pflege, anzusetzen und das Gegenteil dazu, auch daß sie die von H. D. Kratz versiegelten Acta gewiß mit zur Stelle bringen sollen, bei Erstattung der Unkosten, peremptorie zu citiren". Der Landeshauptmann hat dann hierauf den obigen Bescheid vom 4. Mai erteilt. --- Die Reise des Werbener Bürgermeisters Fritze zum General Tilly entspricht, wie wir aus der Chronik wissen, den Tatsachen[3]). Die Not des Krieges war auch in Werben sehr groß. Man kann sich des Erstaunens nicht erwehren, daß man noch Zeit hatte, sich mit solchen persönlichen Streitsachen abzugeben.

7. Zuletzt treten unter dem 25. Juli 1646 die Schöppen der beiden Städte Brandenburg noch einmal auf: Herrn Andreae Springinsguths eheliche Hausfrau hat eine Donation gemacht. Diese Donation ist für beständig zu halten, sofern die Donatrix solches von den ihr zu ihrem halben Anteil aller Güter vermacht, den an Joachim Andreas und Jacob, Gebrüder Lüdicken, angeführten Exceptionen.

Fußnoten

[1]^*^ Vergl. „Der deutsche Herold", 1895, Nr. 10, Seite 128.
[2]^*^ Vergl. „Der deutsche Herold", 1926, 1---2---3.
[3]^*^ E. Wollesen, Chronik der altmärkischen Stadt Werben und ihrer ehemaligen Johanniter-Komturei, Werben a. d. Elbe, 1898, S. 140: Im Jahre 1628 war das Elend in der Stadt Werben schon so groß, daß der Kurfürst Georg Wilhelm ein Schreiben unter dem 7. 2. 1628 an den in Buxtehude im Hauptquartier befindlichen General Tilly richtete, in dem er um Schonung für die Stadt bat. Mit diesem Schreiben reiste der B. Joachim Fritze nach Buxtehude und erhielt zu seiner Rückkehr unter dem 3. März 1628 einen von Tilly eigenhändig unterschriebenen Geleitbrief sowie ein Schreiben an den in Werben kommandierenden Offizier mit der Aufforderung, B. Joachim Fritzes Haus, Hof und Zubehör mit Einquartierung und anderer übermäßiger Auflage zu verschonen.