Aus dem Werbener Kirchenarchiv
Mitgeteilt und erlÀutert von E. Wollesen -Werben a. E.
In dem Werbener Kirchenarchiv befindet sich ein SchriftstĂŒck aus dem Jahre 1607, das unser Interesse beanspruchen kann. Es enthĂ€lt eine Abmachung zwischen dem Werbener und dem Wendemarker Pfarrer wegen der ĂberalĂ€ndischen oder Parisischen. Wir wollen es im folgenden wörtlich, nur mit verĂ€nderter Rechtschreibung, wiedergeben und daran einige erlĂ€uternde Bemerkungen knĂŒpfen.
Als unter dem Pfarrer zu Werben H. Johann Barth und H. Joachim Jordan, Pfarrer zu Wendemark, wegen der Ăberalandischen oder Parisischen, so von altersher in das Pfarramt Werben gehörig, Streit vorgefallen, deswegen sie auch vor dem H. Superintendent zu Stendal M. Sabello Chemnitio gewesen, aber nicht haben entschieden werden können, endlich auch vor das Konsistorium geraten und zu beiden Teilen einen Vorbescheid bekommen, haben sie endlich zur VerhĂŒtung grosser Unkost und Ungelegenheit sich freundlich, jedoch absque praeiudicio successorum, mit einander verglichen folgender Gestalt und also:
- Die Ăberalandischen oder Parisischen bleiben wie vor Alters in das Pfarramt Werben inkorporiert und geben dem Pfarrer daselbst den Vierzeitenpfennig, dem KĂŒster auch sein KĂŒsterlohn, Eier. Brot und WĂŒrste.
- Weil sie aber aus Zulass des Pfarrers zu Werben von dem wendemarkischen eine zeither kuriert, dem sie auch besser gelegen, gibt solches auch der jetzige Pfarrherr zu Werben dem Pfarrer zu Wendemark nach.
- BehĂ€lt sich aber fĂŒr, wenn jemand von den Ăberalandischen oder Parisischen von ihm, dem Pfarrer zu Werben, AmtsgeschĂ€fte begehren wĂŒrde, es wĂ€re mit Taufen, Kommunizieren, Leichenpredigten, Aufbieten, Kopulieren etc., dass er dieselbe ohne des Pfarrers zu Wendemark Einreden oder Verhinderung verrichten wolle und die GebĂŒhr dafĂŒr empfangen.
- Werden aber oben gemeldete AmtsgeschĂ€fte von den Ăberalandischen bei dem Pfarrer zu Wendemark, wie sie nun gewohnt, begehrt, verrichtet sie der Pfarrer zu Wendemark und nimmt die GebĂŒhr dafĂŒr, ausgenommen das Gewand, das auf die Leiche gelegt wird, es geschehe die Leichenpredigt von wem sie wolle, soll gleichmĂ€ssig geteilet werden unter sie beide, in Betrachtung, dass sie proprie ins Pfarramt Werben gehörig.
- Das Aufbieten aller Ăberalandischen soll der Pfarrer zu Werben verrichten; die Kopulation mag tun, von wem sie begehrt wird.
- Dazu soll und will der Pfarrer von Wendemark dem Pfarrer zu Werben ein Paar GĂ€nse und œ Scheffel Hafer dazu um Bartholomaei verabreichen.
- Der Taler, so fĂ€llt von denjenigen Kindern, die bei den Ăberalandischen getauft werden, soll des Pfarrherrn zu Werben halb sein.
DarĂŒber sind sie entschieden und haben urkundlich auch des Herrn Superintendenten Sabelli Chemnitii Konsens und Insiegel hierzu erbeten, zu beiden Teilen gesiegelt und mit eigenen HĂ€nden unterschrieben.
Actum in der Pfarre Werben Ao 1607 die Fabiani et Sebastiani."
Das Dorf Wendemark, welches etwa 4 Kilometer westlich von Werben an dem Wege nach Seehausen liegt, besteht aus vier Teilen. Nach der statistisch-topographischen Beschreibung der gesamten Mark Brandenburg von F. W. A. Bratring (1804) besteht 1. Ober-Wendemark aus dem Rittergute Neu-Goldbeck (ehedem Seehof), aus einem adligen Lehnhofe und einem grossen Bauerhofe. 2. Nieder-Wendemark aus Kirche, Pfarre und Schule, aus dem Rittergut, das frĂŒher den von Wulsch, zur Zeit den Engel gehört, aus fĂŒnf grossen Bauerhöfen, einer WindmĂŒhle nebst einer halben Hufe Ritteracker und aus einem kleinen von Jagowschen Afterlehen; 3. Paris-Wendemark aus einem Rittergut nebst Zubehör, einem Freihof und einem Bauerhof und 4. Vorwerk Wendemark und zwei Freihöfen, von denen der eine Einhof genannt wird, und zwei grossen Bauerhöfen. Ober- und Nieder-Wendemark werden durch die sonderbaren Windungen und SchlangengĂ€nge des Alands von Paris- und Vorwerk-Wendemark getrennt. So haben wir also unter den Ăberalandischen die Bewohner von Paris- und Vorwerk-Wendemark, die vom eigentlichen Dorfe Wendemark aus jenseits des Alands wohnten, zu verstehen. Was aber soll der Name Paris-Wendemark bedeuten? Das Wort âparys (1438), parisz (1441), parysz (1472)" ist jedenfalls wendischen Ursprungs; es besteht aus einer PrĂ€position und dem Hauptwort (reJca âder Fluss") und bedeutet ebenfalls weiter nichts als âhinter dem Fluss", nĂ€mlich âdem Aland". Ăber den Parishof und die nach ihm benannte Familie haben wir in den âBeitrĂ€gen zur Geschichte des Kreises Osterburg" nĂ€here Nachrichten beigebracht. Hier interessiert uns nun die weitere Frage: âWie kam es, dass Paris- und Vorwerk-Wendemark kirchlich zu Werben und nicht zu Ober- und Nieder-Wendemark gehörten, obwohl sie doch den letzteren ganz nahe lagen?"
Die Beantwortung dieser Frage fĂŒhrt uns in die sehr ferne Zeit zurĂŒck, in welcher Karl der Grosse die BistĂŒmer Verden und Halberstadt grĂŒndete. Als Grenze beider BistĂŒmer bestimmte er in unserer Gegend die Prisatine bis zu ihrer EinmĂŒndung in die Elbe; unter der Prisatine ist der nachher âAland" genannte Fluss zu verstehen, der also damals von Westen nach Osten floss und bei Ober-Wendemark (bei dem Seehof) in die Elbe mĂŒndete, wĂ€hrend der Aland nach der niederlĂ€ndischen Eindeichung und Kanalisierung von Osten nach Westen fliesst, bei Biesehof in die Biese mĂŒndet und nun der Biese seinen Namen gibt. Der alte Aland bildet aber nicht nur die Grenze zweier BistĂŒmer, sondern auch, wie es im 30. Jahresberichte des AltmĂ€rkischen Geschichtsvereins nĂ€her nachgewiesen ist, die Grenze gegen die âsorbische" Mark. Der Aland bildete also eine sehr wichtige kirchliche und politische Grenze. Daher kommt es, dass man dieses hart an der Grenze gelegene Dorf âWendemark" d. h. âGrenzmark" nannte; auf althochdeutsch heisst nĂ€mlich wenti, auf mittelhochdeutsch wende die Grenze. Daher kommt es ferner, dass die nördlich vom Aland gelegenen Ober- und Nieder-Wendemark zu Verden, Paris- und Vorwerk-Wendemark als die sĂŒdlich vom Aland belegenen Dörfer zu Halberstadt gehörten. Daher kommt es dann wieder, dass die ersteren beiden Dörfer noch bis etwa 1830 zur Ephorie Seehausen, die letzteren beiden dagegen zur Ephorie Werben gezĂ€hlt wurden. Heutzutage gehört das ganze Wendemark zum Kirchenkreise Werben; indessen gehört noch jetzt der Wendemarker Pfarrer zur SeehĂ€user Prediger-Witwenkasse und nicht zur Werbener. Heutzutage bilden natĂŒrlich die vier Teile des Dorfes Wendemark auch in kirchlicher Beziehung ein Ganzes. Die kirchlichen Abgaben an Werben sind mit Ausnahme der Abgaben an die Werbener KĂŒsterei abgelöst. Ăbrigens lassen sich ganz Ă€hnliche VerhĂ€ltnisse auch in politischer Hinsicht nachweisen: Noch 1804 gehörten Ober- und Nieder-Wendemark zum Kreise Seehausen, Paris- und Vorwerk-Wendemark dagegen zum Kreise Arneburg, wĂ€hrend jetzt ganz Wendemark zu dem Kreise Osterburg gehört. So wirkte also die ursprĂŒngliche BistĂŒmer- und Marken-Einteilung Karls des Grossen bis ins 19. Jahrhundert hinein.
Es erĂŒbrigt noch einige kurze Personalnotizen hinzuzufĂŒgen. Die obige Abmachung ist von Johann Barth, M. Sabellus Chemnitius und Joachim Jordan unterzeichnet und untersiegelt. Johann Barth, ein Sohn des Werbener Pfarrers Ambrosius B., studierte 1585 in Frankfurt a. d. O.; er wurde 1589 in seiner Vaterstadt zum Kaplan angenommen und darauf in Stendal ordiniert. Zu seiner Hochzeit verehrte ihm der Werbener Rat Konfekt, Bier und einen silbernen Löffel. Er war dann bis 1602 Werbener Diakonus und bis 1613 Werbener Pfarrer und Inspektor. Sein und seiner Angehörigen Grabdenkmal befindet sich noch heute in der Werbener Kirche. Die gleiche Hausmarke, die unser SchriftstĂŒck aufweist, sehen wir auch an diesem Grabdenkmal; sie ist abgebildet im âHerold" Nummer 10, Jahrgang 1895. - Die zweite Unterschrift ist die des Magisters Sabellus Chemnitius. Sabellus Kemnitz war 1540 zu Pritzwalk in der Ostprignitz geboren; er war von 1579 bis zu seinem am 6. August 1611 erfolgten Tode altmĂ€rkischer Generalsuperintendent in Stendal. Sein Wappen zeigt einen mit drei Rosen belegten SchrĂ€grechtsbalken und auf dem Schilde drei fĂ€cherartig gestellte, gestielte Rosen. - Ăber den Wendemarker Pfarrer Joachim Jordan war es bis jetzt nicht möglich, nĂ€here Personalnotizen zu finden; jedenfalls gehörte er aber zu der weit verbreiteten Familie Jordan, nach welcher der sĂŒdlichste Hof in Giesenslage lange Zeit âJordanshof" genannt wurde. Noch heute blĂŒht diese Familie in Neu-Bertkow bei Goldbeck. Interessant ist das Sekret, mit dem Joachim Jordan 1607 jene Vereinbarung untersiegelt hat: In dem durch eine wagerechte Linie in zwei HĂ€lften geteilten Schilde sehen wir oben eine Taube, unten eine Schlange, jene als das Sinnbild des heiligen Geistes, diese als das des Teufels. Erinnert nicht der Name âJordan" an die Taufe Christi? Ist es nicht die Bedeutung unserer Taufe, dass der heilige Geist das Böse in uns ĂŒberwindet? Ist nicht das Wappenbild eine bestĂ€ndige Mahnung fĂŒr den TrĂ€ger desselben, dem heiligen Geiste immerfort zum Siege ĂŒber alles Böse in dem Herzen zu verhelfen? Da der TrĂ€ger des Wappens ein Pfarrer war, kann man ja erst recht derartigen ErwĂ€gungen Raum geben.