Das neunhundertjährige Jubelfest der altmärkischen Stadt Werben an der Elbe

Die altmärkische Stadt Werben gedenkt am 24. September dieses Jahres 1905 das Fest ihres neunhundertjährigen Bestehens zu feiern. Damit die Bewohner der Stadt diese Feier mit guten Gewissen begehen können, muß sowohl der geschichtliche Grund als auch das moralische Recht dieser Feier nachgewiesen werden, beider nachzuweisen soll im Folgenden so kurz wie möglich versucht werden.

Die älteste geschichtlich sichere Erwähnung Werbens, die sich in dem Chronicon Thietmari Merseburgensis Episcopi findet, lautet zum Jahre 1005: „Sepecum Selavir in Wiribeni inxta Albim poritam conventione habita, nolentibur seu volentibirr hiir, necersavia regni ruimet tractavit atque potenter finivit." Auch das königliche geheime Staatsarchiv hat eine frühere Erwähnung von Werben nicht feststellen können. In welchem Monate des genannten Jahres die Zusammenkunft zu Werben, um die es sich handelt, gehalten wurde, giebt Thitmar nicht an. Nach des Chronisten Erzählung war König Heinrich auf dem Zuge gegen Boleslaw am 22. September 1005 in Meseritz und setzte dann den Krieg bis zum Friedensschlusse fort. Nach den Mitteilungen des königlichen geheimen Staatsarchiv urkundete der König am 5. November in Werla, am 22. November in Duisburg und am 25. Januar des folgenden Jahres in Merseburg, nachdem er das Weihnachtsfest , wie die Hildesheimer Analen berichten in Pölde gefeiert hatte. Danach ist es möglich, daß König Heinrich im Dezember in Werben war, ebensowohl aber, da seine Anwesenheit in Sachsen für den 5. November bezeugt ist, können die Verhandlungen mit den Slaven auch früher stattgefunden haben.

Daraus daß schon im Jahre 946 zu dem neu gegründeten Bistum Havelberg ein ziemlich bedeutender Komplex Landes bei dem Dorfe Robelj (Raebel) einem nahe bei Werben gelegene, noch heute vorhandenen Dorfe‚ gelegt worden ist, kann wohl mit Recht geschlossen werden, daß schon damals die Burg Werben als eine deutsche und christliche Anlage vorhandengewesen ist, die Stiftung jenes Ackers hätte in damaliger Zeit ohne den Schutz einer nahen Burg wohl kaum einen Zweck gehabt. Daraus ferner, daß Kaiser Heinrich II. 1005 auf der Burg Werben, hart an der feindlichen Grenze, Reichstage wider die Wenden, diese erbitterten Gegner der Deutschen, abgehalten hat, kann man mit Recht auf die Größe, Stärke und Bedeutung dieser an dem wichtigen Elbübergange bei der Havelmündung gelegenen Burg schließen.

Zu einer großen, mit einer Besatzung versehenen Burg gehörten notwendig allerlei Handwerker, Händler und Arbeiter. Obwohl daher Werben erst 1034 ausdrücklich als „oppidum" (befestigtes Lager mit städtischer Bevölkerung) genannt wird, so kann man doch annehmen, daß schon 1005 ein, wenn. auch naturgemäß bescheidener, aber städtischer Anbau bei der Burg Werben bestanden hat. Daraus endlich, daß die Wenden bis zu Albrechts des Bären Zeiten immer wieder erfolgreiche, von Raub, Brand und Mord begleiteten Einfällen in das diesseitige Elbland gemacht haben, geht hervor, daß bis zur Zeit jenes berühmten Askaniers alle Werbener städtischen Anbauversuche immer wieder von den Feinden zerstört worden sind, bis dann wieder in der um 1150 ausgefertigten Städteurkunde Stendals unser Ort Werben endgültig als „Stadt" namhaft gemacht wird.

Bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts tauchen aus dem Dunkel der Vergangenheit vier altmärkische Städte hervor, nämlich Walsleben, Arneburg, Werben und Tangermünde.

Aus diesen kurzen Ausführungen geht hervor, daß die geplante Jubelfeier der Stadt Werben tatsächlich geschichtlich sicher begründet ist. Wie steht es aber nun mißt dem moralischen Rechte dieser Feier?

So könnte doch der Einwand erhoben werden. „Die Werbener haben eigentlich kein Recht zu einer solchen Freudenfeier, denn ihre Stadt ist seit dem entsetzlichen dreißigjährigen Kriege immer weiter zurückgegangen und geht auch in der Gegenwart infolge der ungünstigen Lage der Landwirtschaft in ihrer Umgegend eher rückwärts als vorwärts." Darauf wird erwidert, daß geschichtliche Feiern nicht um der Gegenwart, sondern um der Vergangenheit willen gefeiert werden, und daß es wohl nicht viele Städte in der Altmark und weiteren Umgebung giebt, welche eine so geschichtlich bedeutende Vergangenheit haben, wie das kleine altmärkische Städtchen Werben. Da die beifolgende Chronik der Stadt darüber näheren Aufschluß giebt, so sei an dieser Stelle nur auf die allerwichtigsten Ereignisse kurz hingewiesen. Außer dem König Heinrich Il. weilte Kaiser Konrad Il. verschiedentlich in Werben, so z. B. im Jahre 1032, um das Reich gegen die Einfälle der Liutizen zu sichern, so im. Jahre 1034, um dieselben Feinde für ihre erneuten Überfälle zu züchtigen, ein „Gottesgericht" abzuhalten und die Burg neu und stark anzuführen. Nicht weit von der Burg Werben fand im Jahre 1056 jene furchtbare Schlacht statt, in welcher die unter der Führung des Grafen der Nordmark Wilhelm stehenden deutschen Heere von den aus dem Hinterhalt hervorbrechenden Wenden an der ehemaligen Havelmündung überwunden und teils niedergemetzelt, teils in die beiden Ströme Elbe und Havel gejagt wurden.

Wie aus dem gleichfalls beigefügten kleinen Vortrage näher hervorgeht, hat Albrecht der Bär sich die sehr großen Verdienste um die Stadt erworben, daß er ihr dauernden Frieden verschaffte, ihren städtischen Anbau gefördert und endgültig gesichert und ihr in der Begründung der ältesten Johanniterkomturei einen bedeutsamen Mittelpunkt christlichen und deutschen Lebens gegeben hat. Ohne diese Verdienste des herrlichen askanischen Fürsten wäre Werben wohl zu Grunde gegangen. Wir freuen uns insbesondere darüber, daß sich der Johanniterorden in neuer Blüte von Werben aus über ganz Preußen und selbst über dessen Grenzen hinaus mit Segen verbreitet hat, ja, daß er auch nach Jerusalem, von wo er vor etwa 800 Jahren ausgegangen, jetzt segenspendend zurückgekehrt ist.

In dem 15. Jahrhundert machte Friedrich Il. der Eisenzahn, die Stadt zu einer bedeutsamen Stätte der Kunst, er stiftete in seinem frommen Sinn herrliche Glasmalereien für den hohen Chor der im Jahre 1466 bedeutend vergrößerten Johanniskirche. Der Konservator von Quart urteilt einmal über diese Glasmalereien: „Ich wüßte ihnen seit den Zeiten des Meister Stephan kaum etwas ähnliches in Deutschland an die Seite zu stellen. Ich stehe mich an, diese beiden Glasgemälde (nämlich des. linken und des rechten Chorfenster) für die schönsten malerischen Kunstwerke der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Deutschland anzunehmen."

In dem furchbaren dreißigjährigen Kriege gewann Werben wiederum hohe Bedeutung: Am 11. Juli 1631 nahm der Schwedenkönig Gustav Adolf in dem Goldbeckschen Hause am Werbener Markte Quartier; vom 12. Juli bis etwa zum 14. August desselben Jahres kampierte er mitten unter seinen Truppen auf der unmittelbar bei der Stadt zwischen Deich und Elbe belegenen „Märsche"; vom 27. Bis 29. Juli schlug er den Angriff der Tilly'schen Scharen. auf Stadt und Lager siegreich zurück; am 12. August schloß er hier das wichtige Bündnis mit dem Landgrafen Wilhelm von Hessen-Kassel und mit dem Kurfürsten Johann Georg von Sachsen, wodurch er den Siegeszug durch Mittel- und Süddeutschland wirksam vorbereitete; gegen Ende seines hiesigen Aufenthaltes erbaute er an der ehemaligen Havelmündung die starke Schanze, um deren Besitz die kriegführenden Parteien zehn Jahre hindurch kämpften. Gustav Adolf soll bei dem Anblick der Stadt und ihre Lage geäußert haben: „es nehme ihn wunder, daß die Kriegsparteien diesen Ort so schläfrig außer acht gelassen, dergleichen er noch nirgendwo bisher in Deutschland gefunden, der zur Befestigung mehrers tauglich wäre."

Nur kurz sei hier erwähnt, daß Werben im 18. Jahrhundert Garnisonort für kleinere Abteilungen brandenburgischer Regimenter war, so z. B. von 1718 bis 1720 für einen Teil des Dragonerregiments „von der Schulenburg", von 1720 bis 1724 für Soldaten vom Infanterieregiment „Prinz Leopold Maximilian von Anhalt Dessau" von 1724 bis 1727 für Kürassiere von der Leibkompagnie des von Dewitz'schen Regiments und endlich von 1727 bis 1796 für eine Kompagnie des Kürrassierregiments, welches nacheinander die Namen seiner Chefs Graf von Lottum, von Papstein, von Bredow, von Drieren, von Horn, von Manstein, von der Marwitz, von Kalckreuth, von Ihlow, von Borstell und von Reitzenstein führte.

Es fehlte nicht viel daran, daß Werben auch in den Freiheitskriegen eine hervorragende Rolle spielte. Als westfälische Grenzstadt war sie dazu von den Franzosen bestimmt, einem etwaigen Grenzübergang der Preußen zu verhindern. Darum kam am 19. Juni 1813 französischerseits der Befehl, daß zur Anlegung eines Forts bei Werben aus dem District allein 2000 Arbeiter gestellt werden sollten. Am 21. Juni wurde wirklich mit dem Bau der Anfang gemacht. Die Stadt stellte täglich dazu 50, später 80 Mann. Am 24. Juni kam Befehl, daß auch 200 Zimmerleute gestellt werden sollten. Den Befehl über die Schanzarbeiten führte ein Kapitän vom Geniecorps, namens Lanternier, unter dem Oberkommando des Generals Haxo. 500 einspännige Wagen wurden zur Abholung des in der Letzlinger Forst geschlagenen Holzes zum Pallisadenbau requriert, was jedoch späterhin als unnötig abbestellt wurde. Vom 9. Juli ab mußten 4000 Mann Schanzarbeiten verrichten. Aus allen Winkeln des weiten Königreichs Westfalen wurden Menschen hierher getrieben, so daß man hier noch nie gehörte Dialekte vernahm. Das Aller- und Oker- Departement gestellten jedes 1500 Mann. Da kam am 17. Juli plötzlich und unerwartet der Befehl, daß die Schanzarbeiten abgebrochen und die Wälle wieder demoliert werden sollten. Dieser Befehl wurde dann auch sogleich ausgeführt. Wer weiß welches schwere Schicksal sonst die Stadt in dieser Zeit gehabt hätte!

Aus der bedeutenden Vergangenheit ragen noch einige bedeutende Zeugen in die Gegenwart hinein; wir nennen hier vor allem die herrliche St. Johanniskirche, welche mit ihren drei hohen Hallen, mit ihren schlanken gestrebten Pfeilern, mit ihren vierzehn mittelalterlichen gemalten Fenstern, mit ihren vier Holzschnitzaltären, mit ihrem aus dem dreizehnten Jahrhundert stammenden berühmten Meßkelch und mit ihrer Lutherbibel eine Hauptzierde der Stadt und eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges bildet. Von der alten Befestigung steht heute noch außer einem Stück der Stadtmauer mit einem Turm an der westlichen Stadtseite das schön erhaltene Elbtor mit seinen in zwei Absätzen sich erhebenden, außerordentlich starken Rundturm, mit seinen beiden Zinnenkränzen, mit seiner durch schwarz glasierte Zickzackstreifen belebten Fassade als ein beredter Zeuge mittelalterlicher Baukunst da. Endlich zeigt uns die Gegenwart von mittelalterlichen kirchlichen Gebäuden außer der einfachen steinernen Kapelle auf der königlichen Domäne, der ehemaligen, bis 1809 bestehenden Johanniterkomturei, noch ein interessantes Gebäude, nämlich die in der nördlichen Stadtmauer belegene ehemalige Heilig-Geist-Kapelle, eine einschiffige, gewölbte, zweijochige, in halbem Sechseck geschlossenen Bauanlage, welche an ihrer Südseite niedrige Nebenkapellen zwischen den weit zurückliegenden, oben durch Flachbogen mit einander verbundenen Strebpfeilern aufweist. Alle diese Sehenswürdigkeiten der Stadt haben in der „Chronik" eine möglichst genaue Beschreibung gefunden.

Zu dem Blick auf die Ereignisse, die in ihr geschehen, in dem Blick auf die Denkmäler der Vergangenheit, die in ihr noch heute vorhanden, aber endlich auch in dem Blick auf die bedeutenden Männer, die aus ihr hervorgegangen sind, findet die Stadt Werben ein moralisches Recht, ihr neunhundertjähriges Recht zu feiern, Der berühmteste Werbener war Henningus Göde, 1486 und 1489 Rektor der Universität Erfurt „artium et iuris utriusque lector, maioris collegii collegiatus" „Monarch des Rechts" letzter katholischer Stiftsprobst in Wittenberg, gestorben am 21. Januar 1521. Gleichfalls Juristen waren die beiden folgenden bedeutenden aus Werben her- vorgegangenen Männer, Dr. iur. Heinrich Goldbeck, Vize-Kanzler und geheimer rat des brandenburgischen Kurfürsten Joachim Il, und dessen Neffe Andreas Goldbeck, Dr. iur. kurfürstlich sächsischer Regierungsrat in Dresden. Auch in neuerer zeit ist ein hervorragender Jurist aus unserem Städtchen hervorgegangen, der am 21. October 1900 in Berlin heimgegangene Reichsgerichtsrat Dr. iur. Alexander Achilles; er gehörte zu den Männern, welchen es beschieden war, die beste Kraft ihres Lebens für das Zustandekommen der bürgerlichen Gesetzbücher, für die Erschließung, seines Inhalts und für die Nutzbarmachung des einheitlichen deutschen Rechtes einzusetzen. Seine vomehmlichsten Werke waren: „die preußischen Gesetze über Grundeigentum und Hypothekenrecht" vom 5. Mai 1872, die „Textausgabe des Bürgerlichen Gesetzbuches" (1896.1899), „Protokolle der 2. Kommission zu Ausarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuchs". Die deutsche Juristenwelt schuldet ihn reichen Dank.

Ein Werbener war der Bildhauer Hans Hake, welcher am Anfang des 17. Jahrhunderts für die Jakobikirche in Stendal die Kanzel und den Hochaltar und für seine Vaterstadt das herrliche Grabdenkmal des Bürgermeisters Joachim Franke herstellte. Einen eigentümlichen Lebensgang hatte ein anderer Werbener Künstler mit Namen Christian Köhler, er brachte es durch sein Talent vom Pferdejungen bis zum Professor der Malerei und Lehrer im antiken „Saal der Düsseldorfer Kunstakademie". In einer Sammlung von Biographien Düsseldorfer Künstler heißt es von Christian Köhler: „Er ist eine großartig angelegte Künstlernatur, die alles, was ihr einmal wert er- scheint, gemalt zu werden, mit ernstem Studium ergreift und mit treuer Festhaltung des Guten vollendet."

Zum Schluß möge noch der Pfarrer Dr. theol. Joachim Karl Friedrich Knaake,: weiland Pfarrer zu Drakenstedt bei Dreileben, genannt werden, der durch seine' uner- müdlichen und erfolgreichen Studien auf dem Gebiete der Reformationsgeschichte rühmlichst bekannt geworden ist. Er ist am 6. April dieses Jahres als emeritierter Pfarrerin Naumburg (Saale) gestorben.

So hat das Städtchen für die geplante Feier seines neunhundertjährigen Bestands einen festen Grund und ein gutes Recht. Der gegenwärtige Zustand des Städtchens bringt es mit sich, daß die Feier nur in einfacher und bescheidener Form begangen werden kann. Die Hauptsache ist es ja, daß durch diese Feier die Liebe zu der Heimat in den Herzen der einheimischen und der auswärtigen Werbener mächtig angefacht wird. Daß dies geschehe, das ist der lebhafte Wunsch aller derer, welche die Feier vorbereiten helfen.

Werben--- Elbe, den 23.5.1905
Gez. E. Wollesen, Oberpfarrer