Der Crossener Ablaßbrief vom Jahre 1347
(E. Wollesen, D. theol., Pf., Zeitz)
Das Original des Crossener Ablaßbriefes befindet sich in der Leipziger Stadtbibliothek; der lateinische Text ist in dem Naumannschen Handschriftenkatalog Seite 242 wiedergegeben; er wird hier noch einmal mitgeteilt, eine Übersetzung ins Deutsche ist mir bisher nicht bekannt geworden. Als ich im vorigen Sommer in Bad Köstritz weilte, wurde mir von dem dort wohnenden Bürgermeister i. R. Spies eine getreue Photographie des Originals mit der Bitte, den lateinischen Text in die deutsche Sprache zu übersetzen, überreicht. Gern machte ich mich an die Aufgabe, die wegen der mannigfachen Abkürzungen und der gotischen Minuskelschrift nicht ganz leicht war. Nur ein Wort ist nicht ganz zweifelsfrei entziffert, es ist der Name der letzten weiblichen in dem Briefe aufgezählten Heiligen; nur mit 90% Wahrscheinlichkeit konnte der Name „Martha" angegeben werden.
Es könnte gefragt werden, welches Crossen hier gemeint ist, Crossen an der Weißen Elster in dem ehemaligen Bistum Naumburg-Zeitz, oder Crossen an der Mulde, oder Crossen an der Oder. Die Frage ist dahin zu beantworten, daß nur Crossen an der Weißen Elster gemeint sein kann. Der Ablaßbrief ist von dem damaligen Naumburg-Zeitzer Bischof bestätigt; dieser konnte doch aber nur einen seine Diözese betreffenden Ablaß bestätigen. Erkundigungen bei dem Pfarrer in Crossen an der Mulde, ob es dort eine Michaeliskirche gäbe oder gegeben hätte --- eine Michaeliskirche in Crossen wird als Empfängerin der Ablaßeinnahmen genannt ---, ergaben das folgende: „Die Kapelle, aus der die jetzige Kirche erbaut wurde, wird schon 1219 mit dem Zusatz „Unserer Lieben Frauen zur Weiden" erwähnt. Daß dort je eine Kapelle des heiligen Michael gestanden, ist nicht bekannt; auch deutet nichts darauf hin, vielmehr scheint das nach den obigen Angaben ausgeschlossen zu sein." Crossen an der Oder dürfte schon wegen seiner weiten Entfernung vom Bistum Naumburg-Zeitz überhaupt nicht in Frage kommen.
Das Original muß in den ersten Zeilen stark beschädigt sein; eine genaue Wiedergabe war daher nicht möglich; nur der Sinn konnte erraten werden: „Damit die dem heiligen Michael zu Ehren in Crossen gegründete Kirche mit größeren Ehren bedacht und von den Christgläubigen gemeinsam verehrt werde, erteilen wir den Ablaß allen denen ..." Das Lichtbild ist von dem Herrn Bürgermeister i. R. Spies unter Vorbehalt des Eigentumsrechtes dem Zeitzer Altertumsmuseum überlassen.
maiestate sperancium in se tunc benign ... ecclesia fundata in honorem Beati Michaelis in Crossen ... gnis honoribus frequentetur et a Christi fidelibus iugiter veneretur, omnibus vere poenitentibus et confessis, qui ... sucorum patronorum et in dedicatione eiusdem ac in aliis festis infrascriptis videlicet Natalis domini, Circumcisionis, Epiphaniae, parasceves, Pasche, Ascensionis, Pentecostes, Corporis Christi, Inventionis et exaltationis sanctae crucis, in omnibus festis beatae Mariae virginis, sanctorum Johannis baptiste et evangeliste, beatorum Petri et Pauli ac omnium apostolorum et evangelistarum sanctorumque Stephani, Laurentii, Martini, Nicholai, Gregorii, Augustini, Ambrosii, Jeronimi, Benedicti, sanctarum Marie Magdalene, Katharine, Margarete, Cecilie, Lucie, Agathe, Agnetis, Anne et Marthe (?), in commemoracione omnium sanctorum et animarum et per octavas dictarum festivitatum, octavas habentium singulisque diebus dominicis et sabbatis causa devocionis oracionis aut pergrinacionis accesserint. Seu qui missis praedicacionibus matutinis vesperis aut aliis divinis officiis ibidem interfuerint. Aut corpus Christi vel oleum sacrum, cum infirmis portentur, secuti fuerint. Seu qui in serotina pulsacione campane secundum modum curie Romane genibus flexis ter Ave Maria dixerint. Necnon qui ad fabricam, luminaria, ornamenta aut quaevis alia dicte ecclesie necessaria manus porrexerint adiutrices. Vel qui in eorum testamentis aut extra aurum, argentum, vestimentum, librum, calicem aut aliquid aliud caritativum subsidium dicte ecclesie donaverint, legaverint aut procuraverint; aut qui pro salubri statu praesencium impetratoris, dum vixerit, et eius anima, cum ab hac luce migraverit, et animabus omnium fidelium defunctorum pie deum exoraverint et per alios exorari fecerint. Quotienscunque quandocunque et ubicunque premissa vel aliquid premissorum devote fecerint de omnipotentis dei misericordia et beatorum Petri et Pauli apostolorum eius auctoritate confisi singuli nostrum quadraginta dies indulgenciarum de iniunctis eis penitenciis misericorditer in domino relaxamus, dummodo dioecesani voluntas ad id accesserint et consensus. In cuius rei testimonium presentes litteras sigillorum nostrorum iussimus appensione muniri.
Datum Avinione die tertia mensis Ianuarii, anno domini millesimo CCCXLVII et pontificatus domini Clementis papae vj anno quinto.
Et nos wythego dei gratia episcopus ecclesiae numburgensis praemissam indulgentiam, in quantum nobis a iure permittitur, approbamus et in dei nomine confirmamus et similiter omnibus vere penitentibus et confessis, qui aliquid praemissorum devote adimpleverint de omnipotentis dei misericordia et beatorum Petri et Pauli apostolorum eius auctoritate confisi quadraginta dies indulgentiarum de iniunctis eis penitentiis misericorditer in domino relaxamus.
Datum cyce anno domini MCCCxCvij feria quarta infra octavas pentecostes.
1. Die Indulgenzen, Ablässe, gingen aus der Lehre der römischen Kirche von dem unerschöpflichen Schatz der Verdienste Christi und der guten Werke der Märtyrer und aller Heiligen hervor. Zu diesem Schatze eignete sich die Kirche den Schlüssel, d. h. die Macht zu, zum Trost der geängsteten Gewissen davon Gebrauch zu machen und dem reuigen Sünder so viel davon abzulassen, als für einen bestimmten Preis oder nach Maßgabe der Umstände zugestanden werden konnte. Den Bischöfen waren aus jenem unerschöpflichen Gnadenschatz zu weiterem Gebrauch gewisse Portionen zugeteilt. Häufig wurde davon Gebrauch gemacht, Stiftern und Klöstern bei eintretendem Bedürfnis eine Hilfe zu verschaffen, insonderheit den Bau von Kirchen, Kapellen und dergl. zu befördern. Dieses geschah, wenn der Ablaß an die Bedingung geknüpft war, daß diejenigen, die dessen teilhaftig werden wollten, den bezeichneten Gnadenort persönlich besuchen und, außer dem klingenden Opfer, sich hier gewissen leichten Bußübungen unterwerfen oder wenigstens mit einer vorgeschriebenen Anzahl Pater-Noster oder Ave-Maria usw. lösen mußten. Da heißt es denn: „Unter dieser oder jener Bedingung erhältst du 40 Tage, wie in unserm Ablaßbrief, Ablaß"; das will sagen: „Es werden dir diejenigen Sündenstrafen erlassen, zu deren Abbüßung du, sei es auf Erden, sei es im Fegefeuer, 40 Tage gebrauchen würdest." Dazu kam seit Papst Sixtus II. (1471---1484) noch ein Anderes. Die Betenden konnten nicht nur für sich eine Verkürzung ihrer Strafzeit, also Ablaß, gewinnen, sondern auch für ihre lieben Verstorbenen. Ja, es wurde ein vollkommener Ablaß für die Verstorbenen verkündet, der mit einem Male die armen Gepeinigten von aller Qual erlöste und ihnen zur ewigen Seligkeit verhalf.
2. Unser Ablaßbrief wurde im 5. Jahre des Pontifikates des Papstes Clemens VI. ausgestellt. Bonifatius VIII. setzte das Jahr 1300 zum Jubeljahr für diejenigen ein, die in demselben an gewissen Tagen gewisse Kirchen zu Rom besuchen würden, mit der Bestimmung, daß diese Gnadenzeit sich alle 100 Jahre erneuern sollte. Clemens VI. verkürzte diesen Zeitraum auf 50, Urban VI. auf 30 und Paul II. endlich auf 25 Jahre. Damit nun auch denen, die bei gleichem Drange des Herzens durch unüberwindliche Schwierigkeiten behindert waren, denselben zu befriedigen, die Gnadentür nicht verschlossen bliebe, erhielten nach Ablauf des Jubeljahres hohe Geistliche den Auftrag, in den christlichen Ländern herum zu reisen, um denen, die danach verlangten, den heilbringenden Ablaß näher zu bringen und unter erleichterten Bedingungen auszuspenden. In dieser Absicht wurden, anstatt der Kirchen in Rom, andere Kirchen, denen ein Teil der Einnahme überlassen wurde, als Gnadenstätten bezeichnet, wo der Ablaß unter den festgesetzten Bedingungen zu erlangen war.
3. Der Ablaßbrief wurde von dem Bischof Wedego in Zeitz bestätigt. Obschon Naumburg der Bischofssitz war, residierten die meisten Bischöfe in Zeitz. Wedego war von 1335---1348 Bischof. In einem Indulgenzbriefe dieses Bischofs ist sogar von der Reparatur des gemeinsamen Schlafsaales in dem Zeitzer Bischofssitz die Rede ist, wobei wir daran denken müssen, daß die Dom- und Stiftsherren damals noch in klösterlicher Weise zusammenwohnten.
4. In Avignon wurde der Ablaßbrief ausgestellt. Unter französischem Einfluß war diese französische Stadt seit Clemens V. (1305---1314) Sitz des Papsttums. Zwar wurde 1328 in Rom ein Papst auf Anregung und Unterstützung des Kaisers Ludwig gewählt, aber, da er sich nicht halten konnte, nach Avignon ausgeliefert. Auch Clemens VI. hatte seine Residenz in Avignon.
5. Man hat gemeint, mit der im Ablaßbriefe genannten Michaeliskirche könne nicht die in der Ebene gelegene Crossener Gemeindekirche, sondern müsse die auf dem Berge gelegene Kapelle der Burg Crossen gemeint sein, weil die Michaeliskirchen alle auf Bergen gegründet seien, wie es ja auch mit der Michaeliskirche des nahen Zeitz der Fall sei. Aber gibt es nicht auch Michaeliskirchen in der Ebene? Ist es denn überhaupt geschichtlich bewiesen, daß auf dem Burgberge Crossen eine Kapelle gestanden? Ist nicht der Einfluß kirchlich bedeutender Orte in jener Zeit auch in Hinsicht der Benennung von Straßen, Plätzen und Kirchen außerordentlich groß gewesen? Lag es nicht nahe, die Kirche in Crossen nach dem Erzengel zu nennen, der mit flammendem Schwert den Drachen getötet, den heidnischen Wotan von seiner Stätte vertrieben und den Schutz über die alte Bischofsstadt Zeitz übernommen und treulich ausgeübt hatte? Wir bleiben darum bei der Annahme, daß mit der im Ablaßbriefe genannten Kirche nur die Crossener Pfarrkirche gemeint sein kann. Auf dem dem Orte gegenüberliegenden Mühlberge hat man Fundamente gefunden; es wäre sehr wohl möglich, daß diese Fundamente, die einer auf beherrschender Höhe gelegenen Wallfahrtskirche S. Michael wären, und daß erst in späterer Zeit, etwa im 15. Jahrh., die für die Bewohner des wachsenden Ortes näher und bequemer gelegene Pfarrkirche an ihrer jetzigen Stelle erbaut wäre und die Stelle der Wallfahrtskirche eingenommen hätte. Nach allem wäre es richtiger, wenn unser Crossen statt des Bildes der heiligen Margarete das des heiligen Michael im Wappen führte.