Die Kapelle auf dem Werbener Domänenhofe.

Von E. Wollesen, Zeitz.

Auf dem Hofe der jetzigen Domäne in Werben, der ehemaligen Johanniterkomturei, steht zwischen dem großen Hoftor und dem Diakonathause ein aus Backstein erbautes massives Gebäude, das kurzweg als „Kapelle" bezeichnet wird. Noch immer ist es mir nicht gelungen, bestimmte sichere Nachrichten über diese Kapelle zu finden; dennoch möchte ich, was ich über sie weiß bzw. vermute, hier veröffentlichen, um vielleicht dadurch zu weiteren Forschungen anzuregen. Merkwürdigerweise ist die Kapelle in der „Werbener Chronik" gar nicht erwähnt; ich muß es damals bei der reichen Fülle des Stoffes ganz vergessen haben.

In seinem Handbuch, Band V, sagt Dehio über diese Kapelle, sie sei ein schlichter rechteckiger frühgotischer Ziegelbau, in den Giebeln das Johanniterkreuz. Ob das wohl ganz richtig ist? So weit ich mich erinnere, befinden sich auf der Südseite mehrere rundbogige Tür- und Fensteröffnungen, die noch in romanische Bauzeit zurückweisen. Wenn nun aber auch ein spitzbogiges gotisches Fenster zu sehen ist, wenn die Giebel erst nachträglich erhöht sind, auch das Dach dementsprechend erneuert durchgeführt ist, so möchte man an einen gotischen Umbau des ursprünglich romanischen kleinen Bau denken. Als Zeit des Umbau würde die frühgotische Periode anzunehmen sein, indem auch die in nächster Nachbarschaft stehende S. Johannis-Pfarrkirche zu einer gotischen umgebaut wurde, also die Zeit der ersten Jahrzehnte des 14. Jahrh. (Vergl. Werbener Chronik; S. 17, unten ferner Dehio, Handbuch, Band V, 1912). In jeden Giebel ist ein rechteckiges Balkenkreuz eingemauert, das man nicht als Johanniterkreuz ansprechen kann, das aber noch heute von der ehemaligen kirchlichen Bestimmung des Gebäudes zeugt.

Ueber die Entstehung der Kapelle fand ich früher einmal eine geschriebene Notiz in den rathäuslichen Werbener ortsgeschichtlichen Akten diese Notiz befragte, daß bei der Aufhebung des Templerordens sich zwei vornehme Rittes dieses Ordens in den Schutz der Werbener Johanniter begeben und diese Kapelle zu ihren kirchlichen Zwecken erbaut hätten. Diese Nachricht klingt außerordentlich wahrscheinlich. Daß die Templerritter vielfach den Schutz der Johanniter aufgesucht haben, steht fest -- ebenso daß die Besitzungen des Templerordens auf die Johanniter übergegangen sind; endlich, daß Urkunden des ersteren Ordens sich unter den Johanniter-Ordens-Beständen des Geh. Staats-Archives befinden, wie letzteres in Julius v. Pfingk-Harttung, die Anfänge des Johanniter-Ordens in Deutschland, besonders in der Mark Brandenburg und in Mecklenburg, 1899, S. 137 und 159 ausdrücklich bemerkt ist. Leider war es mir bis jetzt unmöglich, diese Akten durchzusehen.

Wenn von Mülverstedt in dem 14. Jahresbericht des „Altmärkischen Gesichtsvereins, S. 117, neben den bekannten Werbener Kapellen S. Gertrudis, S. Spivitus und S. Georgii auch eine Kapelle S. Lamberti anführt; so meint er mit letzterer zweifellos die Kapelle auf dem jetzigen Domänenhof, denn eine andere kann nicht in Betracht kommen; wird doch ausdrücklich bemerkt, daß sie neben der Pfarrkirche liege. Dazu kommt, daß das Schicksal dieses Märtyrers mit dem des Templerordens übereinstimmt: Lambertus, Bischof von Maestricht, fiel nach der Legende als Opfer der Rache seiner Feinde, um 700 knieend, durchbohrt mit Lanze oder Wurfspieß; als er feurige Kohlen in der Rochette (Chorhemd) nach dem Altar trug. Wir wissen, daß Lambert in Bischofstracht, mit Kohlen, mit Lanze oder Wurfspieß, mit Schwert und Palme knieend von der christlichen Kunst dargestellt wird. Aber auch die Längsrichtung der Kapelle scheint die Annahme dieses Namensheiligen der Kapelle zu bestätigen. Die mittelalterlichen Kirchen und Kapellen waren nämlich so „orientiert", daß der vor dem Altare stehende Priester genau nach dem Punkte hinschaute, an welchem am Namenstage des Kirchenheiligen die Sonne aufging. Geburtstag des heiligen Lambert war der 17. September, der noch heute in unserem Kalender seinen Namen trägt. Die Kapelle war daher in ihrer Längsrichtung in der Linie des Sonnenaufgangs und -untergangs am 17. September orientiert. Tatsächlich weicht denn auch die Längsrichtung unserer Kapelle nicht unwesentlich von der der neben ihr stehenden, Johannis dem Täufer geweihten Werbener Pfarrkirche ab. Freilich hatte diese Orientierung noch einen anderen Grund: Der Altar galt als Grab des Namensheiligen. In jedem, überhaupt in jedem katholischen Altar befindet sich in der Mitte der Steinplatte eine besonders verschlossene Vertiefung (sepulcrum); in welche der Bischof bei der Konsekration des Altars ein gewöhnlich bleiernes Kästchen mit einer Reliquie, welche den Altar eben zum Grab macht, nebst der Konsekrationsurkunde hineinlegte. Zum Zeichen, daß der Altar geweiht ist, wurden auf der Deckplatte desselben fünf Kreuze, die Weihekreuze, eingemeißelt. Doch das nur nebenbei. W unsere Verstorbenen so beerdigt werden, daß sie nach Osten, dem Sonnenaufgang „schauen", so sollten es auch die Heiligen tun, die man sich in dem Altare ruhend dachte: sie sollten nach dem Punkte des Horizonts schauen, wo an ihrem Namenstag die Sonne aufging.

Wir fassen noch einmal kurz die Ergebnisse unserer Darlegung zusammen: die Kapelle auf dem Werbener Domänenhofe stammt nach ihrem Baustil aus dem Anfang des 14. Jahrh., also aus der Zeit der Aufhebung des Templerordens: Daß sie ursprünglich romanisch, sehr bald gotisch umgestaltet ist, glauben wir aus den jetzt vermauerten Fenstern und Türen sowie aus den höher geführten Giebeln mit Bestimmtheit annehmen zu können. Sie ist dem heiligen Lambert geweiht gewesen. Daraus schließen wir, daß die Ueberlieferung sie sei von Templerrittern erbaut, auf Wahrheit beruht. Jetzt wird die Kapelle zu wirtschaftlichen Zecken benutzt. Außer den beiden Kreuzen an den Giebeln zeugt nichts mehr von der einstigen kirchlichen Bestimmung. Man kann auch im Gedanken an die jetzige Benutzung der Kapelle und bei dem Anblick ihres jetzigen Zustandes klagen: Sic transit gloria![1]

Fußnoten

[1]„So vergeht der Ruhm"