Christian Koehler.
Christian Koehler wurde am 13. Oktober 1809 in dem altmärkischen Städtchen Werben an der Elbe geboren. Sein Vater war Johann Joachim Daniel Nicolaus Koehler, ehrbarer Bürger und Bäcker, seine Mutter Anna Elisabeth Rabe, die Tochter eines Werbener Fleischermeisters.
Als Christian vier Jahre alt war, verlor er seinen Vater. Die Mutter blieb mit vier unmündigen Kindern in dürftigen wirtschaftlichen Verhältnissen zurück. Früh lernte der Knabe die Not des Lebens kennen. Irdische Güter konnte er nicht von seinen Eltern ererben, dafür besaß er ein wertvolleres Gut, nämlich ein früh hervortretendes zeichnerisches Talent. Der Knabe konnte nur die Volksschule seiner Vaterstadt besuchen; für eine auswärtige höhere Schule langten die Mittel nicht. Ostern 1824 wurde er in der Johanniskirche konfirmiert. Alles kam darauf an, daß er der Mutter von der Tasche kam und sich selber seinen Lebensunterhalt erwarb. So mußte er Pferdejunge auf einem Gute des nahen Behrendorfs werden. Aber er hielt es in dieser Stellung nicht aus; sie war für den schwächlichen Jungen zu schwer und für den begabten Knaben zu unbefriedigend. Er verließ gar bald seinen Behrendorfer Dienst und reiste nach Berlin zu einer bei einem Arzt bediensteten Schwester, um in der großen Stadt sein Glück zu suchen und zu finden. Vielleicht durch die Vermittlung jenes Arztes erhielt Christian Koehler eine Stelle als Pferdejunge bei dem in Berlin sehr bekannten Schriftsteller Heun oder, wie er sich als Schriftsteller nannte, Clauren.
Schon war diesem manches von dem wunderbaren Zeichentalent seines neuen Pferdeburschen erzählt worden; nun konnte er sich selbst davon überzeugen. Sein Interesse an dem Knaben wuchs dermaßen, daß er beschloß, ihn dem berühmten Wilhelm Schadow zu empfehlen. Schadow erzählt selbst, daß er noch in Berlin den Besuch des famosen Schriftstellers Clauren erhalten habe, der ihm von der eigentümlichen Leidenschaft seines kleinen Pferdeburschen für die Zeichenkunst erzählte. Er gewann für den hübschen, aber verschlossenen Knaben, der die Stiefel seines Herrn, statt sie zu putzen, abgezeichnet hatte, Sympathie und nahm ihn in sein Atelier auf.
Wir können uns denken, wie dankbar der überglückliche Knabe seinem Gönner und Meister war. Allerdings begann nun eine Zeit schwerster und ernstester Arbeit. Wie viel mußte er, der nur die Volksschule seiner kleinen Vaterstadt besucht, an den notwendigen allgemeinen Kenntnissen nachholen! Und in seiner künstlerischen Laufbahn mußte er ganz von vorne anfangen.
Wilhelm Schadow, als Nachfolger von Cornelius zum Leiter der Düsseldorfer Akademie berufen, trat sein Amt in Düsseldorf im November 1826 an. Bei seiner Übersiedelung nach Düsseldorf folgten ihm fast alle Schüler nach und bildeten den Keim und Kern der neuen Schule; es waren K. F. Lessing, Julius Hübner, Theodor Hübner, Theodor Hildebrandt, K. Sohn, H. Mücke und Christian Koehler, junge Männer, deren Namen in der Folge in noch bedeutsamerer Weise mit der Düsseldorfer Akademie verknüpft werden sollten. Koehler wurde durch Schadow mit Rat und Tat unterstützt. Seitdem hat jeder Tag sein Geschick wachsen sehen.
Mit siebzehn Jahren war Christian Koehler nach Düsseldorf gekommen, mit zwanzig Jahren trat er zum ersten Male in die Öffentlichkeit; er brachte sein eigenes Bildnis zur Ausstellung und fand mit demselben entschiedenen Beifall. Dieses Bildnis zeigt den Knaben, wie er auf dem Stege der bei seiner Heimatstadt fließenden „Großen Wässerung" sitzt und einen Dorn aus dem nackten Fuße zieht. Das Bild verrät noch nichts von der charakteristischen Art Koehlers; es gehört ja auch nicht zu dem historischen Fache, dem er dann seine ganze Kraft gewidmet hat. Wohl hat er auch später noch manche Genrestücke, liebliche Szenen sowie Bildnisse gemalt, aber irgendwie kennzeichnend sind diese Bilder für seine Kunst noch nicht, seine Eigenart zeigte sich erst, als er anfing, die Stoffe fast ausschließlich der alttestamentlichen Geschichte zu entlehnen, sie durch die heroischen Frauengestalten der Bibel zu begeistern und diese dann in einem bedeutenden Momente darzustellen. Merkwürdig ist es dabei, daß ein Künstler, der so entschieden der heroischen Richtung der Kunst huldigte, das Hauptinteresse seiner Bilder vorzugsweise an das weibliche Geschlecht zu knüpfen pflegte, und daß ihm die Darstellung der Frauen im allgemeinen mehr gelang als die der Männer.
Gern würden wir Näheres über sein Leben und Werden erfahren; seine Briefe des Künstlers selbst oder seiner Freunde geben uns darüber Auskunft. Köhlers Bilder sind in alle Welt verschlagen; Kopien sind schwer zu beschaffen. Er scheint still und zurückgezogen ganz seiner Kunst in Düsseldorf gelebt zu haben. Darum schreibt einer seiner Biographen: „Er war eines der merkwürdigsten Elemente der Schadowschen Schule. Ohne je sich mit klassischen Studien beschäftigt zu haben oder etwa durch den Besuch Italiens in großartiger Weise angeregt worden zu sein, ohne eigentliche Vorgänger, ohne Genossen und Nachahmer vertritt er hier allein die heroische Richtung der Kunst in wahrhaft bedeutender Weise. Er ist Historienmaler in dem Sinne, daß er in seinen Bildern Vorstellungen und Zustände patriarchalischen Lebens oder die siegende Gewalt freudiger Gottesbegeisterung und unverzagten Heldenmutes mit einfachen, großen Zügen --- fast nicht weniger symbolisch als dramatisch --- zur Anschauung bringt und dieses nicht allein durch die lineare Gestaltung der Komposition, sondern gleichermaßen durch das Kolorit erreicht. In beiden Hinsichten ist sein Stil großartig. Wie sein Streben nach Großartigkeit ihn für gefällige Zierlichkeit in der Komposition und Zeichnung lieber zu wenig als zu viel tun läßt, so scheint es in Bezug auf das Kolorit ihn zu bestimmen, dem süßen Schmelz sogenannter schöner Farben eine einfache, ernste Farbenstimmung vorzuziehen, deren Wirkung er jedoch durch die fein gefühlten Gegensätze bis zu einem überraschenden Grade zu steigern versteht. Wenn Köhler in irgendeiner Beziehung auf die Schule einen bildenden Einfluß geübt hat, so ist es nur ein mittelbarer gewesen. Die ganze Art seines Talentes und seiner Richtung steht in Düsseldorf so isoliert, daß eine innige Berührung derselben mit der Anschauungsweise der andern Künstler nicht wohl denkbar ist. Dennoch ist eine indirekte von Koehler ausgegangene Anregung in Beziehung auf den Stil des Kolorits kaum zu bezweifeln, wenn sie auch nicht besonders nachzuweisen ist."
Von den alttestamentlichen Bildern, die nun entstanden, sind zu nennen: „Rebekka am Brunnen" (1833), „Die Auffindung Mosis" (1835), „Der Tod Josuas" (1836); indessen erst in dem Bilde „Mirjams Lobgesang" (1837) trat Koehlers Talent in seiner ganz besonderen Eigentümlichkeit hervor. Der Gegenstand ist hier von der glücklichsten Seite aufgefaßt: Der Durchzug Israels durch das Rote Meer ist beendet, Pharao mit seinem Heere ist untergegangen in den Fluten des Meeres, Mirjam und die Ihrigen danken begeistert dem, der so wunderbar geholfen. Das Prodigiöse, Wunderbare, der Untergang Pharaos mit seinem Heere, erscheint als bloße Andeutung in den Hintergrund verlegt; die in den dankbegeisterten Jungfrauen dargestellte Wirkung der wunderbaren Errettung bildet den eigentlichen Schwerpunkt der Komposition. Das Bild gelangte durch den Kaufverein für Rheinland und Westfalen in den Besitz des Geheimrathes Windscheid in Düsseldorf und wurde später von F. Steifensand in Kupfer gestochen.
Wenn auch die größere Zahl seiner Bilder aus den nächsten Jahren (1838--1849) wiederum biblische Personen und Geschichten zur Darstellung bringt, wie z. B. „Jakobs und Rahels erstes Begegnen" (1838), „Die Marien am Grabe" (1840), „Susanna im Bade" (1841), „Der Einzug Davids mit Saul" (1842), „Hagar und Ismael" (1844), „Der Einzug Davids in Jerusalem" (1846), „Die Aussetzung Mosis" (1848), so zeigen doch nicht wenige Bilder in diesem Zeitraum, daß er auch außerhalb der heiligen Geschichte Gegenstände genug zu finden wußte, die ihm wert erschienen, in Bildern dargestellt zu werden. Wir nennen sie in kurzer chronologischer Aufzählung: „Die Poesie" (1838), „Die Braut" (1839), „Der Frühling" (1845), ein Liebespaar unter einem blühenden Mandelbaume, und endlich „Germania" (1849), eine seiner bedeutendsten Schöpfungen, ein Nachklang des Sturmjahres 1848, eine Allegorie: Germania, bei deren Erwachen die Gerechtigkeit die scheußlichen Gestalten der Knechtschaft und der Zwietracht in den Abgrund stürzt, und der Genius der Freiheit in glorienhafter Verklärung, das Banner der Einheit emporhaltend, erscheint. (Das Bild hat leider keine Stätte im Vaterlande gefunden; es ist ausgewandert nach Amerika und in den Besitz des Herrn Böcker in New-York gelangt.)
Aus der Zeit von 1850 bis 1861 stammen „Semiramis" und „Mignon". Das erstere Bild stellt den Moment dar, wo die große assyrische Königin, umgeben von ihren Frauen, die eben beschäftigt sind, sie zu schmücken, die Kunde von dem Ausbruche eines Volksaufstandes erhält und zum Schwerte greift, die Aufrührer zu züchtigen. Die Situation ist vortrefflich ausgestaltet; der Gegensatz zwischen der orientalischen Pracht und der weichen Sinnlichkeit und dem urplötzlich aufflammenden Heldenmute ist hochpoetisch. Dies Bild aus dem Jahre 1851 mit ganzen überlebensgroßen Figuren ist eine reifere Ausbildung einer früheren Komposition desselben Gegenstandes, die jedoch nur halbe Figuren und diese in wesentlicher anderer Anordnung enthält. (Das frühere Bild (1843), lithographiert von I. Giere, war von dem Könige von Hannover erworben.) Im Jahre 1858 brachte Köhler sein letztes Bild „Mignon" (nach Goethe) in München unter großem Beifall zur Ausstellung.
Eine stattliche Reihe von Bildern ist aus seiner Werkstatt hervorgegangen. Freilich, die Zeit, wo man anfing, das Kostüm nach den alten Denkmälern oder bei Kompositionen aus späterer Zeit nach den Werken der alten Meister zu studieren, war noch nicht gekommen. So verraten denn auch Köhlers Bilder den Mangel zeitlicher und kostümlicher Charakterisierung.
Viele von seinen Bildern sind von den bedeutendsten Meistern jener Zeit, von Felsing, Giere, Massau, Steifensand, lithographiert oder in Kupfer gestochen und weit verbreitet worden. Über Koehlers weitere Lebensschicksale und seine Persönlichkeit ist nur wenig hinzuzufügen. Am 17. November 1855 erhielt er die durch den Abgang des Professors Sohn erledigte Stelle eines dritten Lehrers der Maler und Lehrer im Antikensaal, nachdem ihm schon 1852 der Titel eines Professors verliehen worden war.
Seinem Äußeren nach war Koehler mittelgroß, kräftig; er hatte einen starken dunklen Schnurrbart, und mit dem üppigen Haupthaar verdeckte er in ungewöhnlicher Weise einen roten Flecken auf der rechten Schläfe. Die beigegebene Abbildung (Stahlstich von Fr. Meyer, Düsseldorf) zeigt einen echten Künstlerkopf mit idealen Zügen, der gleichwohl seine altmärkische Abstammung nicht verleugnet. Eine natürliche Zurückhaltung bei großer innerer Leidenschaftlichkeit ließ ihn als eine eigenartige Natur erscheinen, die eigentlich nicht in die sonst so wohlerzogene ästhetisch-lyrische Umgebung des Düsseldorfer Meisterateliers hineinpaßte.
Koehler verheiratete sich in erster Ehe mit einer Holländerin. An seinem Hochzeitstage konnte er es nicht unterlassen, im Hochzeitsanzug noch einmal in sein Atelier zu gehen. Er nahm ganz instinktmäßig die Palette in die Hand und vertiefte sich halb wie an einem gewöhnlichen Wochentag in die Arbeit, bis er von seinen Freunden zur Trauung, die doch nicht gut ohne ihn stattfinden konnte, abgeholt wurde; er hatte sie vollständig vergessen.
Koehlers zweite Frau war eine geborene Diederichs, die schöne Amerikanerin, wie sie in Düsseldorf genannt wurde. Diese zweite Ehe war nur von kurzer Dauer. Wegen eines Lungenleidens mußte Koehler ein südliches Klima aufsuchen; seine Frau begleitete ihn dorthin und pflegte ihn auf das Treueste. Leider war alle diese treue Pflege vergeblich. Am 30. Januar 1861 starb er in Montpellier im südlichen Frankreich. Beigesetzt wurde er in Düsseldorf auf dem alten Friedhof.
Von Beziehungen zwischen Koehler und seiner Vaterstadt Werben ist mir nichts bekannt geworden. Man zeigte wohl noch das Haus, in dem er geboren war, man erzählte auch von einem Besuch Koehlers in seiner Vaterstadt, ohne etwas Bestimmteres angeben zu können, man bewahrte in einem Privathause einen Stich von Koehlers Bild „Die Aussetzung Mosis" auf, aber man wußte nichts über seinen Lebensgang, über seine künstlerische Entwicklung und Bedeutung. Die Stadt sollte doch das Andenken dieses ihres bedeutenden Sohnes besser ehren.
Bei einem Rückblick auf Koehlers Lebenswerk muß man die Tatkraft bewundern, mit der er alle sich ihm entgegenstellenden Hindernisse überwunden hat, um seinem Talente freie Bahn zu schaffen und in der damaligen Künstlerschaft reiche Anerkennung zu erringen. Hätte das Schicksal es ihm vergönnt, sich eine bessere Vorbildung zu erwerben und durch auswärtige Studien sein künstlerisches Talent mehr anzuregen und zu fördern, so würde er sicherlich seine Kunst zu voller Reife entwickelt haben. Hat Köhler es in seiner Kunst auch nicht zur Vollendung gebracht, so wird sein Name doch mit der Geschichte der Düsseldorfer Malerei gegen die Mitte und um die Mitte des 19. Jahrhunderts für immer aufs engste verbunden bleiben.
Literatur.
Friedrich Schaarschmidt: Zur Geschichte der Düsseldorfer Kunst, insbesondere im 20. Jahrhundert. Verlag des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf 1902. --- Friedrich Hussong: Breslauer Spaziergänge. --- R. Wiegmann: Die Königliche Kunst-Akademie zu Düsseldorf, ihre Geschichte, Einrichtung und Wirksamkeit und die Düsseldorfer Künstler. Düsseldorf 1856. --- Dr. G. Nagler: Neues allgemeines Künstlerlexikon. --- Adolf Rosenberg: Geschichte der modernen Kunst. --- R. Sohn, Bibliothekar des Düsseldorfer Malkastens: Briefliche Mitteilungen. 1899. --- Herchenbach, Lehrer und Geschichtsforscher in Düsseldorf: Sammlung von Biographien Düsseldorfer Künstler.
E. Wollesen.