Gottfried Arnold an Heinrich Julius Elers.
Von E. Wollesen, Zeitz.
Gottfried Arnold war von 1705 bis 1707 Geistlicher Inspektor in dem altmärkischen Städtchen Werben. Trotz recht gründlicher ortsgeschichtlicher Forschungen war es nicht möglich, Näheres über das Leben und Wirken dieses bekannten Kirchen- und Ketzerhistorikers in Werben zu finden. Ich war daher sehr erfreut, als mir in Halle Gelegenheit gegeben wurde, Briefe einzusehen, die Gottfried Arnold in der Zeit seines Werbener Amtes an Heinrich Julius Elers, den Begründer der Hallischen Waisenhaus-Buchhandlung, geschrieben hatte. Zwar erfüllte sich meine Hoffnung, auch für die Werbener Chronik einige interessante Nachrichten zu finden, nicht, aber ich entdeckte doch manches, was mir einer Veröffentlichung gerade in dieser Zeitschrift wert zu sein schien.
Es handelt sich um neun Briefe. Den breitesten Raum nimmt darin die Frage ein, ob H. J. Elers bereit und imstande sei, einen Traktat Arnolds zu drucken und zu verlegen. Über diesen Traktat schreibt Arnold am 16. November 1705: Auf vieles Begehren habe er etwas vor, von den Fehltritten und Abwegen gutwilliger Seelen aus lauter alten Schriften aufzusetzen. Am 6. März 1706 meldet er, daß die Schrift auf Ostern ganz fertig und zwei Alphabete stark sein werde, und am 5. Oktober 1706, daß er den vorigen Winter einen studiosum deswegen zum Schreiben gehalten habe. Im Winter 1705/06 hat Arnold also die Schrift „von den Abwegen der Frommen", wie er sie selber einmal kurz nennt, in Werben geschrieben und zu Ostern 1706 vollendet. Der Druck der Schrift verzögerte sich ganz auffallend lange, denn erst Michaelis 1707, also 1½ Jahre nach der Fertigstellung, wurde er vollendet. Unwillkürlich fragt man nach den Gründen solcher Verzögerung. An Mahnungen, den Druck zu beschleunigen, hat es Arnold wahrlich nicht fehlen lassen. War etwa das Verhältnis zwischen Arnold daran schuld? Sicherlich nicht; es war ja das allerbeste. Wir entnehmen das aus den Grüßen am Schlusse der Arnoldschen Briefe. Da heißt es in einem Briefe: „Verbleibe unter göttlicher Erbarmung Geliebten Bruders treu verbundener G. Arnold", in einem andern: „Ita vale in Domino Jesu et ama Tuum G. Arnold" und in einem dritten: „Und verbleibe in der Gnade Gottes Geliebten Bruders liebschuldiger G. Arnold." Danach hätte Elers sicherlich gern alles getan, um den Wunsch seines Freundes zu erfüllen und den Druck zu beschleunigen. Einmal kamen dem über die Verzögerung grübelnden Arnold wunderbare Gedanken; am 5. Oktober 1706 schrieb er: „Sollten auch etwa wegen einiger Erkenntlichkeit pro labore Bedenken vorfallen (welche ich bei diesen Umständen, und da ich den vorigen Winter einen studiosum deswegen zum Schreiben gehalten, conditionieret), so wollte gern ein Päckchen Bücher davon mitnehmen, um Sie zu erleichtern." Elers fühlte sich vielleicht, so meinte Arnold, verpflichtet, ihm, dem Verfasser des Traktates, für die viele Mühe, die er dabei gehabt, und für die Kosten, die er aufgewandt, etwas von Honorar anzubieten, und wäre wohl nicht in der Lage, das zu tun. Das sollte wohl aber kein Grund der Verzögerung sein; er sei ja zufrieden, wenn er ein Päckchen Bücher davon mitnehmen könne. Aber vielleicht lag der Grund der Verzögerung in der Überfülle der beruflichen Arbeit, die gerade in jenen Jahren schwer auf Elers lastete, war er doch gerade damals dabei, die Druckerei und die Buchhandlung immer fester zu gründen, immer weiter auszubauen. Und wohl, auch darin lag nicht der eigentliche Grund. Wir werden ihn tiefer zu suchen haben. Arnold selbst deutet ihn in dem letzten der uns vorliegenden Briefe an: „Geliebter Bruder, wird's nicht ungleich deuten, daß ich von der Sache deutlich schreiben muß, weil ich sorge, daß der Feind wider solche nöthige Zeugnisse allerhand machinieren möchte." Arnolds Schriften bedeuteten für die damalige theologische Schriftstellerei etwas ganz Neues, Eigenartiges; er schlug in seiner Kritik ganz neue Wege ein; kein Wunder, daß er auch auf diesem Gebiete seines Wirkens neuen Gegner fand. Das mochte sich auch bei dem neuen Traktat mit dem auffallenden Titel „Von den Fehltritten und Abwegen gutwilliger Seelen" zeigen. Als die Absicht, ihn in der Druckerei des hallischen Waisenhauses herzustellen, bekannt würde, mochte Elers unter den gegnerischen Theologen auf manchen Widerstand stoßen, so daß er es im Interesse seines Freundes Arnold für besser hielt, den Druck zu verzögern. Gewiß, die Freunde Arnolds begehrten eine solche Schrift, die Feinde lehnten sie entschieden ab. Arnold hatte wahrlich in seinem bisherigen Leben schon genug Haß, Neid und Verfolgung erduldet --- sollte Elers die Kümmernis seines Freundes noch vermehren?
Aber die Briefe enthalten auch sonst noch manches Interessante. Sie werfen ein helles Licht auf das Verhältnis Arnolds zu den anderen hallischen Pietisten, insbesondere zu August Hermann Francke. In einem Brief heißt es: „den lieben Herrn Francke und andere Freunde bitte indeß herzlich zu grüßen", und in einem anderen: „Bitte, H. D. Antonius (welcher es wohl censieren würde) und H. P. Francke wie auch die andern Freunde der Wahrheit herzlich zu grüßen."
Es muß damals ein immerhin reger Austausch von Büchern und Schriften zwischen Halle und Werben, zwischen Elers und Arnold stattgefunden haben. Um was für Bücher und Schriften mag es sich gehandelt haben? Die Briefe nennen 2 Petersens Katechismus, 1 Reuseners Psalter, 20 Neue Testamente, ferner 50 „Sirach"; Arnold hatte die Sprüche, Weisheit und Sirach übersetzt, erklärt und in Halle drucken lassen. Die Schriften nahmen ihren Weg von Halle über Magdeburg und Havelberg nach Werben, einen Weg, den Arnold einmal ausdrücklich „richtig und geschwind" nennt. Der studiosus, der im Winter 1705/06 den Traktat in Werben abgeschrieben, bekam von Arnold den Auftrag, ein Paket Bücher aus Halle oder Leipzig in der Messe mit nach Werben zu bringen.
Es ist nicht viel, was wir in diesen Briefen über Gottfried Arnold in Werben erfahren; immerhin zeigen sie uns einen Werbener Geistlichen Inspektor, der sich durch große Gelehrsamkeit, durch eifriges Studium, durch unermüdliche Arbeitsamkeit auszeichnete. Das kleine Werben kann stolz darauf sein, einen solchen Mann wenigstens einige Jahre in seinen Mauern beherbergt zu haben.
In der Hallischen-Waisenhaus-Bildersammlung befindet sich ein Bild Gottfried Arnolds mit dem folgenden Vers:
Ich zeigte die Gestalt der ersten Christen an
und war der Frömmigkeit auch selber zugethan;
der Ketzermacher Kram hat mich was schwartz gemacht,
doch wer was Gutes liebt, dem bleib ich werth geacht.