Zur Geschichte des Kollegiatstifts Zeitz im 16. Jahrhundert.
Von E. Wollesen, Zeitz.
Die Zeitzer Stiftsbücherei birgt viele Kopialbücher des 15. und 16. Jahrhunderts in sich. Die Aufgabe, die Geschichte einer Familie zu erforschen, machte mich mit diesen Büchern bekannt. Unter dem Forschen dehnte sich das Interesse an der Familiengeschichte zum Interesse an der Geschichte des Zeitzer Kollegiatstifts in jener Zeit. Und dieses Interesse ließ in mir den Entschluß reifen, ein möglichst anschauliches Bild von dem Leben und Treiben der Mitglieder dieses Stifts, der Prälaten und Präbendarien, der Beamten und Vikare, zu zeichnen. Es war nicht leicht, diesen Entschluß zur Tat werden zu lassen, bot doch die Schrift[1]) dem Leser manche Schwierigkeit dar. Eines wird sich uns bei dem Anblick dieses Bildes mit immer größerer Gewißheit herausstellen: Auch hier war eine Reformation an Haupt und Gliedern dringend notwendig. Vorausgeschickt diesen Ausführungen seien einige erläuternde Bemerkungen über die Stellung des Zeitzer Kollegiatstifts und über seine Entstehung.
Das Bistum Zeitz war bekanntlich 968 begründet. Der Sitz desselben war Zeitz. Aber schon 1028---1032 wurde der Sitz des Bischofs nach Naumburg verlegt, weil, wie die einen sagen, der Bischof in Zeitz nicht genug vor den Einfällen der Feinde sicher war, weil, wie ein anderer, der Bosauer Mönch Paulus Lange, boshaft bemerkt, das Bier in dem neuen Bischofssitze besser und stärker war, als in dem alten. Es begann nun ein langjähriger Streit zwischen der alten und der neuen Bischofsstadt. Endlich, 1230, wurde dieser Streit beigelegt; man einigte sich auf folgende Punkte: Das Zeitzer Kapitul begibt sich der Konkurrenz bei der Bischofswahl, das Naumburger Kapitul macht sich verbindlich, den Zeitzer Propst in sein Kapitul als Canonicum mit diesen Vorrechten aufzunehmen, daß er bei der Bischofswahl das 3. votum sogleich nach dem Decano, in choro locum iuxta Praepositum, in stationibus et processionibus aber post Decanum proximum locum haben soll. Demnach ist Zeitz nunmehr eine ecclesia collegiata geworden. Das Kapitel hat den Namen „Stiftskapitul zu Zeitz". Hervorgewachsen ist dieses Kapitel natürlich aus den Priestern der Peterskirche, die bei der Verlegung des Bischofssitzes im Jahr 1028 blieben, um den Dienst an der Kirche weiter zu versehen. Durch viele milde Stiftungen vergrößerte es sich je länger, desto mehr. Viel zu seiner Bedeutung trug es bei, daß die Bischöfe in späterer Zeit trotz der Verlegung ihres Bischofssitzes nach Naumburg doch zumeist in Zeitz residierten, besonders als später der Ankauf des Landgerichts vom „Roten Graben" ein weltliches Herrschaftsgebiet um Zeitz schuf. Von hier aus regierten sie ihr geistliches und weltliches Gebiet. Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich das Kapitel so vergrößert, daß zur Zeit der Reformation 12 Präbenden und 24 Vikarien gezählt wurden. Es gab, um es genauer zu sagen, 11 Major-Präbenden, dazu noch 2 Regal-Vikarien, die als die 12. Major-Präbende gezählt wurden. Außer diesen 12 Major-Präbenden gab es noch 2 Minor-Präbenden, von denen die eine Major-Minor-, die andere Minor-Major-Präbende genannt wurde. Von den Inhabern dieser Präbenden residierten fünf in Zeitz; von den anderen Domherrenpfründen seien vier besonders hervorgehoben: 1. Die Marchionalpräbende, die vom Landesherrn verliehen wurde, und zwar von 1573 bis 1756 an Nachkommen Dr. Martin Luthers; 2. die Universitätspräbende, die der 3. theologische Professor an der Leipziger Universität seit 1414 zu seiner Besoldung erhielt; 3. und 4. Präbenden, die an Halberstädter Domherren verliehen wurden. Es gab zwar im Kirchenrechte die Bestimmung, daß zwei Kirchenämter nicht in einer Hand vereinigt sein durften, doch konnten Ausnahmen gegen besondere Abgaben nach Rom bewilligt werden. Der Bischof Julius Pflug brauchte nicht nur den Altersdispens, sondern auch den als Inhaber mehrerer Würden, war er doch Domherr und später Dekan zu Meißen, Domherr in Mainz, Propst und Bischof in Zeitz und einige Male wird ihm auch eine Domherrnstelle in Merseburg zugeschrieben. Von Johann von Heilingen hören wir 1555 ausdrücklich, daß er, der Halberstädter Kanonikus, als gleichzeitiger Zeitzer Domherr nach Zeitz zur Teilung der durch den Tod von Wolf Leysen erledigten Obödienzen berufen wird.
Es war nicht leicht, eine Präbende zu erlangen. Um eine Exspektanz zu erlangen, war die Zahlung von 38 Gulden Statutengeld nötig, und zwar erhielt davon der Domkirchner 4, erhielten die Choralisten 1 Gulden, während die übrigen 33 unter die residierenden Domherren verteilt wurden. Aus dem Jahre 1548 sei der Bericht über die Nachsuchung einer Exspektanz mitgeteilt: „Am 29. Okt. ejd. a. erschien vor dem Kapitel der persönlich bekannte Georg Bertram. Ihm war von seinem Vater Johann Bertram beigegeben Brosius Fritzschke, der nun bittet, den Georg Bertram in exspectantiam recipere." Das geschieht; es heißt dort: „et ad matriculum nostrum intitulari fecimus". Dabei waren als Zeugen die Zeitzer Bürger Johann Pistor und Matthaeus Sichling. 25 Gulden wurden gleich für die exspectatio bezahlt; die übrigen 12 verspricht der Vater Johann Bertram bis zu den ersten Leipziger Messetagen zu bezahlen. Darnach waren zwei Zeugen und ein Fürbitter bei dem Vorgang nötig. Das Zeitzer Kapitel, vor dem Georg Bertram damals erschien, setzte sich aus den folgenden Mitgliedern zusammen, dem Herrn Basilius Wilde, Daktor und Dekanus, Wolfgang Leysen, Michael Arnold, Liz., Felician de Beschwitz et Petrus a Neumark, Doktor. Es scheint, als habe man dem Georg Bertram 1 R. Statutengeld erlassen. Wurde durch den Tod oder durch Aufrücken in eine große Präbende eine kleine frei, so konnte der Exspektant in diese einrücken. Die dazu nötigen Bedingungen erfahren wir aus einem um die Mitte des 16. Jahrhunderts an Rudolf von Bünau geschriebenen Brief des Kapitels; darin heißt es: Wenn Rudolph von Bünaus Sohn auf Ceuchern die kleine Präbende haben will, so muß er primam tonsuram und die erste Weihe haben, die ganzen Statuten erledigen und mit seinem Vater hier erscheinen. Der Vater soll für den Sohn, der wegen seines jugendlichen Alters noch nicht vereidigt werden kann, geloben, daß der Sohn der Kirche Gebräuche und Gewohnheiten halten werde. Sollte der Vater nicht kommen können, so müßte ein von ihm Bevollmächtigter erscheinen. Im Jahre 1553 rückte Matthäus Bräunsdorf in die durch den Tod des Nicolaus von Loch erledigte Major-Präbende und Rudolf von Bünaus Sohn in die von Matthäus Bräunsdorf erledigte Minor-Präbende. Um eine solche Präbende zu erlangen, war aber noch die Zahlung von 56 R. nötig, die der Fabrica, der Kirchenbaukasse, zufielen. Von den Söhnen des um Zeitz wohnenden Stiftsadels wurden die Präbenden sehr begehrt; es seien von den jungen Adligen jener Zeit nur die folgenden erwähnt: Felix von Beschwitz erlangte 1530 eine Minor-Präbende, nachdem Fabian, Amtmann zu Schönburg, und Christoph zu Zangenberg, beide Gebrüder von Beschwitz, für ihn gebeten hatten; 1553 verzichtete Bischof Julius von Pflugk zugunsten des Conrad von Breitenbach auf Kanonikat und Präbende; ein 1549 verstorbener Christophorus von Breitenbach hatte gleichfalls solche Präbende gehabt; 1556 erhielt Heinrich von Puster auf Drautzschen ein Zeitzer Kanonikat, 1568 Bernhard von Wulkows auf Salsitz Sohn Melchior. Unter diesen Präbendarien brachte es Heinrich von Puster bis zum Zeitzer Propst und zum Naumburger Dechanten.
Daß die Marchional-Präbende lange Zeit an die Nachkommen des Reformators verliehen wurde, ist schon oben bemerkt. Wir führen hier kurz die folgenden an:
a) Paulus Luther, Sohn des Reformators, geboren am 28. Januar 1533 zu Wittenberg, gestorben am 8. März 1593 zu Leipzig, 1576 vom Kurfürsten mit der Präbende electoralis beliehen; er war Dr. med., Professor zu Jena, Leibarzt Kurfürst Augusts und Christians zu Sachsen und Kurfürst Joachims von Brandenburg.
b) Johann Ernst Luther, Sohn des vorigen, Canonicus zu Zeitz, Senior und Custos, er wurde in der Zeitzer Schloßkirche begraben, nachdem er am 30. November 1637 gestorben war.
c) Johann Martin Luther, Erbherr auf Hohburg bei Wurzen, Dompropst zu Meißen, dann zu Zeitz und Wurzen, auch Stifts-, Justiz- und Konsistorialrat zu Wurzen.
d) Der gleichnamige Sohn des vorigen.
Die Domherren wohnten in Häusern, die dem Stiftskapitul gehörten. Diese Häuser lagen in der noch heute „Domherrenstraße" genannten Straße und um den ehemaligen Nikolaikirchhof herum. Die Propstei lag an der Stelle, an der heute das Mädchen-Volksschulgebäude errichtet ist. Die Lage einiger Höfe wird in dem Folgenden näher bestimmt werden. Die Häuser blieben Eigentum des Kapituls; sie wurden den Domherren auf Lebenszeit überlassen, fielen aber nach deren Tode wieder dem Kapitel anheim. So hatten, um ein Beispiel anzuführen, Melchior von Wulkau zu Wengelsdorf und Esther, seine Ehefrau, einen Domherrnhof auf der Freiheit „auf beider Leibe" erkauft. Derselbe soll nach ihrem Tode wieder dem Kapitul zufallen, ohne daß ihre Erben einen Anspruch daran erheben, auch nicht Geld fordern dürfen für das, was an dem Hof gebessert ist. Das war im Jahre 1551. Oder ein anderes Beispiel: Das Kapitel verkauft 1554 dem Felician von Beschwitz, canonicus in Zeitz, auf Leben seiner Frau Brigitta, geb. Marschalkin, den Domherrnhof, hinter S. Niklas-Kirchhof und an dem Badstubentore an einer Seite und der Behausung S. Materni an der andern Seite gelegen, mit seinem zugehörigen Garten und Einfahrt und dem Stall, der daran gelegen ist, zur Hälfte, für 30 R. Dazu soll er 50 R. geben, mit denen der Hof gebessert werden soll, ferner jährlich 6 R. an den Bau anwenden und ein Licht von 2 Pfund Wachs der Kirche stiften. Und nun noch ein 3. Beispiel: Matthaeus Braeunsdorff, canonicus zu Zeitz, hatte bisher den am Stephanstor belegenen Domherrnhof, der zur Kapelle S. Margarethae gehörte, besessen (wohl an der Stelle des jetzigen Gasthofs zum „Palmbaum" gelegen). Diesen Hof hatte er dem Georg von Carlowitz, Domherrn zu Zeitz, doch vermittelst des 35 R. ausmachenden precii curiae zukommen lassen. Diese 35 R. sollten dem Kapitel eigentümlich zustehen. Nun kaufte der Braeunsdorff den Domherrnhof in der Domherrenstraße an der Kapelle Erasmi gelegen, den bis dahin Melchior von Wulkau und seine Ehefrau erkauft hatten und der nun dem Stiftskapitel wieder anheimgefallen war, für 100 R. unter dem Versprechen, den Hof in baulichem Zustande zu erhalten. Aber „er soll auf solchem Haus pro precio curiae nicht mehr denn 60 R. zu gewarten haben, soll auch darauf auf seine Erben und Testamentarien nicht mehr denn 60 R. zu vertestieren haben". Wir hören von drei Kapellen, die auf Domherrenhöfen lagen, in der Domherrenstraße (Freiheit) die Kapellen Erasmi sowie Marthae et Pauli und vor dem Stephanstor die Kapelle Margarethae. Dem Kapitel gehörte auch das Patrizierhaus am Brühl (das jetzt Köttnitz'sche Haus), das Heinrich von Pufter bewohnte, dann aber (1608) an Rudolph von Bünau, Kurf. Appellationsgerichtsrat und Fürstl. Geh. Rat zu Zeitz, verkauft wurde. Später wohnte der gelehrte Kanzler Veit von Seckendorf in diesem Hause.
Die amtlichen Pflichten der Domherren waren nicht schwer. Sie hatten Messen an den vielen Altären der Domkirche und der Kapellen zu lesen. Da sie aber zum Teil gar nicht dazu berechtigt waren, lasen sie die Messen nicht selber, sondern ließen sie durch Vikare lesen; dafür gaben sie ihnen Geld, und zwar den in Zeitz residierenden 8 a. Schock, den nicht in Zeitz residierenden 16 a. Schock jährlich für jede wöchentliche Messe. Damit waren ihre eigentlichen amtlichen Pflichten erfüllt, höchstens, daß sie an den Sitzungen des Kapitels und an den Feiern der Kirche teilzunehmen hatten. Ihr Leben war das der Patrizier damaliger Zeit; nur mußten sie ehelos bleiben. Das wurde zur Zeit der Reformation anders. Wir hörten schon oben, daß die beiden Domherren Melchior von Wulkau und Felician von Peschwitz verheiratet waren, die Ehefrau des ersteren hieß Esther, die des letzteren Brigitte, geb. Marschallin. Als aber Julius Pflug Bischof geworden, kehrte man anscheinend zur alten Praxis zurück; das Kapitel erhob 1560 dagegen Einspruch, daß die beiden Domherren Michael Arnold, der Rechte Lizentiat, und D. Johann Rothe trotz ihrer Verheiratung die Gerechtigkeit ihres Kanonikats weiter genossen. 1564 beschwerte sich Michael Arnold bei dem Kurfürsten August über das Kapitel, welches ihn wegen seiner Verheiratung verachtet und seines loci in capitulo entsetzt habe. Leider geht aus den vorliegenden Akten nicht hervor, wie der Kurfürst entschieden hat. Wir wissen, daß die Dekane Basilius Wilde und Konrad von Breitenbach (1556---1580) noch ganz der alten Lehre zugetan blieben, und daß erst D. Johann von Cracau, ihr Amtsnachfolger, sich 1580 öffentlich zur evangelischen Lehre bekannte und sich in den Ehestand begab[2]).
Über das sittliche Leben hören wir manches Beklagenswerte; wir heben daraus nur das Folgende hervor: Der Domherr Felician von Peschwitz hat 1558 einen Schlosser in der Domherrngasse geschmäht und an den Hals geschlagen, allerlei unchristliche Gotteslästerung getrieben, den Geistlichen bei der Bürgerschaft einen bösen Willen erweckt und Gott den Allmächtigen höchlich verletzt. Zur Strafe mußte er von Dienstag nach Francisci bis Freitag Tag und Nacht in der Kapitelsstube bei Verlust alles seines Einkommens Gehorsam halten. Der Domherr Matthaeus Braeunsdorf begann ein Schreiben an den Zeitzer Rat unter dem 2. Nov. 1575 also: „Es hat ein ziemlich Ansehn, daß ein solcher geistlicher Prälat, wie der Thumdechant von Naumburg sein will, in seinem Alter sogar mit unverschämten tölpischen Worten, deren sich der gröbste Eselskopf für einer so ansehnlichen Kurf. Regierung schämen müßte, seine cainische vergiftete Bitterkeit also an den Tag giebt." Der Schreiber dieses Briefes verteidigt sich gegen zwei Vorwürfe, die ihm D. Rothe gemacht hat, er habe ihm nichts von dem Tuchlegat und nichts für die Durchsicht der Kirchenrechnung zukommen lassen. Von etlichen Geistlichen war ein Tuchlegat für Arme gemacht worden; Matthäus Bräunsdorf hat nun das erkaufte Tuch an die Armen verteilen lassen, ohne davon etlichen Domherren etwas abzugeben, worüber die letzteren ärgerlich waren. Für diejenigen, welche die Kirchenrechnung „übersehn und überlegen", ist ein sogenanntes Komputationsgeld (1 Neuschock) bestimmt. Matthäus Bräunsdorf meint, D. Rothe habe keine Mühe um die Rechnung gehabt, könne also auch von jenem Geld nichts beanspruchen. Matthäus Br. scheint danach vorhandenen Mißbräuchen kühn entgegengetreten zu sein. Er stieß damit bei seinem Gegner auf heftigsten Widerstand, ließ sich aber, wie es heißt, von dessen „unbescheidenem Calumniren das Maul nicht stopfen". Er scheint aber doch viel zu weit gegangen zu sein, denn in einem Entwurf zum Eingang des Abschiedes in Sachen Matthaeus Braeunsdorf und Philipp Holler heißt es, daß sie sich gegen das Kapitel in Zeitz ganz ungehorsam erzeiget, ihm nicht allein, was sie vermocht, zuwider getan, sondern auch an dessen Ehren in einer Schrift, so durch sie an den Kurfürsten, auch sonsten ausgegangen, zum Höchsten injuriiert und geschmähet hätten. --- Übertretungen des 6. Gebotes fehlen auch unter den Domherren nicht: Schon 1524 werden die beiden Herren Johann von Leimpach und Balthasar Zschackau solcher Vergehen beschuldigt.
Von milden kirchlichen Stiftungen hören wir aus dieser Zeit nichts, wohl aber von zwei weltlichen Stiftungen: 1524 stiftete das Kapitel 50 Gulden zum Bau der steinernen Brücke über die Elster „gegen dem Dorfe", und zwei Jahre darnach gab der Propst Haubold Pflug aus gutem Willen 30 Gulden zu dem folgenden Zwecke: Die Elster hatte oberhalb des Wehres der Obermühle einen andern Gang genommen, so daß nicht mehr gemahlen werden konnte. Nun sollte die Elster wieder in den alten Mühlgraben gebracht werden. Es wird darüber ein Rezeß zwischen dem Statthalter und den Räten von Zeitz an einem und Ehrhart Feuerabend, Befehlshaber der Propstei, am andern Teil aufgerichtet. Die Entscheidung über die Kostenbeiträge wird den Leipziger Ordinarien überlassen. Haubold Pflug hält es für angebracht, aus gutem Willen, nicht um der Propstei willen, die obige Summe darzureichen.
Über das Einkommen der Domherren finden wir eingehende Nachrichten in „Mark Zeitz" 1926, Nr. 75. Der Verfasser, Herr Conrad Braun, bemerkt darüber: „Ihre Einnahmen betrugen rund 200 Gulden, mit Ausnahme des Propstes, der viel mehr hatte. Der Dekan hatte 213 Gulden, der folgende 182 Gulden Einkommen, wobei die „residierenden" sich noch in gewisse Allgemein-Einnahmen teilten, die ihre Einnahmen nicht unbedeutend verbesserten." Solche Einkommensteile bildeten die sogenannten Obödientien, deren man in den umliegenden Dörfern 39 zählte. Sie wurden unter die Domherren verteilt; starb einer, so wurden seine Obödientien unter die anderen verteilt; so heißt es z. B. 1569: „Zur Teilung der durch den Tod des Doktor Michael Gedicke erledigten Obödientien werden in Naumburg in einem Generalkapitel zu Divisoren ernannt D. Johann Rothe und Matthaeus Braeunsdorf." Unter den Obödientien verstand man die verschiedensten Abgaben, die auf den einzelnen Höfen der Dörfer ruhten.
Wir könnten mit diesen Ausführungen über das Zeitzer Stiftskapitel im 16. Jahrhundert schließen; wir wollen es aber nicht tun, sondern noch einige Nachrichten über die doch auch in weiterem Sinne zum Stiftskapitel gehörenden Ämter und Vikareien hinzufügen. Es gab damals die folgenden 10 Beamten oder Ämter: 1. Custos oder Custodia, 2. Scholasticus oder Scholasteria, 3. Fabrica, 4. Baumeisteramt, 5. Granarius, 6. Officium scholae, 7. Oculus oder Oculatus, Bursarius oder Praecentor, 8. Organist, 9. Subcustos oder Sub-Custodia, 10. Pistrinarius oder Cellerarius. Die Fabrica ist die Kirchenbaukasse. Der Granarius hatte die Hühner-, Gänse-, Geld- und Getreidezinsen einzuziehen. Unter dem zum Chore gehörigen Oculus werden wir den Beamten zu verstehen haben, der die Aufsicht über den Chor zu führen hatte, unter dem Pistrinarius oder Cellerarius den Kellermeister und Mühlenaufseher, der zugleich die Aufsicht über den Weinberg hatte. Ihre Einnahmen bezogen diese Beamten zumeist aus den Altarstiftungen; so gehörte der Altar Mariae et Matthiae zum Orgelamt, der S. Blasii zum Baumeister-, der S. Annae zum Schulamt, der andere Altar S. Annae, die Rockenbachsche Stiftung, zum Syndikat, der Altar S. Nicolai zum Oculat, der Altar S. Elisabethae in frigido campo zur Fabrica. Die Zahl der Altäre in der Stiftskirche und in den besonderen Kapellen war sehr groß; Braun berechnet sie auf 24.
Neben diesen Beamten gab es eine große Zahl Vikare, deren Hauptaufgabe der Dienst an den Altären war; sie wurden teils vom Bischof, teils vom Propst, teils von Domherren oder von Angehörigen der Familie, welche die Vikarei gestiftet hatte, ernannt. Zu einigen Domherrenstellen gehörten, wie oben schon bemerkt wurde, besondere Kapellen; die Inhaber jener Stellen hatten die Vikare an diesen Kapellen zu ernennen. Eigene Häuser hatten die Regal-Vikareien, die vicaria s. crucis, Bartholomaei, Mauritii, S. Iohannis et Laurentii sub crypta, omnium sanctorum, S. Materni et Catharinae.
Die Wohnungen aller zum Stiftskapitel gehörigen Geistlichen höheren und niederen Grades lagen in der Zeitzer Unterstadt, die also so recht eine Stadt der Geistlichen war. Lag diese Stadt freilich nicht auf dem Berge, sondern in der Ebene, so erinnert sie uns doch an die Bergstadt, von der es heißt: „Es kann die Stadt, die auf dem Berge liegt, nicht verborgen bleiben", d. h. es kann das, was geistig hervorragt, nicht verborgen bleiben; es macht seinen Einfluß auf die Umgebung geltend; man sieht es, man kritisiert es, man richtet sich danach. Man sollte meinen, diese Zeitzer Unterstadt wäre eine Musterstadt gewesen, eine Stadt, deren frommes sittliches Leben weit in das Stift Zeitz hineingeleuchtet hätte. Aber wie war es denn nun in jener Zeit? Fiel schon auf das Verhalten der Domherren mancher trübe Schatten, --- viel finsterer waren die Schatten, die sich über das Verhalten der Kapläne, der Vikare, der Chorleser breiteten. Um Beweise dessen führen wir aus der reichen Fülle der in den Kopialien aufgeführten Fälle nur einige an:
Verhältnismäßig unschuldig war es noch, wenn sich 1523 der Oculus und Kaplan Caspar Tham mit einem Chorschüler, wenn sich im folgenden Jahre der Custos Wolfgang Tham mit Adam Heile, Caspar Thamens Chorleser, in der Kirche geschlagen hatte; viel böser waren die folgenden Streitfälle aus dem Jahre 1524:
Caspar Guldel, Chorleser, und Philipp Thym, der Kaplan des Domherrn Heinrich von Stammer, haben sich auf der Domfreiheit in dem Hause der Vicaria S. Gotthardi geschlagen, weil ersterer den letzten „Verräter" gescholten. Philipp hat den Caspar mit der Faust zur Erde geschlagen. Philipp ist in seine Kammer entwichen. Caspar hat in seiner Kammer sein Messer geholt, mit demselben nach Philipp geschlagen, aber nicht getroffen, denn Philipp hat sich des Schlages mit seinem Messer „aufgehalten". Sie sind beide in sententiam canonis gefallen, a sententia canonis in praesentia D. Decani a vicario Reverendo in spiritualibus a ministrantis absolvirt, aber ratione excessus, ut emendarentur seu punirentur, an ein Capitul gewiesen und remittiert.
Derselbe Caspar Guldel muß ein schlimmer Mensch gewesen sein, denn noch zweimal muß er vor das Kapitel gefordert werden, einmal, weil er das 6. Gebot gröblich übertreten hatte, und sodann, weil er sich in dem Nonnenkloster mit ungebührlichen Worten hatte vernehmen lassen.
Als zwei Chorschüler auf Markt und Straßen mit Lärm und Geschrei die ehrsamen Bürger beunruhigt hatten, wurden sie von den Stadtknechten ins Gefängnis geworfen und am anderen Tage dem Dechanten überantwortet.
Aus dem Jahre 1532 hören wir, daß Andreas Thilemann, vicarius, bei Herrn Christophs Hause den Wächter Peter Ochs aufs Maul geschlagen und dann mit einer „Wehre" dreimal über den Rücken geschlagen habe. Er wurde von dem Kapitel mit dem „Kreuzgang" gestraft, d. h. dazu verurteilt, bestimmte Zeit den Kreuzgang nicht zu verlassen.
Noch schlimmer trieb es zwei Jahre darauf Udalricus Rischke, vicarius S. Spiritus, in vigilia palmarum. Er schlug in Balthasar Herdings Behausung seine Schwester freventlich mit einem Stecken über ihre Lenden braun und blau geschlagen und verwundete sie unter dem Angesicht. Von ihrem Ehemann wurde er bei dem Kapitel verklagt und dann von letzterem bestraft.
Und nun noch einige schlimme Geschichten von Chorlesern aus der Zeit 1553---1555:
Ein Chorleser Johann Erbmann hatte sich, als er zu einer Hochzeit gereist war, auf dem Tanzboden vergriffen, hatte gefrevelt und eine „Wehre" gezogen. Die „Wehre", nämlich ein Stoßdegen und ein langes Messer, wurde ihm genommen, er auch gefänglich eingezogen, dann aber dem Kapitel überantwortet. 1554 wurde Matthias Reichmann in der Stadt eines erhobenen Rumors willen eingezogen. In demselben Jahre hatte Herr Laurentius Boheme, ein Chorleser, Matthias Reichmann, einen Choralen, in der Kramergasse am Kopf verwundet; dafür sind sie von Sebastian Krüll, Richter zu Zeitz, an das Kapitel gewiesen. Ihnen ist auferlegt, der Kirche Wachs zu geben, u. zw. mußte Laurentius 20 Pfund und der andere 10 Pfund geben. Und nun kommt zum Schluß die allerschlimmste Geschichte: Laurentius, der Choralis, den man den Mönch zu nennen pflegte, hatte viel Unlust mit seinen Chorgesellen, mit seinem ehelichen Weibe und ihrer Mutter. Er hatte sonderlich sein Weib des andern Tages nach ihrer Niederkunft aus dem Wochenbett geworfen, ihr das Patengeld genommen, sie geschlagen und fast das Kind mitbeschädigt. Daraus erwuchs ein Zetergeschrei auf der Gasse. Darüber hatte er Urlaub genommen, auch seinen Abschied nehmen wollen. Aber als er nüchtern geworden, kam er doch mit der Bitte, ihn wieder anzunehmen. Das haben die „Herren" getan, nachdem er versprochen, sein Weib in ihrem Wochenbett in Frieden zu lassen, sich des Nachts der Choralei zu enthalten, auch am Tage nicht darin zu sein, denn nur zur Früh- und Abendmahlzeit und eine Stunde nach jeder Mahlzeit und nicht mehr denn für ½ Schilling Bier holen zu lassen und neben seinem Weibe auszutrinken, ob er durch göttliche Hilfe dadurch möchte witzig bleiben. Sonst würde er ernste Strafe erhalten.
Welche düsteren Bilder sind da an unserem geistigen Auge vorübergezogen! Domherren, die gegen das 6. Gebot und gegen manches andere Gebot verstoßen, Kapläne, die sich mit Chorlesern herumgeschlagen, Vikare, die es nicht besser gemacht, Chorleser und Chorschüler, die sich auf den Straßen der Stadt gerauft! Was für einen schlimmen Eindruck müssen alle diese Vorgänge auf die ehrsamen Bürger von Zeitz gemacht haben! Wahrlich, nun können wir es verstehen, wenn die Zeitzer Bürgerschaft, an ihrer Spitze der Rat der Stadt, sich der Reformation Luthers zuneigte. Wie not tat dem Zeitzer Stiftskapitel und seinem Anhang eine Reformation an Haupt und Gliedern! Sie mußte kommen und sie kam, wenn auch erst spät.