Zur Geschichte des Theenhofes bei Berge an der Elbe.
(Von E. Wollesen, Zeitz.)
In dem ersten Teile der „Beiträge zur Geschichte des Kreises Osterburg", S. 223 bis 226, habe ich alles das angeführt, was ich bisher über den bei Berge in der altmärkischen Elbwische gelegenen Theenhof gefunden hatte. Es war nicht viel. Ich wiederhole es hier kurz: „In einer Tauschurkunde des Havelberger Bischofs mit dem Bistum Halberstadt vom Jahre 1186 werden 4 Hufen in villa Then, in der Wische gelegen, erwähnt. Diese Besitzung des Bistums Havelberg wird in der Bestätigungsurkunde Markgraf Albrechts II. vom Jahre 1209 gleichfalls erwähnt ebenso wie im Jahre 1349, als das Kloster Dambeck mehrere Hebungen in der Nähe von Werben dem Werbener Johanniter-Ordenshause überließ. Hier sowie in der Bestätigungsurkunde von 1351 wird neben Thene noch ein Oberthene genannt." Wie manche andere Dörfer in der Werbener Umgegend verschwinden auch diese beiden Dörfer Thene, und es bleibt nur ein Hof übrig; ich erinnere an das ehemalige Dorf Wolfswinkel zwischen Werben und Räbel, an das ehemalige Dorf Kamerick zwischen Werben und Wendemark. Ueber den Hof Thene fand ich bei meinem letzten Aufenthalt im Magdeburger Staatsarchiv einen gewaltigen Aktenstoß vor, der einen Prozeß zwischen Matthias Pletz, dem Besitzer des Thenhofes, und dem Werbener Bürgermeister Andreas Goldbeck behandelte und die Zeit von 1588 bis 1616 umfaßte. Es kann hier nicht die Aufgabe sein, diesen Prozeß in allen seinen Einzelheiten zu schildern, sondern nur, ihn nach seinem Hauptinhalt zu kennzeichnen und die geschichtlichen Tatsachen daraus hervorzuheben.
Es war im Jahre 1515, als der zu Stendal wohnende Hans von Berge seinen Hof zum Theen mit drittehalb Hufen Landes, die da liegen zwischen der Krusemarkenschen Ufer und „gronen" Wege, dem Tidicke Pletz und seiner ehelichen Hausfrau zu einem rechten Erbkauf verkaufte. Die Käufer sollten jährlich 12 Mark Pacht geben, u. zw. auf Martini, Lichtmessen und S. Walpurgis je 4 Mark, ferner den Zehnten über 1½ Hufen Landes, den die von Krusemark darüber haben, und den Kreuzherren zu Werben alle Jahr zu Martini 4 Schilling weniger 3 Pfg. zahlen. Auch sollen sie den zum Hof gehörigen Deich übernehmen, den „Houetschoß" geben, wenn er gebeten wird, natürlich auch den Hof in baulichem Zustande halten. Hans von Berge und seine rechten Erben behielten das höchste und niederste Gericht über den Hof. Hans von Berge starb. Sein Sohn Achim übergab den Hof zum Theen im Jahre 1529 demselben Tidicke Pletz vor Gericht mit einem freien Erbreis. Als Richter fungierte bei dieser Übergabe Arend Bismarck zu Berge; als Dingpflichtige waren zugegen Merten Fromme und Matthias Kater, ferner die Söhne des Arend von Krünzner (?) (vielleicht „von Kruge"), Friedrich Kannenberg, Arend Bismarck und der Räbeler Jürgen Belitz. Wenn jemand eigentümliche Besitzungen, überhaupt liegende Gründe, schenkte oder lehnsweise einem andern übergab und denselben vor den versammelten Bauern dem Dorfrichter überantwortete, so legte letzterer seinen Schöffen die Frage vor, welchen Anspruch Richter und Bauern auf das Reis, das Sinnbild des verkauften Landes, zu machen hätten; er erhielt dann darauf die Antwort: „Orloff und Winkop"; das waren Abgaben, jede in 6 Pfennig bestehend, die der Richter sogleich einzog, jene für sich von dem, der das Reis vergeben wollte, diese ein Trinkgeld für die Bauern von dem Empfänger. Erst hiernach übergab der Richter das Reis dem, welchem es zugedacht war. Tidicke Pletz mußte dann noch, als er das Reis von Achim von Berge vor dem Dorfrichter übernahm, diesem drei Schilling drei Pfg. für den „Frieden" (Ausfertigung des Erkenntnisses) geben, den dingpflichtigen Bauern aber eine Tonne Bier spenden. So war es „derer Orter gebräuchlich." Für diesen Kauf erteilte der Markgraf Joachim im Jahre 1557 den Konsens. Bei der Gelegenheit erfahren wir, daß der Kaufpreis dreißig Mark stand. Währung im Jahre 1515 betrug.
Auf Tidicke Pletz folgt dessen Sohn Matthias Pletz; auf Joachim, den Sohn Hansens von Berge, folgt Joachim, der Enkel desselben. Der obige Konsens war schon diesem letzteren, Joachim II., dem Enkel, erteilt worden. 1585 hatte Hans von Berge den Rittersitz in Berge verkauft; mit seinen Brüdern Joachim und Kaspar starb die männliche Linie der Familie aus. Dadurch wurde das Lehn frei und fiel als ein „ausgebotenes" Lehn an den Werbener Bürgermeister Andreas Goldbeck und seine Mitbelehnten. Der Hof zum Theen gelangte als Lehn an den Bürgermeister Andreas Goldbeck, der von Matthias Pletz im Jahre 1588 in einem Schreiben vom 9. August „mein itziger Hofes-Junker, so der Bergischen Güter inne hat", genannt wird. Unter diesem Lehnsherrn begann nun für Matthias Pletz eine ungeheuer schwere Zeit: Ein Prozeß begann, der viel Sorge, viel Zeit, viel Geld kostete und dem Inhaber des Theenhofes den Lebensabend gründlich verdüsterte. Um was handelte es sich in diesem Prozeß? Der Vater, Tidicke Pletz, hatte einen Werder an der Elbe zum Teil auf angeschwemmtem Sande angelegt, im Sande vor dem Elbdeiche „etliche Ruthen ausgesteckt" und „mit besonderem Fleiß erzeuget." Diesen Werder sollten der Vater und seine Erben zu Behufe des Hofes und des Deiches gebrauchen. Der Sohn, Matthias Pletz, hatte den Werder von seinem Vater mit übernommen und zum Teil von seinem Grund und Boden erweitert. Dieser Werder war der Gegenstand des Prozesses. Andreas Goldbeck glaubte Besitzrecht daran zu haben, Matthias Pletz bestritt das und machte sein Besitzrecht mit echt altmärkischer Zähigkeit immer von neuem geltend. Der Bürgermeister zog im Sommer 1586 den Werder tatsächlich ein. Der Streit begann und artete immer weiter aus. In dem oben angezogenen Schreiben des Matthias Pletz vom 9. August 1588 an den Landreuter hören wir Näheres darüber: Der B. Andreas Goldbeck hatte Johannis 1586 befohlen, Matthias Pletz sollte ihm mit vier Pferden an seinem Elbdeiche Erde anfahren helfen. Als M. Pl. das nicht getan, hat der B. ihm den ganzen Werder ernstlich verbieten lassen, hat von dem Werder 60 Fuder Holz abhauen und wegfahren lassen, hat Ostern 1587 16 Pferde und Stuten von der Weide auf seinen Hof treiben lassen und das beste Pferd bei sich behalten; ebenso hat er es mit drei Milchkühen gemacht. Andreas Goldbeck hat auch verlangt, daß er des Jahres in Matthias Gütern ein Einlager halten könne samt seiner Frau, seinen Kindern und guten Freunden auf 2 und 3 Tage und mehr nach seiner Willkür und so lange es ihm gelüstet, „Zehrung zu treiben". Ja, mehr noch hat der B. verlangt: Matthias sollte ihm drei Reisen, jedesmal mit vier Pferden, auf seine Unkosten tun, auch sonst ein Pferd des Jahres einmal 14 Meilen Wegs mitzuspannen. Dafür wollte der B. ihm einen ziemlichen Ort zur Hütung und Trift für sein Vieh seines Gefallens an dem Werder einräumen. Matthias Pletz wandte sich wiederholt an den Kurfürst Johann Georg. Der Kurfürst befahl dem Andreas Goldbeck, dem Supplikanten das abgepfändete Vieh wiederzugeben, sein Recht an dem Werder nachzuweisen und inzwischen dem armen Mann an seinem Besitz keinen Eintrag zu tun. Als die Sache durch Befehle und Gegenbefehle nicht vorwärts kam, wurden die beiden Parteien nach Stendal vor das Quartalgericht geladen. Dieses meinte, daß Matthias Pletz sich freiwillig des Werders begeben und die schweren Dienste auf sich genommen hätte. Wie sah es mit diesem „freiwillig" aus? Der Kläger selbst sagt es, er sei ein armer einfältiger Bauersmann, der bisher nichts vor Gericht zu schaffen gehabt, der Advokat habe ihn verlassen, der B. habe ihn so in Furcht gesetzt, daß er nicht mehr aus und ein gewußt, er habe ihm auch den Abschied gar nicht vorgelesen. M. Pl. legte gegen diesen Abschied Berufung ein. Der Kurfürst nahm die Berufung an und hob den Abschied auf, zumal auch die Juristen-Fakultäten in Wittenberg und Helmstedt urteilten, daß jener Abschied propter metum reverentialem nicht gelte, und die letztere Fakultät ausdrücklich festsetzte, daß Pletz bei seiner Kaufverschreibung und seiner alten hergebrachten Gerechtigkeit „zu defendieren zu lassen sei." Die Kanzler und Kammergerichtsäräte zu Cöln a. d. Spree erhielten unter dem 2. März 1588 vom Kurfürsten den Befehl, sie sollten die Appellation des M. Pl. annehmen.
Es ist, wie oben schon gesagt, hier nicht die Absicht, den sich bis zum Jahre 1616 hinziehenden Prozeß in seinen Einzelheiten darzustellen, der schon im Jahre 1588 dem M. Pl. 200 Taler Unkosten verursacht hatte. Das Recht war entschieden auf der Seite des M. Pl., aber was nützte es ihm, wenn selbst der Kurfürst ihm nicht mit allen seinen Befehlen und Gegenbefehlen zu seinem Rechte verhelfen konnte?! Noch 1589 unter dem 3. Mai muß der Kurfürst dem B. Goldbeck erneut gebieten bei 500 rx. Strafe, den Matthias Pletz in seinem Besitz unangetastet zu lassen. Der „arme Bauersmann" mußte es gar reichlich erfahren: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt." Welche Mühen und Unkosten, welche Sorgen und Aufregungen verursachte ihm das Verhalten seines Nachbars auf dem bergischen Gut! Wie nun aber auch der Prozeß auslaufen mochte, --- wir nehmen an, daß Matthias Pletz bzw. sein Nachfolger auf dem Theenhof den Sieg davongetragen, --- nicht lange konnte sich die gewinnende Partei des Sieges erfreuen. In dem Archiv des Rittergutes Kannenberg lesen wir zum Jahre 1619: „Nachdem des Rates Andreas Goldbeck in Werben sel. Güter schuldenhalber subhastiert und durch Vermittlung des Landeshauptmanns der Altmark Thomas von dem Knesebeck zu Tylsen mit Einwilligung des nächsten Agnaten Christoph Goldbeck die bergischen Güter mit allem Zubehör dem Rate der Stadt Werben wiederkäuflich auf 30 Jahre für 6200 Gulden laut Rezeß vom 31. Mai 1619 verkauft sind, hat der Kurfürst Johann Sigismund diesen Kauf genehmigt". Schon aber hatte der dreißigjährige Krieg begonnen, der nicht lange danach gerade diese Gegend der Altmark schrecklich heimsuchte.
Ueber die Familien Pletz und Goldbeck ist Näheres zu finden in meinen „Beiträgen zur Geschichte des Kreises Osterburg", Teil 2, S. 96 bis 98 und 115 bis 120, vergleiche über die letztere Familie auch „Herold" 1892, Nr. 9, Seite 2 und Band IV dieser Beiträge, Seite 225. Der in unserem Prozeß genannte B. Andreas Goldbeck war ein Sohn des 1576 verstorbenen verdienten Werbener B. Andreas G. und seiner 1567 verstorbenen Gemahlin Anna geborenen Engel. Ueber die ritterliche und bürgerliche Familie Theen sind im 1. Teil der oben genannten Osterburger „Beiträge" Seite 224 ff. einige Nachrichten beigebracht.
Der Theenhof verdankt seinen Ursprung zweifellos den niederländischen Kolonisten aus der Zeit Albrechts des Bären und seines Nachfolgers ebenso wie die benachbarten Höfe mit ihren Namen Övelgünne, Lüderkummer, Bäverlack auf solchen Ursprung hinweisen.
Der Name des Hofes wird verschieden geschrieben: „Ten" (1515), „Thene" (1529), „zum Thene bei dem Dorfe Berge belegen" (1557), „zum Tenne" (1588), „Theen" in neuerer Zeit.
Nur anspruchslos sind diese Ausführungen, und doch haben sie uns einen tiefen Einblick in die Geschichte eines Hofes und eines Altmärkers, in die Geschichte einer längst vergangenen Zeit und ihrer Verhältnisse gewährt.