Die zwei farbigen Glasfenster im nördlichen Seitenschiff

1. Fenster in der Mitte des nördlichen Seitenschiffes über dem Chorgestühl (im vierten Joch von Westen). Die Architektur und Ornamentscheiben in der ersten bis dritten Zeile stammen von der Erneuerung von 1891. Die alten Scheiben beginnen in der vierten Zeile: Es sind drei Scheiben mit sitzenden Figuren, die Spruchbänder (mit gotischen Minuskelinschriften) halten: In der Mitte Johannes der Täufer, rechts und links die Propheten Jonas und Ezechiel. Die Scheiben gehören ursprünglich als unterste Zeile zum Apostelfenster (vgl. Scheiben in den Fenstern F 5 und 9 des Chores und F 2 im nördlichen Seitenschiff). Die Scheiben haben dieselbe Architektur wie die Apostelscheiben im Chor (um 1420). In der fünften und sechsten Zeile ist eine großfigurige Szene, die sich über alle drei Bahnen erstreckt, angebracht. Das Thema: Die Kreuzigung (unter dem Kreuz Maria und Johannes) mit der Ekklesia und Synagoge wird schon sehr frühzeitig, aber seltener in der Kunst dargestellt. Daraus sind vielleicht auch die vielen älteren Züge in der Darstellung (Christustyp 14. Jahrhundert usw.) zu erklären, obwohl das Fenster zu den Spätgotischen um 1460 gehört. (Tafel 215 b.)

Farbgebung: Der rote Hintergrund ist mit Ranken gemustert. Blaue Baldachine. Die Figuren haben hellblaue, rubinrote und weiße Gewänder, grüne und goldgelbe Heiligenscheine. Die Figurenscheiben (Christus ist alt) sind stark erneuert.

2. Das neben F 1 im fünften Joch liegende Fenster hat in Zeile 1-5 ähnliche neue Architektur- und Ornamentscheiben wie in F 1. Zeile 4 und 5 gehören zu dem Apostelfenster um 1420 (vgl. F 1). Apostel mit Kelch und Schwert (fraglich, ob Johannes Ev., da dieser bereits auf dem Fenster F 9 im Chor vorhanden ist), Jakobus major (mit Muschel) und vermutlich Judas Thaddäus. In der sechsten Zeile steht oben in der Mitte (allein) die Figur der Müllerzunft mit dem Christusbild.

Die Hintergründe der Scheiben sind rubinrot oder blau mit Ranken gemustert. Das Gewand der Maria ist blau mit weißem Futter (auf rotem Grund). Die Gewänder der Apostel sind von links nach rechts folgende: Mantel rubinrot mit weißem Futter und grünes Untergewand; moosgrüner Mantel mit weißem Futter; weißer Mantel mit grünem Futter und rubinrotes Gewand auf blauem Grund. Das Inkarnat der Figuren ist braun. Die Baldachine über den Seitenbahnen sind erneuert.

Die Einzelbetrachtung der Fenster bestätigt die bereits auf S. 357 angeführte, durch die Baugeschichte unterstützte Ansicht, daß von der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis zum Ende des 15. Jahrhunderts ununterbrochen eine Glasmalerwerkstatt in Werben beschäftigt war. Dieser Werkstatt sind wohl dauernd von auswärts neue Kräfte zugeströmt, die neue Antriebe für die Gestaltung von Form und Farbe der Fenster brachten. Hinzu kommt die allgemeine stilistische Entwicklung, die sich über ein Jahrhundert erstreckte.

Die ältesten, noch erhaltenen Scheiben sind das Fenster F 4 mit der Darstellung der Petruslegende und das Fenster F 10 mit Szenen aus dem Leben Christi, die beide von demselben Meister stammen und etwa um 1370–1380 entstanden sind. Etwas größere Figuren als die kleinfigurigen Szenen der Fenster F 4 und F 10 hat das Genesisfenster F 8 vom Ende des 14. Jahrhunderts. Zu einer Gruppe von Fenstern aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts gehört das Apostelfenster (um 1420–1430) und das Fenster mit dem „Jüngsten Gericht“ (um 1430–1440). Die Scheiben mit den Apostelfiguren sind jetzt auf mehrere Fenster im Chor: F 5, F 9, und im nördlichen Seitenschiff F 1 und F 2 verteilt. Auch die Darstellung des Jüngsten Gerichtes ist jetzt auf zwei Fenster im Chor, F 2 und F 3, angebracht. Der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gehört schon die Szene „Christus im Hause des Pharisäers Simon“ mit den beiden Johanniterrittern als Stifter auf Fenster F 3 und die „Anbetung der Könige“ (um 1460–1470) auf Fenster F 1 an. Dem Fenster mit der Anbetung der Könige steht das Fenster F 2 im nördlichen Seitenschiff mit der Kreuzigung und der Ekklesia und Synagoge stilistisch nahe.

1467 datiert sind folgende Fenster im Hauptchor: F 6 mit Marientod und Marienkrönung und F 8 mit den Wappenscheiben. Zu dieser Gruppe, die beim Neubau des Chores geschaffen worden sind, gehört auch noch das mittlere Fenster des Hauptchores F 7 mit den Figuren der Mutter Gottes auf der Mondsichel, Johannes des Täufers und der hl. Helena (?). Zeitlich schließen sich an diese Gruppe an die stark erneuerte Szene „Der Priester mit den Teufeln“ auf Fenster F 2 und die „heilige Wandlung“, sowie die Figuren der „hl. Katharina, Dorothea, Odilia, Paulus, Petrus und Andreas“ auf Fenster F 11. Das letzte unter dem Kurfürsten Albrecht Achilles um 1480 entstandene Fenster F 12 im südlichen Nebenchor enthält vier großfigurige Szenen: Kreuzigung, Anbetung der Könige, Taufe Christi und Marienkrönung, von denen viele Teile erneuert worden sind.

Im einzelnen zu klären, welche Glasmalerwerkstätten auf die Werbener Werkstatt Einfluß gewonnen haben, und woher die verschiedenen Künstler kommen, ist nicht Aufgabe des Inventares. Doch soll hier nur kurz angedeutet werden, daß die Arbeiten der großen Glasmalerwerkstätten im Erfurter und Stendaler Dom (vgl. über Erfurt, Die Kunstdenkmale der Provinz Sachsen, I. Bd. S. 145–224; über Stendal, Deutsche Bauten S. 19–23) zeitlich zum Teil den Werbener Glasfenstern voraus- oder nebenhergehen. Die Gruppe der ältesten Fenster in Werben (Petruslegende, Passion und Genesis) zeigen viele Zusammenhänge mit dem Passions- und Genesisfenster in Erfurt. Direkt abhängig vom Erfurter Apostelfenster ist anscheinend das Apostelfenster in Werben. Auf den Zusammenhang der Stephanuswerkstatt und des Nothelferfensters im Stendaler Dom mit Werben ist bereits in den Deutschen Bauten auf S. 22 hingewiesen worden.