Die Kolonie Neu-Werben.
Die Bewohner Neu-Werbens sind wetterharte, mit Hochwassergefahren vertraute Leute, die sich so leicht nicht fürchten. Diesmal aber war es so schlimm, wie es wohl seit dem Winter des Jahres 1820 nicht gewesen war. Bis zum 11. Februar d. Js. ahnte dort niemand eine Gefahr. Wohl stieg an diesem Tage die Elbe, aber der Deich hatte noch immer bedeutend Bord. Am Freitag konnte das Steigen des Flusses stündlich beobachtet werden. Da kam die Nachricht, das Eis habe sich an der Havelmündung festgesetzt; sofort staute nun das Wasser der Elbe und Havel rückwärts. Das zurückstauende Havelwasser hob die Eisdecke der Havel und trieb eine mehrere Morgen große Eisscholle auf die Gehöfte zu. Bis 1 Uhr nachts hatten alle Bewohner angestrengt gearbeitet. Am Sonnabend morgen sagte ihnen das fortwährende Steigen zu beiden Seiten von Elbe und Havel her, daß sie dort nun nicht mehr bleiben könnten. Ein Bote wurde auf dem Mitteldeich zum Bauwart nach dem Mühlenholz gesandt, der von Nitzow telefonisch Hilfe erbitten sollte. Und nun erwies sich die Hilfsbereitschaft der Nitzower in dem schönsten Lichte: Sofort eilten 30–40 Mann und 6 Gespanne auf dem weiten Umwege über Havelberg und Sandau auf dem Elbdeich herbei; jeder andere Weg war schon nicht mehr
passierbar, auch nicht der Weg vom Mühlenholz nach Havelberg. Alle arbeiteten angestrengt, den Mitteldeich bei Neu-Werben von den Eisenschollen zu befreien und den Pferden und Wagen dadurch freie Bahn zu machen. Sodann wurden Kälber, Schweine und sonstiges Vieh fortgebracht. Es war die höchste Zeit, denn wenige Stunden später riß der Deich im Mühlenholz und verhinderte jegliche Rettung der Neu-Werbener. Die Frauen hatten sich dem Zuge nach Nitzow angeschlossen; einige beherzte Männer waren trotz der großen Gefahr mutig in Neu-Werben zurückgeblieben.
Der Anblick des Zuges der Neu-Werbener auf dem Elbdeich entlang muß auf die Beschauer einen unendlich wehmütigen Eindruck gemacht haben. Als dann durch den Deichbruch bei Berge auf linken Elbufer die Hauptgefahr für Neu-Werben vorüber war, kehrten die Ausgewanderten wieder in ihre geliebte Heimat zurück, nicht ohne tiefe Dankbarkeit gegen die gastfreien und hilfsbereiten Nitzower zu empfinden.
Im Neukirchener Kronenholz und Elbwerder vor der Havelmündung sind kleine Gehöfte, auf denen Arbeiter und Aufseher des Ritterguts Neunkirchen wohnen. Gegenüber dem letzteren Gehöfte, also unmittelbar vor der Havelmündung, liegt Krügers
Werder auf der rechten Elbseite. Alle drei Gehöfte waren dermaßen von dem eisstarrenden Hochwasser bedroht, daß es nur mit vieler Mühe gelang, ihre Bewohner samt dem Vieh noch eben zur rechten Zeit in Sicherheit zu bringen.