Das Dorf Dobbrun in Not.
Zu den Dörfern, die am meisten gelitten, gehörte das niedrig gelegene Dorf Dobbrun. Aus den Mitteilungen des dortigen Pfarrers über die Erlebnisse während des Hochwassers sei das Folgende hervorgehoben:
„Die Dorfbewohner wollten um so weniger an eine Gefahr für ihr Dorf glauben, als bei dem großen Hochwasser im Jahre 1771 die Kirche, Pfarre und Schule sowie die um dieselben liegenden Gehöfte vom Wasser verschont geblieben waren. Da ging in den Vormittagsstunden des Montag, des 15. Februar, die amtliche Bekanntmachung durch das Dorf: „Das Dorf ist zu räumen!“ Nun fing man an, seine Vorbereitungen zu treffen. Hier und da wurden Heu- und Strohfuhren in die benachbarten höher gelegenen Ortschaften Osterburg, Meseberg und Polkern gebracht; ja, von einem Hof wurde auch schon das Vieh nach der nahe gelegenen Ziegelei „Vorgebirge“ und nach dem „Fuchsbau“ bei Osterburg getrieben. Aber die meisten konnten sich immer noch nicht denken, daß Gefahr für sie bestände, da von Wasserwuchs in Biese und Landgraben nichts zu merken war. Am Spätnachmittag aber drang die Kunde hierher: „Das Wasser ist bereits in Meseberg.“ Einige Einwohner überzeugten sich persönlich und kamen schleunigst zurück, um nun ernstlich den Auszug zu betreiben. Doch da es zum Abend ging, war an ein Austreiben des vielen Viehes nicht mehr zu denken. Man rief noch in der Nacht die Feuerwehr aus Osterburg zu Hilfe, die unsere vielen Brücken gegen den Anprall der Wasser- und Eismassen halten sollte, damit den außerhalb wohnenden Besitzern der Zugang nach dem Dorfe und nach Osterburg erhalten bliebe. Am Südende des Dorfes wachte und arbeitete die freiwillige Feuerwehr und am Nordende die Seminarfeuerwehr.
Schlaf gab es in der Nacht wenig oder gar nicht, und sobald der Tag graute, begann die Auswanderung. Kälber, Schweine und Schafe wurden auf Wagen verladen, Rinder wurden unter dem Geleit der Feuerwehrleute auf die Berge getrieben; Heu, Stroh und Futtervorräte wurden verladen, so viel man schaffen konnte. Mit größter Bereitwilligkeit waren auf Bitten wohl die sämtliche Gespannhalter von Polkern mit Pferden und Wagen erschienen, um unermüdlich fahren und retten und treiben zu helfen. Es war ein trauriger Anblick, als auf dem hart gefrorenen Boden und bei der herrschenden Kälte die Rinder ängstlich brüllend ausgetrieben wurden, und es war zum Weinen, als die kleineren Besitzer und Tagelöhner auf Kastenwagen und Futtersäcken hockend und in dicke Tücher und Mäntel gehüllt, ihre heimatliche Scholle verließen mit der bangen Frage im Herzen: „Wie wirst du sie wiederfinden?“ In wenigen Stunden war durch die angestrengteste Arbeit der Leute das Dorf geräumt. Unterdessen war das Wasser gewaltig gewachsen. Ich selbst war entschlossen, mit meinem Vetter, dem Besitzer des Nachbargutes, und dem Ortsvorsteher zu bleiben und nötigenfalls im 2. Stock des Hauses des ersteren zu wohnen, aber, als alle Leute mit allem Vieh weg waren, und als die Wasserwogen mit rapider Schnelligkeit und unheimlicher Gewalt daherbrausten und so nahe kamen, daß sie schon an und zum Teil in die Tagelöhnerwohnungen drangen und nahe am Pfarrgarten standen, da entschlossen auch wir uns zum Auszug. Was sollten wir hier noch, wo alles wie ausgestorben war? Doch der Ortsschulze hatte zwei wertvolle Fohlen nicht mehr herausbekommen; die wollte er nicht verlassen; er blieb daher. Seine Schwester und Nichte wurden unter Lebensgefahr aus Dobbrun hinausgefahren, als der Weg schon mindestens 1 m unter Wasser stand. Mein Vetter auf seinem Reitpferd und ich mit Wirtschafterin und Mädchen des Gutes auf Futtersäcken auf einem Kastenwagen thronend, verließen etwa um ½2 Uhr das Dorf; wir fuhren bereits sechsmal durch Wasser, während meine Frau schon 1½ Stunden zuvor auf einem Feuerwehrwagen nach Osterburg geflüchtet und noch durch kein Wasser gekommen war. Eine Wöchnerin, eine Tagelöhnerfrau, deren Kind am Sonntag früh geboren war, wurde mit ihrem Kindlein von der Sanitätskolonne aus Osterburg in einem Sanitätswagen ins Osterburger Krankenhaus gebracht. Das Dorf war leer bis auf den Gastwirt und einen Kossaten, die nicht mehr fertig geworden waren. Der Kossat wurde am anderen Tage aus
seiner Wohnung, in der bereits Wasser stand, durch Pioniere gerettet; der Gastwirt wollte nicht mehr heraus, da sein Kind krank war, auch seine Pferde nicht mehr herauszubringen waren.
So waren nun die Dorfbewohner zerstreut: In Polkern, Osterburg, Krevese, Meseberg, Düsedau hatten sie bei lieben hilfsbereiten Menschen Unterkunft gefunden. Wie lange sollte nun das Exil dauern? Tag für Tag studierte man die Zeitungen über den Stand der Dinge und atmete erleichtert auf, als das Wasser zum Stillstand und zum Fallen kam. Nach einer Woche, am 23. Februar, wanderten die ersten Dobbruner wieder ein auf dem hohen Biesedeich und von dort mit dem Kahn bis an den Schlutz‘schen Hof; unter ihnen war auch ich mit Frau und Mädchen. Aber wie sah es aus! Kirche, Pfarre und Schule samt den am höchsten gelegenen Wohnungen waren zwar von dem Wasser verschont geblieben – nur im Keller der Pfarre stand das Wasser etwa 1 Fuß hoch –, aber bei den andern stand es noch auf dem Hof, in den Scheunen, Ställen und Stuben, und zwar als Eis, denn inzwischen war harter Frost eingetreten. Eine weite öde Wasser- und Eiswüste! Ein trauriger Anblick! Die wenigen Personen, die zurückgekehrt waren, etwa 12 Personen, fanden sich am Sonntag abend im Pfarrhause zu gemeinsamer Andacht ein, eine ernste und gesegnete Stunde der Gemeinschaft, ebenso auch am nächsten Sonntage. Der erste feierliche Gottesdienst in der Kirche fand erst am 14. März statt, auch im Filialdorf Behrend, wohin der Pfarrer über das auf dem Wege lagernde Eis behutsam pilgerte.“
Der von dem Hochwasser angerichtete Schaden an Häusern, Äckern, Wiesen war auch hier, wie überall sehr groß, aber sehr groß auch die von überall her erwiesene Liebe. Es sei hier dankend erwähnt, daß der Patron der hiesigen Kirche, Reichsgraf von der Schulenburg-Wolfsburg, für seine Patronatsgemeinde Dobbrun besonders einen ganzen Eisenbahnwagen voll Futter- und Lebensmittel sandte, und daß die christliche Liebe dem Pfarrer zur Unterstützung seiner bedrängten Gemeindeglieder in der Parochie 2456,65 Mark in die Hand gab, dazu eine große Menge Kleidungs- und Bettstücke.