Die Schließung des Deichbruches bei Berge.

Bereits am 21. Februar hatte eine Verhandlung mit mehreren Tiefbauunternehmern an Ort und Stelle stattgefunden. Da jedoch damals das Wasser noch mit gewaltiger Wut durch die Deichlücken durchströmte, und der Umfang der erforderlichen Arbeiten noch nicht zu übersehen war, konnten weder die Techniker sichere Vorschläge zur Abhilfe machen, noch die Unternehmer irgendwelche sicheren Gebote abgeben. Am 25. Februar wurden durch Erlaß des Landwirtschaftsministers dem Regierungspräsidenten 150 000 Mk. vorschußweise, unter dem Vorbehalt späterer Regelung der Erstattungsfrage, für die Schließung der Durchbruchsstelle bei Berge zur Verfügung gestellt. Am 26. Februar fand darauf eine nochmalige Verhandlung an Ort und Stelle statt. Es wurde nunmehr noch an demselben Tage mit der Firma Schneider-Berlin ein Vertrag geschlossen, nach welchem die Schüttungsarbeiten am neuen Deich nach Verlauf von längstens 14 Tagen begonnen werden sollten; eine kürzere Frist hierfür zu vereinbaren war, wie eingehende Überlegungen und Verhandlungen ergaben, unter den obwaltenden Verhältnissen leider unmöglich. Da das Deichamt durch die Lage der Verhältnisse und die Unmöglichkeit der Kommunikation gleich nach dem Deichbruch nicht imstande war, zusammenzutreten und über die Schließung der Bruchstelle Beschluß zu fassen, wurden alle Maßnahmen vom Regierungspräsidenten von Borries selbst getroffen, auch der Vertrag mit der Firma Schneider abgeschlossen. Am 13. März wurde mit Dank für alles Veranlaßte vom Deichamt in der vom Regierungspräsidenten einberufenen außerordentlichen Sitzung zu Seehausen die Zustimmung erteilt.

Die nächste schwierige Aufgabe war es nun, das Vorland vor der Bruchstelle von den ungeheuren Schnee- und Eismassen zu befreien. Mit Hilfe von Pionieren und Husaren wurden rund 2000 cbm Eismassen losgehackt und bewegt. Von dem Unternehmer wurde das nötige Material herbeigeschafft. Über 20 Eisenbahnwagen Material und Geräte mußten hierzu erst in Berlin verladen, nach Tangermünde geschafft und dort wieder in Prähme

umgeladen werden, um von dort aus mit fiskalischem Dampfer an die Bruchstelle geschleppt werden zu können. An Ort und Stelle mußte das gesamte Material wieder ausgeladen und Arbeitsgeleise bis unmittelbar an die Bruchstelle gelegt werden. Pünktlich 14 Tage nach Abschluß des Vertrages, am 13. März, wurden die Schüttungsarbeiten begonnen.

Die Bauarbeiten wurden zunächst in zwei Stufen eingeteilt. Nach dem Programm der 1. Baustufe sollte innerhalb acht Tagen nach dem Beginn der Arbeiten für die ganze 160 m lange Bruchstelle ein Deich in Höhe von 5 m am Sandauer Pegel mit 1¼ m Kronenbreite hergestellt und die Außenböschung, um bei eintretendem Hochwasser das Abspülen der Erde zu verhindern, mit Sandsäcken belegt werden. In der 2. Baustufe sollte dann der Deich auf 6 m Sandauer Pegel gebracht werden. Am 13. März waren nicht weniger als 447 Leute an den Deichschüttungsarbeiten beschäftigt; hiervon waren 83 von dem Unternehmer und 95 von der Elbstrombauverwaltung angestellt, 154 Leute aus verschiedenen Ortschaften vom Deichhauptmann von Knoblauch auf Grund des Deichstatuts aufgeboten; letztere hatten die Arbeiten unentgeltlich zu leisten, waren aber trotzdem selbst aus entfernten Orten bereitwillig herbeigeeilt. Zu dieser großen Schar von Arbeitern kamen endlich noch 115 Mann Pioniere und Rathenower Husaren hinzu.

Ein Bild von dem Leben und Treiben vor der Bruchstelle zeichnet uns ein Berichterstatter in der Altmärkischen Zeitung; wir entnehmen diesem Berichte die folgende anschauliche Schilderung:

„Von Berge aus dringen wir zu Fuß bis zur ersten Bruchstelle vor. Wer zur Hochwasserzeit hier gestanden hat, staunt über die Veränderung. Vom haushohen Deich steigt man herunter auf den Platz, der von etwa 500 Mann, Pionieren, Husaren und Arbeitern, vom Eise frei gemacht ist. Auf dem schlickigen Boden kann man bis ans Elbufer vordringen. Rechts und links sind allerdings hohe Eisberge. Das Ganze sieht aus wie eine Schlucht, groß wie ein städtischer Marktplatz; regsam, wie dort das Leben sich abspielt, so sind hier die Soldaten und Arbeiter tätig. Auf Feldbahngeleisen werden Loren mit Eis geschoben. Die Feldbahnlokomotive mit Anhängewagen pfeift und braust näher. Zwischen den Durchbruch-Enden ist wieder ein zugefrorener Kolk, aber er findet fast keine Beachtung mehr. Bemerkenswerter ist schon die Schleuse, oberhalb welcher der Deich brach; dieser etwa 2 m breite und 4 m hohe Durchlaß im Deich reicht jetzt völlig für das

abfließende Wasser aus. Zwischen den fast bis zur Deichhöhe lagernden überschneiten Eisblöcken hat das Wasser der Schleuse sich einen Kanal gesucht, der stellenweise überbrückt ist…

Von dem Platz, von dem die Soldaten das Eis bis auf einen Spitzberg weggefahren hatten, führen zwei Gassen in gleicher Richtung durch das Eis nach dem Hafenplatz. 5 m lange, ½ m starke eiserne Röhren liegen schon dort; durch diese soll nach der Deichbaustelle Elbkies geschafft werden. Der Rauch der Schornsteine verrät schon längst das lebhafte Treiben am Elbufer. Zwei Spritzbagger, ein Korbbagger und einige Kohlenkähne liegen dort vor Anker. Die großen Röhren sind auf Holzbockgestellen gelagert und über den Hafenplatz hinaus schon fertig aufgerichtet. Sonnabend nachmittag begann der kleinere Spritzbagger seine Tätigkeit; es galt, die Senkungen im Vorlande zu füllen, weil andernfalls die sonderlich hohen Holzböcke erst herzurichten wären. Um das Leben dort im Bilde aufnehmen zu können, mußten wir auf die seitlichen Eisblöcke steigen, die sich hier in einer Großartigkeit aufgetürmt und gelagert haben, die jeder Beschreibung spottet. Eine Vorstellung aber kam uns von den Gletscherfeldern Grönlands und von der Gefährlichkeit der Eisspalten, die vom Schnee verdeckt sind, als hinter mir der Photograph H. unvermutet bis an den Leib in einer Spalte verschwand; ein Rottenführer der Arbeiter am Bagger war uns da behilflich. Uns war warm geworden in unserer Winterkleidung, denn die Märzsonne hatte die Höhe überschritten und über die Nebel gesiegt, aber den Eisblöcken gegenüber vermochte sie nichts…“

Aus dieser Schilderung gewinnen wir nicht nur ein deutliches Bild von dem Leben und Treiben auf der Durchbruchstelle, sondern bekommen auch ein ebenso deutliches Bild von den ungeheuren Schwierigkeiten, welche überwunden werden mußten, ehe überhaupt mit dem eigentlichen Bau des halbkreisförmigen Notdeiches begonnen werden konnte. Von diesen Schwierigkeiten hatten jedenfalls diejenigen keine rechte Ahnung, welche damals die Frage aufwarfen und erörterten, warum nicht eher mit der Wiederherstellung des Elbdeiches bei Berge begonnen und der Bau selbst nicht schneller gefördert sei. Damals gingen der Magdeburgischen Zeitung über die Schwierigkeiten des Baus einige Mitteilungen zu, die wir auch hier zum Teil kurz anführen möchten:

„Die Länge des Vordamms ist etwa 400 m anzunehmen, 200 m davon sind Durchbruch. Wenn man nun mit 2 m starkem

Eis auf dem Vorlande rechnet und eine Dammsohle mit 10 m annimmt, so sind zunächst etwa 4000 cbm Eis zu beseitigen. Was die Erdmassen betrifft, so braucht man bei einer Durchschnittsbreite des Dammes von nur 5 m und einer Höhe von 4 m ohne Ausfüllung des Bruchloches etwa 8000 cbm. Die Sohle des Dammes in der Bruchtiefe würde natürlich bedeutend breiter sein müssen, als auf dem Vorlande. Man kann wohl für die 200 m eine Durchschnittsbreite des Dammes von 10 m annehmen, so daß zu den Erdmassen von 8000 cbm noch 20 000 cbm für den Bruch hinzukommen. Man kann sich also einen Begriff davon machen, welche Erdmassen zu bewältigen sind. Selbst bei angestrengtester Tätigkeit und unter Zuhilfenahme vieler Arbeitskräfte würde vom Tage der Inangriffnahme der Arbeiten, d. h. wenn der Bagger in Tätigkeit tritt, wenigstens drei Wochen vergehen, ehe der Damm so weit hergestellt ist, daß er einigermaßen schützt. Ehe er die Höhe des andern Dammes erreicht, dürften 4 bis 5 Wochen vergehen.“

Alles kam darauf an, den Gefahren des Frühjahrswassers vorzubeugen. Trotz der übermenschlichen Anstrengungen bei dem Bau des Notdeiches wäre es kaum gelungen, neue Gefahren von der Wische fern zu halten, wenn nicht die Witterung zu Hilfe gekommen wäre. Der Frost dauerte ziemlich lange an. Die Wasserstandsnachrichten aus Böhmen und die Wettervoraussagen lauteten günstig. Eines Abends allerdings drohte schwere Gefahr: Das Erdreich des Notdeiches war ins Rutschen gekommen; aber den eiligst durch Alarmsignale herbeigerufenen wackeren Pionieren und Arbeitern gelang es nach stundenlanger mühsamer nächtlicher Arbeit, die drohende furchtbare Gefahr abzuwenden. Von da an ging alles gut vonstatten: Der Notdeich wurde immer höher und fester, die Gefahr immer geringer und kleiner. Die Wischer konnten je länger, desto ruhiger in die Zukunft sehen, um mit neuem Mute den Kampf um das Dasein zu beginnen.

Der wiederhergestellte Notdeich bei Berge wurde am 7. August der Deichschau-Kommission von der Elbstrombauverwaltung, die seinen Neubau ausgeführt hatte, übergeben.

Um einer Wiederholung ähnlicher Hochwassernot vorzubeugen, hat man in einer Deichamtssitzung in Aussicht genommen, die Deiche der Oberschau auf 7,10 m Höhe und 4 m Kronenbreite zu bringen, ferner an der Landseite ein Bankett von 5 m Breite und 2 m über Mittelwasser, gleich 4 m Wittenberger und 4,10 m Tangermünder Pegel, herzustellen.

Für die Wiederherstellung der Schäden des Deichverbandes hat der Staat 150 000 Mk: einstweilen zinslos vorgeschossen. Es ist beantragt, die gesamte Schadenssumme (201 000 Mk.) als Geschenk zu überweisen, falls der Deichverband die für erforderlich gehaltenen Verstärkungen des Elbdeiches in der ganzen Wische ausführt.