Die Osterburger Seminar-Feuerwehr in Dobbrun.

In der Nummer 44 des Jahrgangs 1909 der Altmärkischen Zeitung berichtet ein Seminarist über die Erlebnisse in Dobbrun

So anschaulich, da? wir es uns nicht versagen können, den Bericht hier wörtlich aufzunehmen:

„Es war am Dienstag, den 16. Februar. Voll banger Erwartung harrten wir in Feuerwehruniform in unserem Seminar. Plötzlich – es war ¾11 Uhr mittags – erscholl Alarm. Kommando ertönte: 220 Seminaristen gleich abrücken zur Hilfeleistung nach Dobbrun! Wagen stehen bereit. Vorwärts marsch!“ An Essen wurde vor Aufregung nicht mehr gedacht, ging es doch dem Kampf mit den Wellen entgegen! In fliegender Eile rasten zwei Mannschaftswagen den Weg nach Dobbrun entlang. Unterwegs suchte man uns zur Umkehr zu bewegen. Jedoch – wir verharrten auf unserem Vorsatz. Weiter ging’s in die flache Ebene hinaus. Das Wasser stieg bereits. In der Ferne kamen schon die furchtbaren Wogen heran. Hasen und Rehe suchten vergebens Rettung; sie wurden ein Opfer der Wellen. Weiter ging’s durch ein furchtbares Schneegestöber hindurch. Dobbrun lag vor uns. Schon gingen die Wellen über unseren Weg hinweg. Doch durch mußten wir. Die Pferde gingen bis an die Knöchel im Wasser. Der eine Mannschaftswagen, der hinter uns geblieben war, kehrte unverrichteter Sache wieder um. Nun ging’s an die Arbeit. Was war noch zu retten? Das ganze Dorf glich einer Insel im weiten Meer. Zwei Familien waren noch dort geblieben. Sie konnten sich nicht von ihrer Habe trennen. Draußen, weit draußen im Überschwemmungsmeer, lag noch ein einzelner Hof. Plötzlich erschollen aus der Richtung des Hofes Hilferufe. Das Meer wogte, die Eisschollen krachten tosend ans Ufer. Hunde kämpften, furchtbar heulend, mit dem Tode. Hier harrten noch zwei Familien auf Rettung. Ja, was nun tun? Kurz entschlossen wurde das ganze Dorf nach einem Kahn durchsucht. Endlich fanden wir das ersehnte Rettungsmittel. Pferde wurden leider nicht zur Verfügung gestellt, um den äußerst schweren Kahn zum Wasser zu bringen. Es blieb nichts anderes übrig: Mit Aufbietung aller Kräfte wurde der Kahn über die Erde seinem Elemente zugeschleift. Drei Seminaristen stiegen ein. Und nun ging’s hinein in die tosende gelbe Flut. Eisschollen prallten furchtbar krachend gegen das Boot. Doch weiter ging’s. Immer weiter entfernte sich der Nachen. Endlich nach zwei langen, bangen Stunden kam der Kahn wieder an. Die Besitzer waren gerettet. Doch, ein tief trauriger Anblick – diese Ärmsten! Was noch getan werden konnte, wurde von uns getan. Zwei Pferde, die nicht mehr durchs

Wasser konnten, wurden auf den Boden transportiert und dort eingeschlossen. Und nun galt es, den zwei Familien mit Rat und Tat beizustehen! Kartoffeln wurden – 30 Zentner – auf den Boden geschleppt. Die Hühner in Säcken ebenfalls dem Boden anvertraut, die Schweine auf einen Wagen geladen und die Pferde im Stalle um 1 m höher gestellt. Die Flut kam immer näher und näher. Nun war alles, was in Verwahrung gebracht werden konnte, in Sicherheit! Was wurde nun aber aus uns! Wie nun wieder aus diesem Nest herauskommen? Ringsum Wasser, ringsum Flut und über uns ein stürmischer Himmel! Was half’s? Wir mußten uns ins Unvermeidliche fügen! Die Leute waren kopflos; man kann’s verstehen. Abends bekamen wir einige Pellkartoffeln mit einem furchtbar gesalzenen Hering. Zum Hunger kam nun noch der Durst. Abends um 10 Uhr legten wir uns zur Ruhe. Wehmütig dachten wir an unsere warmen, weichen Betten im Seminar. Hier war’s nicht so schön. Wo sollten wir uns hinlegen? Oben waren die armen Familien untergebracht, also mußten wir unten bleiben. Jeder holte sich ein Bund Stroh aus dem Stall und so machten wir uns nun ein Lager in der Gaststube, denn unser Quartier war ein Wirtshaus. Hart war’s und scharf. Dazu kam die Kälte und der vor Hunger knurrende Magen. Dann noch die beiden geretteten Hunde, die uns nun mit ihrem aufdringlichen Besuch fortwährend belästigten. Draußen mußten zwei Mann Wache stehen; sie hatten sich ein Feuer angezündet und beobachteten fortwährend den Wasserstand. Plötzlich, es war 11½ Uhr, schlug die Wache Alarm. Was ist geschehen? Wir stürzen hinaus. Was gibt’s? Was ist los? Schallt es durcheinander. Doch horch! Klagend und wimmernd drang der Ton einer Glocke zu uns hinüber durch die schaurige Nacht. Da – ein dumpfer Krach – der Wall war gebrochen, die Wellen stürzten hinein ins Dorf. Heulend schallte der Glocke Ton! Knarrend tönten die Feuerwehrsignale durch die Nacht! Dumpf brüllte das Vieh! Wirr schrien die Menschen durcheinander! Nach einer Stunde war alles still. Und droben leuchteten die Sterne friedlich zu uns Verlassenen hernieder, in der Ferne glänzten die Lichter Osterburgs zu uns herüber – und hier Tod und Verderben! Wahrlich, welche Ironie des Schicksals! Wir legten uns wieder hin. Morgens 6 Uhr erhoben wir uns. Eine Wanderung durchs Dorf wurde angetreten. Nichts Neues. Wo man hinsah – Wasser, nichts als Wasser. Golden erhob sich die Sonne; wie verändert

erblickte sie die Altmark… Wir telephonierten nach Gehrhof und forderten Pioniere zur Hilfe… Aus Gehrhof kam eine Depesche: „Alles unter Wasser, auch das Schloß; flüchte mich in das erste Stockwerk.“ Aus Falkenberg kam die Nachricht: „Alles überschwemmt, Vieh ersoffen. Telephon bald unter Wasser. Letzte Nachricht!“ Aus Goldbeck drahtete man: „Wasser kommt. Goldbeck gefährdet. Pioniere nötig.“ So trafen aus allen Dörfern schreckliche Hiobsposten ein. Wie sehnten wir uns nach Land, Land! Plötzlich, es war 3 Uhr nachmittags, hieß es: „Pioniere landen schon.“ Gott sei Dank, endlich Rettung! Und das Wasser stieg immer höher und höher. Zwei Pontons nahmen uns bald auf und nun brachten uns unsere tapferen, todesmutigen Magdeburger Pioniere, die mit heldenmütiger Todesverachtung arbeiteten, Osterburg entgegen. Mag man uns auch der Waghalsigkeit bezichtigen, wir lassen uns nicht beirren, sondern antworten mit Tell: „Wo’s Not tut, Fährmann, läßt sich alles wagen.“ Und wahrlich, hier tat es not.“