Giesenslage.
Schon am Sonntag, den 14. Februar, vormittags, sah man für Giesenslage eine unmittelbare Gefahr voraus, darum begann man schon am Nachmittag das Vieh nach Bertkow hin in Sicherheit zu bringen. Und wirklich kam am Abend um 6 Uhr bereits das erste Wasser. Zunächst freilich hatte nur der südlich der Kleinbahn gelegene Teil des Dorfes zu leiden. Aber als am Donnerstag früh der bis dahin schützende Bahndamm den Fluten und Eisschollen nicht mehr Stand hielt, wurde auch der andere Teil sehr bedroht. Eine Überflutung der einzelnen Gehöfte wurde durch Eisschiebung verhindert, denn das Eistreiben fand an dem Kannenberger Wildgatter und dem Bahndamm einen Widerstand, den man bei ersterem nie vermutet hätte. Bis Sonnabend früh hatte das Wasser den Höchststand erreicht, und es trat mit kurzen Unterbrechungen Fall ein. Gefahrdrohend sind für den Ort die auf dem Kannenberger Felde zusammengeschobenen Eismassen, die an Sibirien erinnern.
Trotz des fallenden Wassers ist der Ort von jeglichem Verkehr abgeschnitten, da weder die Chaussee nach Hindenburg noch die nach Werben wegen der darauf lagernden Eismassen befahrbar ist, und nun auch die hierher entsandten Pioniere, die den Postverkehr aufrecht erhalten hatten, abziehen mußten. An Wiederaufnahme des Betriebes der Kleinbahn Werben–Goldbeck ist vorläufig nicht zu denken, da einesteils der Bahnkörper durch Wegschwemmung des Oberbaues bloßgelegt und außerdem eine Strecke des ganzen Bahndammes zwischen Giesenslage und Iden, um Abfluß zu schaffen, am 22. Februar seitens der Pioniere gesprengt werden mußte.
Zwar Verluste an Menschenleben und Vieh sind nicht zu beklagen, dennoch war die Not sehr groß; der entstandene Schaden an Futtervorräten in den Scheunen und Kartoffelmieten ist noch nicht zu übersehen; die mit großer Mühe wegen der im Herbst anhaltenden Trockenheit bewerkstelligte Herbstbestellung ist gänzlich verloren. Noch am Sonntag, den 21. Februar, wurden die Bewohner eines Arbeiterhauses von den Pionieren in Pontons gerettet, nachdem dieselben tagelang auf dem Boden Zuflucht gefunden hatten.
Im Übrigen wurden die an niedrig gelegenen Stellen wohnenden Leute bereitwilligst auf höher gelegenen Gehöften aufgenommen.
Viele Bewohner verließen vor Eintritt der Überschwemmung den Ort; am Sonntag, den 14. Februar, abends 6 Uhr, war der Giesenslager Bahnhof von rettungssuchenden Flüchtlingen belagert; sie konnten noch den letzten vorläufig fahrenden Zug der Kleinbahn benutzen.
Am Montag morgen konnte auf Bahnhof Behrendorf verladenes Vieh, das in Sicherheit gebracht werden sollte, nicht mehr mit der Bahn befördert werden; es wurde lange Zeit in den Waggons gefüttert und gepflegt.
Mit großen Schwierigkeiten hatten die Postbeamten zu kämpfen, um die Postverbindung über Hindenburg aufrecht zu erhalten und den gerade an diesem Orte außerordentlich wichtigen Telefondienst zu versehen; obwohl das Hochwasser im Postraume selber stand, ließen sich die wackeren Beamten dennoch nicht von treuester Pflichterfüllung auch nur einen Augenblick abhalten.
So hat Giesenslage zwar nicht im Mittelpunkt einer Hochwassergefahr und daher auch nicht im Vordergrunde des öffentlichen Interesses gestanden, aber dennoch manche Gefahr und Not durchgemacht.