Das Hochwasser in Calberwisch.

Über Rohrbeck, Uchtenhagen strömte das Hochwasser weiter bis nach Calberwisch. Schon am Sonntagabend war die Nachricht von dem Deichbruch bei Berge auch bis dorthin gedrungen, aber, wie wo anders, glaubte man auch hier bei der weiten Entfernung von etwa 15 km nicht an eine unmittelbare Gefahr. Doch wie ganz anders sollte es kommen! Über die Erlebnisse der folgenden Tage berichtet ein freundlichst von einer Calberwischerin zugesandter Brief: „Am Morgen des 15. Februar, als immer beängstigendere Nachrichten zu uns gelangten, bestellte mein Vater den Wagen, und wir machten uns auf, teils um uns das erschreckende Schauspiel anzusehen, teils mit der Absicht, Fliehenden in Haus und leeren Ställen ein Obdach anzubieten. Unser Weg führte uns nach Wolterslage und Wasmerslage. Welch‘ trauriger Anblick bot sich da unserem Auge! Die Höfe lagen schon zum Teil im Wasser. Auf den Landstraßen zogen Wagen mit Männern, Frauen und Kindern, mit wenig geretteter Habe und ihren Herden

einer ungewissen Zukunft entgegen, um sich in den höher gelegenen Ortschaften ein Unterkommen zu suchen. Auch wir konnten nicht weiter und mußten schnell umkehren, ehe uns die starke Strömung den Heimweg abschnitt.

Noch ahnten wir nicht, daß auch wir sobald im Wasser sitzen würden. Doch schon gegen Abend desselbigen Tages zeigten sich auch bei uns am Horizont blitzende Stellen und nicht lange, so kam, wie ein schleichender Dieb, das Wasser immer näher und näher, und nach keiner Stunde lief es in unser Haus.

Währenddessen waren wir und die helfende Feuerwehr aus Düsedau tätig, Küche und Keller zu räumen. Alles nur Bewegliche wurde nach oben getragen, vor allem Holz, Kohlen und Trinkwasser, das in Waschfässern auf den Gängen aufgestellt wurde. Auch Wurst, Schinken, Butter, Kartoffeln, Topf und Kessel lagen in buntem Durcheinander.

Das Geflügel, welches bei eintretender Dämmerung in die Ställe geflüchtet war, wurde eingefangen und auf den Taubenboden über dem Pferdestall gebracht. Pferde, Rinder und Schafe wurden in dem Kuh- und Schweinestall zusammengepfercht; diesen Stall hatte der Großvater, im Rückblick auf den Deichbruch bei Hämerten und dessen höchsten Wasserstand, so hoch angelegt, daß er trocken bleiben mußte und die einzige Rettung für uns blieb, denn unsere Herde von Pferden, Rindern und Schafen wäre viel zu groß gewesen, sie in den kleinen Ställen der umliegenden Dörfer unterzubringen. Nun dauerte es nicht mehr lange und das Wasser stieg so schnell, daß wir bald wie auf einer Insel ganz von der Außenwelt abgeschlossen waren. So weit das Auge reichte, sah man nichts als Wasser und Bäume, die aus demselben hervorragten. An der einen Seite des Hauses strömte es zu den Fenstern herein und an der andern wieder heraus, sein vernichtendes Werk fortzusetzen. Bald stieg das Wasser im Haus bis zu 90 cm Höhe, und wir fürchteten sogar, aus unseren Räumen im Hochparterre flüchten zu müssen, was aber nicht nötig war. Die sonstigen Dorfbewohner hatten, mit Ausnahme eines Hofbesitzers, zu dem auch tagelang kein Mensch gelangte, ihre Wohnungen geräumt und hatten in Düsedau ein freundliches Unterkommen gefunden. Besonders stark war die Strömung an der Südseite unseres Hauses; ein rauschender gelber Strom wälzte sich einher.

Da das Wasser natürlich auch unsere Küche nicht verschont hatte, war das Kochen mit Schwierigkeiten verbunden. Wohl fand

sich außer einigen eisernen Öfen auch eine Spiritusflamme; aber es dauerte lange, bis das einfache Essen gar wurde. Unser gütiger Nachbar, Herr von Kahlden in Krumke, war so liebenswürdig, uns täglich mit fertig zubereiteten Speisen zu versorgen, die wir dann nur auf unseren Öfen aufwärmten.

Ein alter Kahn, der schon leck war, wurde herausgesucht; er mußte den Verkehr mit der Außenwelt aufrecht erhalten.

Nach einigen Tagen sank das Wasser so weit, daß Wagen und Pferde wieder hindurch konnten.

Im Haus hatten wir das Wasser noch bis Anfang März, denn jedes Auspumpen blieb erfolglos; viele Monate hindurch spürte man die Feuchtigkeit in den Wänden.