Seehausen.

Wie an den meisten bedrohten Orten, so wollte man auch in Seehausen zunächst nichts von einer unmittelbaren Gefahr für die Stadt wissen, war doch der Wasserstand im Aland noch sehr niedrig; aber schon am Dienstag, den 16. Februar, wurde man anders belehrt; im Laufe des Tages wuchs der Aland von Minute zu Minute; unaufhörlich ergossen sich die Fluten in gewaltigem Strome abwärts; unablässig arbeiteten die Pioniere an den Brücken, um sie vor Beschädigungen durch die Eisschollen zu schützen. Noch war die Stadt, bis auf einige Gebäude, frei von Wasser. Aber schon am Mittwoch, dem Kronprinzentage, stand das Wasser bis dicht unter den Brücken. Die Chaussee nach Falkenberg war seit Dienstag abend nicht mehr passierbar. In Stalluhn stand das Wasser seit Mitternacht auf dem Hofe bis dicht an das Wohnhaus. Inzwischen hatte, wie wir bei der Rückreise des Kronprinzen berichteten, das Wasser seinen Weg über Herzfelde, Schönberg nach Kamps, Ostorf und Beuster gefunden. Es stieg beängstigend schnell.

Noch am Mittwoch abend wurde der Zugverkehr zwischen Seehausen und Osterburg eingestellt, weil der Bahndamm bei Behrend beschädigt war. Wenige Tage später mußte auch der Bahnverkehr nach Geest-Gottberg wegen Überschwemmung der Geleise eingestellt werden. Der Postverkehr von und nach Seehausen wurde über Osterburg geleitet; der Postwagen fuhr bis an Seehausen heran, und dort nahmen Postbeamte im Kahn die Briefschaften zur Weiterbeförderung entgegen. Seehausen war inzwischen vollständig vom Wasser eingeschlossen.

Im „Goldenen Stern“ fand noch am 18. Februar abends unter dem Vorsitz des Regierungspräsidenten von Borries eine

Besprechung statt, an der Vertreter der Regierung, Sachverständige für Wasserbau und Vorstände aus den überschwemmten Gemeinden teilnahmen. In der Hauptsache wurden die Maßnahmen besprochen, die augenblicklich zur Fürsorge für die von Haus und Hof vertriebenen und wirtschaftlich stark geschädigten oder völlig ruinierten Bewohner nötig waren.

Der Sammelplatz der Pioniere war der Marktplatz; hier wurden morgens Proviantspenden verteilt und mittels Pontons nach den einzelnen Dörfern geschafft. Über alles Lob erhaben war das Verhalten der Soldaten. Tag und Nacht, bei Kälte oder Tauwetter, zu jeder Zeit, in jedem Augenblick waren sie, ohne mit den Wimpern zu zucken, bereit, auf den trüben Fluten nach den bedrängten Ortschaften zu fahren. Wie oft kam es vor, daß sie glaubten, endlich einmal ausruhen zu können, da erklang schon wieder das Alarmsignal und wieder mußten sie den Kampf mit dem kalten und nassen Elemente aufnehmen, um zu retten und zu bergen, was bedroht war. Und an der Spitze waren überall die Offiziere; sie trugen die gleichen Strapazen wie die Mannschaften und gingen überall mit leuchtendem Vorbild der Pflichttreue voran. So lange man noch des Hochwassers gedenken wird, so lange wird man auch dankbar der braven Soldaten gedenken. Wie würde es wohl geworden sein, wenn sie nicht gewesen wären? Wie viel größer wäre dann erst das Unglück geworden!

Der Wasserstand blieb lange Zeit derselbe. Erst am 1. März konnte berichtet werden: „Das Wasser im Aland fällt langsam, etwa 70 cm seit dem Höchststand und etwa 25 cm seit dem 26. Februar. Der Pegel am Beuster Tore zeigte heute 3,25 m. Am Sonnabend ist der Deich hinter der Paul’schen Gastwirtschaft vor dem Neuen Tore ausgebessert, so daß nun diesseits kein Wasser mehr aus dem Aland herausfließt; dadurch sind die Chausseen nach Osterburg und Arendsee wieder frei geworden; auch die Bahnhofstraße ist wieder zu passieren. Über die Chaussee nach Herzfelde läuft das Wasser noch an einigen Stellen... Ferner ist die Chaussee nach Wanzer frei; dagegen ist auf den Chausseen nach Falkenberg und Wittenberge noch nicht durchzukommen… Jetzt hat der Schnee die großen Eisflächen um unsere Stadt herum zugedeckt… Da das Wasser fällt, liegt das Eis hohl; wer sich darauf wagt, läuft Gefahr einzubrechen… Der größte Teil der Pioniere ist jetzt wieder nach Magdeburg

zurückgekehrt; täglich marschieren größere und kleinere Trupps fröhlich singend nach Osterburg zu, um dort die Pontons zu verladen und mit der Bahn in den Garnisonsort zurückzukehren.