Die Umgegend von Seehausen.
Außerordentliche Gefahren hatten die nord- und nordostwärts von Seehausen belegenen Güter, Höfe und Dörfer durchzumachen. Das Rittergut Nienfelde wurde am 17. Februar so plötzlich vom Hochwasser erreicht, daß eine Arbeiterfamilie tatsächlich nur das Leben, aber weiter auch nichts retten konnte. Das Vieh wurde zum großen Teile unter beschwerlicher Arbeit der Pioniere gerettet; einige Tiere gingen freilich ein. Zum Fortschaffen der Pferde und Kühe wurden zwei Pontons verbunden und Bohlenbelag darüber gelegt und befestigt; häufig weigerten sich die Pferde, diesen sicheren Platz bei der Landung zu verlassen.
Durch das Hochwasser litt auch das Dorf Kamps sehr; zwar waren keine Gebäudeschäden zu verzeichnen, aber die ganze Feldmark stand unter Wasser. Wie an anderen Orten, so hatten auch hier viele Bewohner die Kartoffeln vor dem andringenden Wasser aus den Mieten nach den Böden gebracht; hier zerstörte sie zwar nicht das Wasser, aber der Frost.
Über die Hochwasser-Erlebnisse der Bewohner des Dorfes Beuster findet sich der folgende anschauliche Bericht im Seehäuser Wochenblatt:
„Lachender Sonnenschein! Glitzernder Schnee! Die schönste Winterlandschaft! Die weiße Decke verhüllt die verheerenden Spuren des unheimlichen Gastes, der uns vor wenigen Wochen heimsuchte. Nur die Eisringe an den Zäunen zeigen, wie hoch das Wasser gestanden hat. Auf Schlitten und Wagen kehren die geflüchteten Menschen mit Hausgerät und Vieh nach und nach in das alte Heim zurück. Mit Grausen denken sie zurück an die Flucht. Für die Nacht vom 17. zum 18. Februar war die Ankunft der Flut hier gemeldet. Nichts verriet am Abend des 17. die anrückende Gefahr; ungläubig stand man vielfach den Nachrichten gegenüber. Mit bangem Zweifel gingen die Bewohner zur Ruhe. Nachts gegen 1 Uhr weckten Alarmsignale aus dem kurzen Schlaf und verkündeten, daß die Befürchtungen zur Gewissheit geworden waren. „Alles nach P., das Vieh muss gerettet werden“, erklang das Kommando durch den Trubel der Nacht. Andere verfügbare
Kräfte mußten arbeiten, um den zum Schutze des Dorfes angelegten Notdeich zu vollenden. Nach einigen Stunden gebot das schnell wachsende Wasser den Rettungsarbeiten Halt; sie mußten nun den wackeren 3. Pionieren, die am Abend vorher eingetroffen waren, überlassen bleiben. Mit dem anbrechenden Morgen war die Fläche zwischen Beuster und Seehausen in einen See verwandelt; beängstigend stieg das Wasser weiter. Immer mehr wurde die schaulustige Menge auf der Chaussee zurückgedrängt; immer näher rückten die Fluten dem Dorfe. In den Mittagsstunden ließ das Steigen etwas nach, bald aber nahm es wieder zu. Schon fingen die Alandsdeiche an überzulaufen und nun war kein Zweifel mehr: Alles Deichen war umsonst, das Dorf kommt in Gefahr. Gegen 3 Uhr nachmittags stürzten die Wogen brausend über den Deich in das Dorf hinein, und nun entwickelte sich ein Leben, wie es B. wohl seit langem nicht gesehen hat. In einer Stunde standen die Gärten unter Wasser. Von den gefährdeten Gehöften – und das war die größere Hälfte – mußte das Vieh nach den am Elbdeich gelegenen gebracht werden. „Alles rennet, rettet, flüchtet“, eine treffliche Illustration zu dem Dichterworte bot nun das Straßenbild. Menschen, Tiere, beladene Wagen, Rufen, Lärmen, Brüllen, Quieken: alles durcheinander. Hier kommen Pioniere mit Borstentieren auf der Achsel im Laufschritt an; dort stürmen Sechsundsechziger, die gerade noch zur rechten Zeit eintrafen, mit jungen Rindern den Deich hinan; da schieben Soldaten einen Stier, der durchs Haus nicht den Hof verlassen will, mit Gewalt vorwärts. Von jenem Hofe ertönt ein Mordsspektakel: Hühner wurden unter lautem Protest in Säcke verstaut und fortgebracht; auf einem anderen Gehöfte werden Kartoffeln, die eben erst von der Miete in den Stall gerettet waren, nach dem Boden geschafft. Eben vernimmt man Lachen über eine drollige Szene, dann klingt wieder die weinerliche Stimme einer Frau an das Ohr: „Wohin mit meiner Kuh, alle Räume sind voll!“ In Schuppen, auf Dielen, überall steht Vieh. Zur Vervollständigung des düsteren Bildes senden die Wolken dicke Schneeflocken hernieder, und ein kalter Wind wirbelt sie durcheinander. Mit eintretender Dunkelheit ist die Bergungsarbeit getan, die Ruhe kehrt wieder, nur die über den Alandsdeich stürzenden Wogen singen ihre düstere Weise. Glücklicherweise hatte das Wasser auch den höchsten Stand erreicht. Am nächsten Morgen schon konnte zahlreiches Vieh wieder ins Dorf zurückgebracht werden. Nur wenig Gehöfte haben da Wasser
in Haus und Ställe bekommen. Der angesagte Wasserstand ist ca. um 1 m zurückgeblieben. Nach banger Befürchtung und harter Arbeit konnten die Bewohner endlich wieder den erquickenden Schlaf finden. Dankbar wird man auch stets der wackeren Pioniere und Sechsundsechziger gedenken, die auch hier bei den Rettungsarbeiten fast Übermenschliches geleistet haben.“
„Das Eickerhöfer Feld steht unter Wasser, das Gut aber noch nicht. Gleich hinter Eickerhöfe fließt das Wasser über den Bahndamm und verhindert den Eisenbahnverkehr. In Geest-Gottberg stehen die Post, das Schulhaus und der Gasthof ca. ½ m im Wasser. Wasserfrei ist kein Gebäude des Ortes mehr. Die Pioniere, die wacker geholfen haben, Vieh und Materialien hoch oder fort zu schaffen, sind jetzt völlig machtlos; sie können nicht mehr von Gehöft zu Gehöft kommen, weil das Wasser nicht tief genug ist, um überall mit Kähnen fahren zu können. Sie sind fortgesetzt daran, zwischen Seehausen und Wahrenberg den Alanddeich zu sprengen, um dem Wasser Abfluß durch den Alandfluß zu schaffen. Das ist aber schwer zu erreichen, da der Aland von Wanzer bis zur Geest-Gottberger Burgbrücke beinahe einen Eisblock darstellt, der die Aufnahme des Wassers äußerst erschwert. Die Sprengung des Eises macht große Schwierigkeiten. Der Aland-Sommerdeich bei Geest-Gottberg ist am Sonnabend auf eine Breite von 130 m gesprengt worden.“
Das Vieh aus Krüden wurde nach Priemern getrieben. Groß-Garz, Deutsch und Drösede standen im Wasser. Die hölzerne Alandbrücke wurde vom Strom und Eis weggerissen und fortgeschwemmt. Im Schaugraben bei Groß-Aulosen stand das Wasser in ungewöhnlicher Höhe bei starker Strömung. Bei Altengehre am Aland war die Gefahr besonders groß, weil hier sich die Alanddeiche nahe liegen. Diese Deichenge hatte ca. ½ m mehr Wasser wie durchschnittlich unterhalb der Eisenbahnbrücke, aber doch noch ca. ½ m Bord; in dieser Höhe strömte das Wasser etwa 8 Tage lang, dann sank es.
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