Die Erlebnisse der Sandauerholzer und der Anwohner an der zweiten Durchbruchstelle.
Die Sandauerholzer sind die am aller schwersten Getroffenen. Ihre Gehöfte sind völlig vom Wasser überflutet. Die Häuser schauen zum Teil nur mit den Dächern aus Eis und Wasser heraus. Dem Besitzer König gelang es am Sonntagmorgen noch einiges Vieh nach Büttnershof zu bringen, wo es aber später dem bereits glücklich entronnenen Element dennoch zum Opfer fiel. Die Kühe konnten nach Altenzaun in Sicherheit gebracht werden. Schwer betroffen ist besonders der Besitzer Beising; 38 Stück Großvieh kamen ihm elend in den Fluten um. Beising, der sich am Sonntag nur mit Mühe selbst retten konnte und alles Vieh im Stich lassen mußte, ließ sich am Dienstag in einem Ponton nach seinem Gute bringen, wo ihm seine bis an den Hals im Wasser stehenden Pferde entgegenwieherten; glücklicherweise konnten sie auf eine höher gelegene Stelle gebracht werden Der Besitzer Schultz rettete nur dadurch sein Vieh, daß er es in der höher gelegenen Küche unterbrachte. Da, am Mittwoch, wird plötzlich aus einem der Häuser morgens ein Feuerzeichen, nachmittags ein roter Tuchlappen sichtbar. Wie man auf dem Deiche diese Zeichen bemerkt, gerät man begreiflicherweise in die größte Bestürzung, hat man doch geglaubt, daß keine Menschen mehr in den äußerst gefährdeten Häusern seien. Sofort wird ein Kahn herbeigeschafft. Mit vieler Mühe gelingt es den wackeren Pionieren, an jene Gehöfte heranzukommen. Man findet in den Gehöften noch zwei Männer vor, die erklären, verharren zu wollen, um das in den Höfen noch befindliche Vieh zu pflegen; noch sind nämlich 12 Kühe, 1 Kalb und 6 Pferde dort vorhanden. In den Ställen bietet sich den mutigen Rettern ein geradezu schauerlicher Anblick. Man fand verendete Ochsen, Kühe, Färsen, Kälber, Schafe und Schweine; die Tiere mußten einen furchtbaren Todeskampf durchgemacht haben; die Kadaver lagen wild übereinander. Das Notsignal war gegeben um Lebensmittel zu erlangen. Um die Rettung der Sandauerholzer bemühte sich Leutnant von Stöphasius vom
Infanterie-Regiment 66 das größeste Verdienst erworben: Mit sieben ihm zur Verfügung gestellten Pionieren hatte er am Montag vorher 23 Menschen aus den Häusern, zum Teil von den Dächern herab, in Pontons gerettet.
Unmittelbar an der zweiten Durchbruchsstelle liegen außer einem „Tortzenburg“ genannten Tagelöhnerhaus die Gehöfte von Germerslage, nämliich Pagenkopf’s Hof, Voßhof und Zacher’s Hof; sie haben nächst den Sandauerholzern am meisten gelitten. Ein Magdeburger hat am Sonntag nach dem Durchbruch diese Höfe
besucht; er schildert seinen Eindruck, den er auf dem Pagenkopf’ schen Hofe empfangen, in der „Magdeburgischen Zeitung“ folgendermaßen:
„Die Flut ist durch den Garten und den Torweg hinein und durch den Hof hindurch gegangen. Sehr schwer haben die Obstbäume gelitten: die Eisschollen haben die Rinde auf der Wetterseite vollständig von den Stämmen abgeschunden. Der eiserne Gartenzaun ist demoliert. Der Hof ist eine Eisfläche. Im Rindviehstalle steht das Eis ½ Meter hoch. Das Vieh scheint zur rechten Zeit in Sicherheit gebracht worden zu sein. Die Tür des Geflügelstalls steht weit offen. Lautes Gackern der Hühner und Schnattern der Enten legt Zeugnis davon ab, daß seine Bewohner die Gefahr
entronnen sind. Nur ein Hahn ist den Fluten zum Opfer gefallen; er liegt mitten auf dem Hofe im Eis fest eingefroren. Ein Flug Tauben kehrt eben von einem vergeblichen Ausfluge zurück; die Tierchen fanden in der Eiswüste nicht, da ihr Fuß ruhen konnte. Das hoch gebaute massive Wohnhaus scheint keinen größeren Schaden genommen zu haben. In den Fenstern stehen blühende Hyazinthen und durch die blinkenden Fensterscheiben bemerken wir das Ticken der Wanduhr. Wir umschreiten das Gehöft und bleiben hinter der Scheune stehen. Um uns herrscht Todesstille; nur ab und zu tönt das Krachen des Eises durch die kalte Winterluft. Vor uns, dicht jenseits der Bruchstelle, steht ein Tagelöhnerhaus. Furchtbar haben ihm Wasser und Eis mitgespielt. Sein Giebel ist weggerissen, sein Schornstein zusammengestürzt, der Hausrat zerbrochen oder fortgeschwemmt. Tagelang haben die Betten in den Ästen eines Birnbaums gehangen. Fürwahr, ein schauerliches Bild der Verwüstung!“
In den ersten Tagen nach dem Durchbruch blieb das Gehöft des Rittergutes Kannenberg selbst noch verschont, aber am Donnerstag, den 18. Februar, als bei Busch eine Eisversetzung eingetreten war, nahte auch diesem Gehöft das Wasser in bedrohlichem Maße. Schon am Sonntag vorher hatten die Pioniere das Rindvieh nach dem Hohenhof bei Giesenslage zu bringen versucht, nicht ohne die Erfahrung dabei zu machen, daß die Subordination, die sie selber willig zu leisten gewohnt waren, dem lieben Vieh ganz fremd war. Wir können es den Kannenberger Gutsbewohnern lebhaft nachfühlen, welche sorgenvollen aufregenden Tage und Nächte sie damals durchgemacht haben.
Sehr schlimm wurde der reiche Wildstand des Rittergutes mitgenommen: Viele Rehe und Hasen gingen in den Fluten unter; was sich retten konnte, sammelte sich ängstlich auf dem Stroh einer bei dem Gutshof belegenen Feldscheune und fristete ein kümmerliches Dasein.
Von der zweiten Durchbruchsstelle ergossen sich die Wassermassen unaufhaltsam und unaufhörlich auf Busch, Giesenslage und Iden zu; bevor wir aber von den Ereignissen in diesen drei Dörfern hören, müssen wir von einem Ereignis berichten, das wie ein heller Lichtblick für die Überschwemmten in der dunklen trüben Zeit der Not war, von dem Besuch unseres geliebten Kronprinzen an den beiden Durchbruchstellen.