An der großen Wässerung.
Bevor wir die Ereignisse in den zuletzt genannten Dörfern und in der Stadt Seehausen näher schildern, müssen wir noch eines Ereignisses gedenken, welches das Hochwasserbild wesentlich veränderte. Wie wir schon oben bemerkten, entstand am 18. Februar oberhalb der Werbener Kleinbahn eine Eisversetzung, welche einen Rückstau bis nach Kannenberg ausübte und die Flut nach Norden hin drückte. Obwohl die Stadt Werben zu Anfang am meisten bedroht war, war sie doch bis dahin am meisten verschont geblieben. Es schien, als sollte nun auch sie das Los der anderen Ortschaften teilen, denn in der Nacht vom Donnerstag, den 18., bis Freitag, den 19. Februar, nahte auch ihr die Flut bedenklich; am Freitag vormittag stand bereits die ganze südlich nach Behrendorf zu gelegene Feldmark unter Wasser und der taube Aland konnte kaum das in starker Strömung dahin fließende mit Eisschollen gefüllte Wasser fassen. Der Verkehr mit Behrendorf war abgeschnitten. Pionieren gelang es, eine Familie von dort her zu retten. In Werben selbst war man eifrig damit beschäftigt, die Brückendurchlässe frei zu halten und dem Wasser im Aland freien Abfluß zu ermöglichen. Das Wasser kam wohl an die Stadt heran, aber nicht in die Stadt hinein; die Sprengung des Kleinbahndammes bei Giesenslage rettete sie.
Ärger erging es den Bewohnern der vier an der großen Wässerung gelegenen Höfe, des Druden- und Einhofs, des Börnerschen und Rogges‘chen Hofes. Am Freitag, den 19. Februar, morgens kam das Wasser in Sicht; es stieg so rapid, daß mittags schon jeder Verkehr abgeschnitten war. Glücklicherweise konnte mit dem Telephon auf dem Börner‘schen Hofe Hilfe herbeigerufen werden. Schon am Nachmittag kamen von Werben aus Pioniere, welche auf dem genannten Hofe stationiert wurden, um den Verkehr zwischen den vier im Wasser liegenden Höfen unter einander und mit der Außenwelt zu vermitteln. Es wurden nun zuerst die Leute aus den Tagelöhnerhäusern mit ihrem Vieh auf den etwas höher gelegenen Wirtschaftshöfen untergebracht; dann wurde noch fast die ganze Nacht gearbeitet, um das Vieh in den Ställen hoch zu bringen und die Dämme um die Höfe herum zu verstärken, damit die Flut nicht direkt über den Hof lief. In einer Wirtschaft wurde die Milch von den drei Wendemarker Wirtschaften zentrifugiert und
gebuttert. Acht Tage lang wurden Lebensmittel, Postsachen usw. durch die Pioniere mit Kähnen herbeigeschafft. Die Anlandestelle für den Kahn war am Wöllmer-Stift an der Königseiche; von dort konnte der Verkehr nach Werben mit Wagen vermittelt werden. Für etliche Tage freilich ging auch das nicht; der Frost verhinderte das Kahnfahren. Erst als das Eis stark genug war, wurden auf demselben Steige hergestellt, auf denen nun endlich ein Verkehr ermöglicht wurde. Nach einigen Tagen fiel das Wasser; als es weit genug gefallen war, wurden durch Entfernung des Eises auf den Wegen Fahrbahnen hergestellt; damit war auch hier die Not ein Ende.
Übrigens war auch Werben viele Tage hindurch infolge des Hochwassers von der Außenwelt fast ganz abgeschnitten. Der Postverkehr, der an einem Tage ganz aufgehört hatte, wurde einmal sogar über die zugefrorene Elbe und Havel nach und von Wilsnack vermittelt, dann aber längere Zeit zwischen Seehausen und Werben bei Herzfelde durch Pioniere hergestellt, bis denn nach Verlaufen des Wassers eine zweimalige Postomnibus-Verbindung täglich mit Seehausen eingerichtet wurde. Man empfand es doch recht unangenehm, daß die Kleinbahn Werben–Goldbeck erst nach einem vollen Vierteljahr ihre Fahrt wieder aufnehmen konnte.