Die Eisbrecher.

Wie wohltuend auch immer die allgemeine opferwillige Teilnahme war, welche die Heimgesuchten fanden, wie erfolgreich sie auch vielen einzelnen Nöten abhalf, ja, wie geradezu unentbehrlich sie sich erwies, die große allgemeine Hochwassergefahr konnte sie nicht beseitigen, weil sie die Ursache derselben nicht hinwegschaffen konnte. Alles Übel war durch den Deichbruch bei Berge gekommen; von dort aus hatte sich die Elbe ein ganz neues Bett durch die Wische hindurch gesucht; alles kam darauf an, das Wasser der Elbe durch Beseitigung des Eisgebirges und durch Schließung des Deichbruches wieder in sein altes Flußbett zu zwingen; die erstere Aufgabe fiel den Eisbrechern, die letztere Aufgabe den Behörden zu.

Im Jahre 1888 stellte Preußen drei Eisbrechdampfer für die Elbstrombauverwaltung ein und vermehrte ihre Zahl auf sieben. Die Fahrzeuge haben 20 bis 30 m Länge und 5 bis 6 m Breite und besitzen Maschinen bis zu 300 Pferdekräften. Die Eisbrecher sind mit elektrischen Scheinwerfern versehen, damit sie auch nachts arbeiten können. Zur Erzielung eines möglichst großen Tiefgangs, der für die volle Kraftentwicklung unerläßlich ist, können sie Wasserballast einnehmen; ohne letzteren gehen sie 1,50 bis 1,80 m, mit demselben bis zu 2,80 m tief. Während die Dampfer im Sommer bei Baggerarbeiten und im Schleppdienst beschäftigt sind, beginnen sie im Spätherbst in Harburg ihren Dienst. Freilich vollzieht sich die Eisbildung in der Elbe oft mit so großer Schnelligkeit, daß es den Eisbrechern unmöglich ist, die Ausbildung einer Eistafel zu verhindern. Dazu fehlt oft im unteren Flußlaufe die genügende Strömung, um das gelöste Eis abzutreiben. Die Eisbrecher sind

auch nicht imstande, dem Zusammenschieben des Treibeises in dem oberen Flußlaufe zur festen Eisdecke, die oft in wenigen Stunden viele Kilometer Länge umfaßt, vorzubeugen.

In diesem Jahre gestattete erst am 8. Februar die Wassertiefe, daß die drei größeren Eisbrecher den Dienst aufnahmen, Der starke Frost am Ende Januar hatte einen von Hamburg bis nahezu Magdeburg reichenden Eisstand hervorgebracht. Bei dem Tauwetter Anfang Februar löste sich das Eis in seinem oberen Teile. Die Massen von einer 160 km langen Stromstrecke wurden oberhalb Dömitz auf 10 km Länge zusammengehäuft. Hier trafen die Eisbrechdampfer am 10. Februar abends ein. Die Eisstopfung war so stark, daß sie nur 2,5 bis 3 km Stromstrecke an je einem Tage zu reinigen vermochten.

Durch die wieder einsetzende scharfe Kälte wurde gleichzeitig eine gewaltige Menge Neueis geschaffen, das in Verbindung mit den aus Quellflüssen kommenden Eisschollen eine neue von oberhalb Dömitz bis Sandau reichende Eisstopfung von einer Mächtigkeit hervorrief, wie sie seit Menschengedenken nicht beobachtet worden war.

Die gewaltige Eismasse erstreckte sich von der ganzen Strecke von Deich zu Deich, durchsetzte bei Werben in etwa 7 m Höhe fast den ganzen Flusslauf und ließ nur eine schmale Rinne offen, in der das Wasser mit reißender Strömung abfloß. Hier war

auch die Tätigkeit der Eisbrecher zwei Tage lang fast ohne Erfolg. Auch die gewaltigen Sprengungen seitens der Pioniere halfen nicht viel. Erst als es den Eisdampfern gelang, in die erwähnte Rinne einzufahren, konnten sie wieder einen Fortschritt von etwa 3 km für den Tag verzeichnen.

Wochenlang hatten die Eisbrecher schon des Morgens vor Tagesgrauen begonnen und bis tief in die Nacht bei dem Lichte der Scheinwerfer ihren Betrieb fortgesetzt, so weit es die Kräfte der Besatzung und die Sorge für die Sicherheit der Maschine und Fahrzeuge nur irgend zuließen. Die Beschädigungen der Dampfer traten glücklicherweise nur in einem Umfange auf, der eine sofortige immer nachts erfolgte Ausbesserung erforderte. Ehre den wackeren Männern, denen der Dienst auf der Eisbrecherflotte oblag und die unbekümmert um die rauhe Witterung vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein wochenlang ihre Pflicht in höchstem Maße erfüllten.

Die Augen Tausender und Abertausender verfolgten die Tätigkeit der Eisbrecher mit wachsender Ungeduld. „Wir hören“, so schrieb Pfarrer Hübener aus Berge in jener Zeit der Spannung, „schon seit Tagen die Signale der Eisbrecher und glauben jetzt, Montag, den 22. Februar, vormittags 11 Uhr, in nebligem Wetter den Rauch der Schiffe etwa bei Röhl in Räbel zu sehen. Die schlimmste Arbeit steht ihnen noch bevor, denn die Elbe hat zwischen Räbel und Berge sehr wenig Wasser, aber desto mehr Eis.“

Endlich, nach aufreibenden, unmenschlichen Anstrengungen sind die Eisbrechdampfer an ihr Ziel gelangt. Am 26. Februar, nachmittags 4 Uhr, war der Eisbann der Elbe gebrochen. Mit fröhlichem, kräftigem Hurra seitens der an der Durchbruchstelle ungeduldig harrenden Zuschauer wurden die Eisbrecher dankbar und begeistert begrüßt. Näheres wurde alsbald durch die folgende Depesche aus Werben bekannt:

„Die Eisbrecher haben nachmittags 4 Uhr die Eisverfestigungen durchbrochen. Die durchbrochene Rinne inmitten des Strombettes ist 30 m breit. Die Elbwässer fließen größtenteils wieder in ihrem alten Bette. An den Deichbrüchen fällt das Wasser, die Strömung läßt nach, so daß der Zustrom in die überschwemmte Wische bald wird abgestaut werden können.“ Noch an demselben Nachmittage konnte die wichtige Nachricht telegraphisch dem Kaiser gemeldet werden.