10. Die Franzosenzeit.
Konnten wir schon für die bisherigen Aufzeichnungen den Berger Pfarrern herzlich dankbar sein, so müssen wir doch besonderen Dank darüber empfinden, daß sie uns auch über die geschichtlich für unser Vaterland so denkwürdige Zeit von 1806 bis 1815 genaue Aufzeichnungen hinterlassen haben. So ist hochinteressant, zu sehen, wie sich die großen weltgeschichtlichen Ereignisse mit ihrem Leid und ihrem Glück in der Geschichte eines Dorfes widerspiegeln. Um den Wert der anschaulichen Schilderungen nicht einzuschränken, geben wir auch hier dieselben wörtlich wieder:
1806, am 14. Oktober, verlor der König von Preußen die Schlacht bei Auerstädt; den Kanonendonner dieser Schlacht hörte man hier gleich einem entfernten Donner. Das Gerücht von dieser verlorenen Schlacht kam am 18. auch hierher; von mehreren wurde ihm aber noch widersprochen. Alle Ungewißheit hörte schon am 19. auf, wo abends 9 Uhr die Equipage des Königs und der Königin unter Bedeckung der Gardesducorps und der Garde hier durchkam und noch in der Nacht bei Werben über die Elbe ging. Einige Stunden vorher waren hier 3 Towarzys angekommen; da dies eine in hiesiger Gegend ganz unbekannte Art des Militärs war und diese Menschen als geborene Polen kein Deutsch sprachen, so wurde das schreckensvolle Gerücht verbreitet, der Feind wäre schon hier. Der Durchmarsch des königlichen Gepäckes mit der Bedeckung dauerte fast die ganze Nacht hindurch. Alle, die sich dabei befanden, waren sehr hungrig und durstig, da mehrere seit dem Tage der Schlacht nichts zu essen oder zu trinken gehabt. Alles strömte in die Pfarrwohnung, Offiziere, Gemeine, Knechte, Sekretäre usw., man gab ihnen so lange zu essen und zu trinken, bis alles aufgezehrt war. Diese militärische Bedeckung war noch völlig bewaffnet, aber alles war so voller Furcht, daß man in jedem Augenblick die Ankunft der Franzosen erwartete. Am 20. gingen mehrere Truppen, von allen Regimentern vermischt, in der größten Unordnung ohne Offiziere, die schon früher einen andern Weg genommen hatten, ohne Gewehre hier durch, da die Ueberfahrt über die Elbe bei Werben bestimmt war. Die Besuche bei dieser Gelegenheit waren sehr zahlreich; man mußte sehen, wie man in aller Eile wieder etwas zum Unterhalt der ausgehungerten Menschen anschaffte. Am 22. wurde der Uebergang über die Elbe nach Sandau verlegt. Die Einquartierung und Durchmärsche dauerten aber dennoch täglich fort. Von dem Feinde konnte man aber keine bestimmten Nachrichten erfahren. Einige behaupteten, er wäre ganz nahe, andere, er wäre noch jenseits Magdeburgs, wo sich die preußische Armee wieder setzte. An diesem Tage wurden hier sächsische Truppen, von mehreren Regimentern vermischt, einquartiert. Diese machten hier Ruhetag, da sie wahrscheinlich schon wußten, daß ihr Kurfürst Frieden gemacht hatte.
Alle Ungewißheit über die Entfernung des Feindes verschwand am 26. An diesem Tage wurde hier Gottesdienst und Abendmahl gehalten, da letzteres vor acht Tagen angekündigt war. Während der Predigt hörte man in der Ferne feuern, nach geendigtem Gottesdienst erhielt man die bestimmte Nachricht, daß der letzte Teil der preußischen Truppen sich heute über die Elbe ziehe, daß dieser Teil vom Soult’schen Corps verfolgt werde, welches durch die Jäger unter dem Oberst York zurückgehalten werde. Das Feuern ward immer heftiger, kam bald näher, entfernte sich bald mehr und hielt bis zum Abend an, wo der Feind zurückgedrängt wurde und der Rest der preußischen Truppen ohne Verlust über die Elbe kam. Damit der Feind nicht folgen könne, wurden die 23 zum Uebersetzen gebrauchten Fähren zerschlagen. In der nun folgenden Nacht fürchtete man jeden Augenblick die Ankunft der Franzosen. Am 27., morgens 5 Uhr, kamen auch die ersten feindlichen Husaren. Diese kamen mit wildem Geschrei, gezogenen Säbeln und gespannten Pistolen gerade auf die Pfarre los und forderten 20 Carolinen, deutsche Goldmünze im 18. Jahrh. im Werte von ca. 20 Mk., von dem Hunde von Pfaffen, den sie den Augenblick erschießen würden, wenn er ihnen das Geld nicht gleich gäbe. Bei dem Gelärm waren mehrere Menschen zusammengelaufen; diese wurden mit geladenen Pistolen geprügelt, ihnen mit Säbeln die Kleider zerstochen. Da es dem Prediger unmöglich war, die 20 Car. zu bezahlen, so wurden alle Fenster eingeschlagen. Jeder suchte sich zu retten, und auch der Prediger mußte sein Haus verlassen und sich nach Giesenslage zurückziehen, um nur sein Leben in Sicherheit zu bringen. Da er die Franzosen als schonende Sieger ansah, so hatte er nichts von seinen Sachen beiseite gebracht, welches ihm überdem auch von mehreren preußischen Offizieren widerraten war. Alles war so der feindlichen Plünderung preisgegeben. (Es wird noch jetzt erzählt, daß man im Turm den Fußboden aufgerissen und ein Loch gegraben habe, in welches die Einwohner ihre Gelder und Kostbarkeiten geborgen. Darauf habe man die Fliesen wieder darüber gelegt.) Einige Freunde brachten den Rest nach einigen Tagen in Sicherheit. Am 27. abends gelang es dem Prediger, sich durch die Feinde durchzuschleichen und nach Havelberg zu kommen, wohin er seine Frau und Kinder schon acht Tage früher geschickt hatte. Das Haus ward von fünf verschiedenen Parteien durchplündert. Was diesen nicht gefiel, das ward gerettet.
Ein ähnliches Schicksal hatten mehrere Prediger der hiesigen Gegend, so daß einige von ihnen bis in Lüneburgische flüchteten. Ueberhaupt schien es, als hätten sich die Feinde die Prediger recht eigentlich zum Ziele ihrer Mißhandlungen auserwählt. Das Soultsche Korps verweilte nur bis zum 30. Oktober in hiesiger Gegend. Im hiesigen Dorfe ist nur ein Kommando von 25 Husaren mit einem Offizier gewesen, das weiter nichts als Hafer, Weißbrot und Wein requirierte, welches alles nach der Buschmühle ins Lager gebracht werden mußte. Das ganze Korps ging bei Tangermünde über die Elbe; nur einzelne Soldaten, die aufs Plündern bedacht waren, blieben zurück. Nach 14 Tagen, als wieder ziemliche Sicherheit war, kehrte der Prediger zurück. Seit dieser Zeit hat man bis zum 6. November 1807 im hiesigen Dorfe keine Franzosen gesehen, obgleich bei Sandau ganze Korps über die Elbe gingen. Diese Verschonung rührt wohl daher, daß die hiesige Gegend in dem am 12. Juli 1807 abgeschlossenen Frieden mit zum Königreich Westfalen gehört. Im November 1807 wurden hier im ganzen 4 Mann einquartiert, welche wahrscheinlich nur dazu dienen sollten, um Furcht einzujagen, damit die so hohe Kriegssteuer zusammengebracht werde. Diese 4 Mann verweilten aber nur 8 Tage hier, wo sie dann wieder auf andere Dörfer verlegt wurden.
1808 am 5. Februar kam ein Befehl von der neuen Regierung zu Kassel, am 7. d. M. eine Huldigungspredigt zu halten und an diesem Tage über den Antritt der Regierung des Königs Hieronymus zu jubeln. Das Jubeln ging ganz in der Stille ab, wenigstens hat der Prediger nichts davon gehört. Der zu obiger Predigt bestimmte Text kam endlich am 9. an. Gleich nachdem die Proklamation des neuen Königs, worin versprochen wird, daß für das Glück der Untertanen aufs väterlichste gesorgt werden sollte, abgelesen war, kam der Befehl, daß von den bisher steuerfreien Gütern der Adligen, Prediger usw. fortan ein Achtel des Ertrages als jährliche Steuer entrichtet werden solle. (Das Freibrauen war schon früher genommen.) Wird dieser Befehl in Ausführung gebracht, so wird der hiesige Prediger künftig das verheißene Glück schmerzlich empfinden, da ihm dann wohl schwerlich 100 Taler zur Einnahme verbleiben.
Kaum war jenes Jubelfest vergessen, so kam ein neuer Befehl, daß sich jeder Untertan, wes Standes er auch sei, am 6. März in der Kantonstadt Werben einfinden solle, um dort nach angehörter Huldigungspredigt vor dem Gemeindehause den Huldigungseid abzulegen. Auch dieser 2. Akt ging ganz in der Stille ab, ohne daß auch nur ein „Es lebe!“ gerufen worden wäre. Der vorgelesene Eid wurde nur von sehr wenigen nachgesprochen. Zur Kriegssteuer hat der Prediger im ganzen 146 Rthlr. 9 ggr. bezahlen müssen, obgleich ein Teil derselben durch eine Anleihe aufgebracht wurde, wozu der Prediger wiederum 27 Rthlr. 10 ggr. geben mußte. —Nachdem eine Ausgleichung jener Steuer angefertigt worden, hat der Prediger am 1. Mai 1810 noch 41 Rthlr. 1 gr. 7 Pf. nachzahlen müssen, so daß also im ganzen 187 Rthlr. 10 gr. 7 Pfg. Kriegssteuer von der Pfarre gezahlt worden sind.
Die Kontribution für die Pfarrländereien wurde im Jahre 1808 wirklich eingeführt; der Prediger mußte, nachdem diese Steuern alljährlich erhöht wurden, jährlich folgende Kontribution bezahlen: In Berge 16 gr., in Räbel 26 Rthlr. 9 gr. 10 Pf., in Giesenslage 10 Rthlr. 15 gr. 6 Pfg., in Busch 11 Rthlr. 22 gr. 10 Pfg. Nach dieser Kontribution wurden auch alle übrigen Abgaben, die unter sehr verschiedenen Namen erschienen, eingerichtet. Diese Abgaben, wenn dazu noch die Personalsteuer und Accise und Kommunalausgabe gerechnet wird, übersteigen noch die Kontribution, so daß der Prediger noch über 100 Rthlr. jährlicher Abgaben zu entrichten hatte. Von den Pfarrländereien mußten nun auch die Lieferungen, wie von allen übrigen Ländereien, getragen werden. Unter diesen Umständen trug die hiesige Pfarre nach einer bei dem Konsistorium zu Stendal eingereichten Designation, wo alles Korn selbst und nur Wohnung und Gartennutzung nicht mitgerechnet waren, jährlich 3 Rthlr. 2 ggr. 11 Pf., wovon der Prediger auch das erforderliche Brotkorn usw. kaufen mußte. Die Kontribution wurde in der Folge auf das Doppelte erhöht.
1812. Im November d. J. ward die ganze große französische Armee in Rußland so weit vernichtet, daß nur einzelne kleine Reste derselben über die Oder zurückkamen. Dadurch ward der König von Preußen bewogen, der bisherigen Allianz mit Frankreich zu entsagen, seine Truppen von den Resten der französischen Armee zurückzuziehen und im Anfange des Jahres 1813 selbst gegen die Franzosen zu marschieren. Daher wurde die Elbe auf des Kaisers Napoleon Befehl mit neu aufgestellten, aus Spanien zurückberufenen Truppen und mit Kohorten, d. h. Truppen, welche eigentlich nur zur Verteidigung des inneren Frankreichs bestimmt waren, stark besetzt. Berge hat vom 1. bis 20. März zusammen, die Offiziere zu Gemeinen gerechnet, 1647 Mann beherbergen und unterhalten müssen. Die Einquartierung war oft so stark, daß auf einem Ackerhof 74 und bei einzelnen Kossaten 16 Mann lagen. Da die vornehmsten Offiziere sich ohne weitere Umstände auf der Pfarre einquartierten, so hat der Prediger in dieser kurzen Zeit, die Offiziere verhältnismäßig zu Gemeinen gerechnet, 312 Mann in Quartier gehabt und täglich mittags mit 4 und abends mit 3 Gerichten bewirten müssen. Wein konnte nicht gegeben werden, da nirgends welcher zu haben war; die Herren mußten sich mit gutem Schnaps begnügen.
In der Nacht vom 24. bis 25. März war eine kleine Abteilung von Kosaken bei dem Sandauer Fährkrug über die Elbe gegangen und hatte ein daselbst stehendes Detachement der Pariser Husaren teils aufgehoben, teils verjagt. In derselben Nacht war bei Werben das Benkendorfsche und Dörenbergsche Corps, aus Russen und Preußen bestehend, über die Elbe gegangen, setzte sich bei Werben fest und schickte seine Vorposten bis Bertkow. Die Franzosen hatten sich bei Grieben ins Lager gezogen. Am 25., mittags 12 Uhr, erschienen die ersten Gruppen dieses Corps (Don’sche Kosaken), ihnen folgten häufig andere. Am 26. des Nachmittags kam hier ein Regiment russischer Dragoner und ein Regiment regul. Kosaken durch, welche bei dem Fährkrug über die Elbe gekommen waren und nach Werben gingen. Diesen, da auch die alliierten Truppen die Pfarre den übrigen Wohnungen vorgezogen, mußte der Prediger, außer Bewirtung der Offiziere, bei ihren Durchmärschen 25 Flaschen Branntwein und eine Tonne Bier, Brot usw. reichen. Da die Russen noch ihre Fasten hatten, so forderten sie kein Fleisch, sondern waren mit Fisch, Sauerkohl, Zwiebeln, Backobst, vorzüglich Pflaumen und Eiern, zufrieden.
Am 27. drängten die von Grieben gekommenen Franzosen die Vorposten der Alliierten zurück. Das Scharmutzieren ging die Giesenslager Straße herunter auf Werben zu, welches die obengenannten Corps, die sich auf der Straße nach Seehausen zurückzogen, verlassen hatten. Die französischen Seitenpatrouillen kamen durch Berge und betrugen sich noch gut. Die Franzosen machten bei Werben Halt, wo sie teils einquartiert wurden, teils biwakierten und sich vieler Gewalttätigkeiten erlaubt haben sollen.
Am 28. März des Morgens in aller Frühe ging das französische Corps wieder zurück und kam durch Berge, wo manche Gewalttätigkeiten verübt wurden.
Am 29. kehrte dieses Corps wieder um und kam am Abend, da es schon ganz finster war, durch Berge. Es erlaubte sich die größten Gewalttätigkeiten. Der Prediger, welcher seine Kinder schon früher entfernt hatte, mußte, nachdem er mit seiner Frau mehrere Mißhandlungen ausgestanden, sie mit derselben drei Stunden hinter den Zäunen verbergen. Als er darauf in seine Wohnung zurückkehrte, fand er 10 Offiziere, welche sich daselbst mit ihren Bedienten einquartiert hatten, und nun, da die durchmarschierenden Soldaten alles, was eßbar gewesen, mit sich genommen hatten, zu essen verlangten. Da weiter nichts zu haben war, mußten sie sich mit abgepellten Kartoffeln begnügen. In der Scheune des adligen Gutes waren 630 Mann einquartiert.
Das ganze Bataillon marschierte am 30. nach Werben. Am 2. April rückten wieder 2 Kompanien Franzosen ein. Sämtliche 6 Offiziere blieben ohne Umstände in der Pfarrwohnung, eine Kompanie in der Pfarrscheune und die 2. in der Scheune des ehemaligen Schulzen Glade. Diese zwei Kompanien verursachten durch ihre Anforderungen der Gemeinde die größte Last und die Offiziere dem Prediger den meisten Verdruß von aller gehabten Einquartierung. Am 7. marschierten die beiden Kompanien, nachdem sie noch auf 3 Tage Lebensmittel requiriert hatten, nach Tangermünde ab.
Nun blieb die Gemeinde bis zum abgeschlossenen Waffenstillstande, nach welchem die Elbe als Demarkationslinie festgestellt war, von Einquartierung frei. Am 18. Juni kamen zuerst wieder Franzosen und so mehrere bis zum 17. Juli.
Am 2. August trafen 7 Sopeurs mit einem Offizier vom „Corps de genie“ an, welche sogleich ihr Werk, aus der hiesigen Kirche eine Festung zu machen, begannen. Am selbigen Tage kamen auf Mittags mehrere Arbeiter und Wagen an. Die Kirche ward nun mit zwei Reihen Pallisaden, welche aus den Tannen vor dem Dorfe genommen wurden, umgeben, inwendig alles, die Kanzel (welche zum Gefängnis gebraucht würde), und der Altar ausgenommen, ausgeräumt, die Türen ganz und die Fenster zur Hälfte zugemauert und mit Schießscharten versehen und der Kirchhof gänzlich planiert, auch ein Teil der Kirchhofszäune weggerissen und ein Magazin zur Verpflegung der Truppen angelegt. Die Truppen, welche zur Garnison der Festung dienen sollten, und die Sapeurs, die alle in der Kirche Quartier genommen hatten, führten darin ein schandbares Leben.
Am 13. war die Festung vollendet; die Sapeurs gingen ab. Am 15. war der Waffenstillstand zu Ende.
Christoph von Kannenberg(Vgl. Seite 253 ff.) (nach Phil. Polman)
Die Garnison verließ daher schon am 14. abends die Festung in aller Stille. Wozu nun die Verwüstung der sonst so schönen Kirche?
Seit dem 14. August hat man in hiesiger Gegend keine Franzosen wieder gesehen. Die Gemeinde hat nun seit dem 1. März, die Offiziere zu Gemeinen gerechnet, 5456 Mann in Quartier gehabt und verpflegt, 354 Mann nur verpflegt und 640 Mann nur Quartiere gegeben. Der Prediger hat davon in Quartier und Verpflegung gehabt, die Offiziere zu Gemeinen gerechnet, 958 Mann.