4. Kriegerisches.
Schon frühzeitig lernten Altenzauns Bewohner die Schrecken des Krieges kennen. Zwar bot in jener fernen Zeit des 10. Jahrhunderts die Elbe nach Osten hin gegen die Feinde einen ausgezeichneten natürlichen Schutz. Jedoch konnte der tüchtige tapfere König Heinrich I. nicht ganz hindern, daß die feindlichen Nachbarvölker in das sächsische Land einfielen. So erfolgte im Jahre 929 wiederum ein Einbruch, an dem die Heveller, die Wilzen und vielleicht die Redarier teilnahmen. Diese werden, so schreibt der Herausgeber des Altmärkischen Quellenbuches im 2. Band, S. 66, gewiß mit Recht, von Osten her zwischen Brandenburg und Rathenow herangezogen sein und zwischen Altenzaun und Arneburg die Elbe überschritten, den Vormarsch am Südrande der damals ganz unwegsamen Wische in Richtung Walsleben fortgesetzt und die Burg Walsleben erobert und zerstört haben. Wir können uns heute denken, wie schwer die Bewohner Altenzauns unter der damaligen schrecklichen, unbarmherzigen Kriegführung gelitten haben.
Siebenhundert und fünfzig Jahre etwa später bot wieder die Gegend von Altenzaun wie die Gegend bei anderen am linken Elbufer gelegenen Ortschaften ein kriegerisches Bild. Schon in der Käcklitzer Geschichte haben wir darüber berichtet. Nur fürs erste einiges hier wiederholt. Der Große Kurfürst stand mit seinen Truppen 1674 am Rhein im Kampf gegen die Franzosen. Letztere brachten die Schweden dahin, einen Einfall in die Marken zu machen. Die Schweden rückten im Anfang 1675 unter dem Marschall Wrangel in die Marken ein und erneuerten bald die Greuel des dreißigjährigen Krieges. Die große Sorge war, daß diese Feinde nun auch über die Elbe kommen, in die Altmark einfallen und Greuel in ihr verüben würden. Durch ein kurfürstliches Reskript vom 29. Januar 1675 an den Landeshauptmann der Altmark Achaz Freiherrn von der Schulenburg wurden für die Altmark besondere Verteidigungsmaßregeln angeordnet. Alle waffenfähige Mannschaft im Drömling sollte ungesäumt mit Waffen versehen und unter Befehl von Offizieren gestellt werden, um den Schweden mit bewaffneter Hand Widerstand zu leisten. Der Landeshauptmann dehnte die für den Drömling getroffene Anordnung auf die ganze Altmark aus; die gesamte Landbevölkerung mußte sich so gut wie möglich bewaffnen. Ein Patrouillengang längs der Elbe wurde eingestellt, für das Aufhauen des Eises gesorgt und der Befehl, alle Fahrzeuge auf das linke Elbufer zu bringen, schleunigst ausgeführt. „Alles zieht sich nach der Elbe“, heißt es in einem Flugblatt, „und wird daselbst ein Retrenchement (Verschanzung) gemacht.“ Und in der Tat hielt die altmärkische Landwehr die Schweden an der Elbe bei Werben auf. Die weitere Folge war die, daß jenseits der Elbe die Hauptschlacht bei Fehrbellin stattfand. Wir können uns denken, wie die Wogen dieser kriegerischen Erhebung auch die Bewohner des stillen kleinen Dorfes Altenzaun mit sich fortrissen.
Das niedrige Elbufer dieser Gegend war noch einmal der Schauplatz eines gewichtigen kriegerischen vaterländischen Ereignisses. Ganz in der Nähe der Stelle, wo der Weg von der Pfarrkirche her in die Heerstraße von Käcklitz und Altenzaun einmündet, erhebt sich ein schlichtes Denkmal, das an dieses Ereignis erinnert: Auf einem gewaltigen Stein sehen wir zwei gekreuzte Schwerter, darüber den Namen Yorck, daneben zu beiden Seiten „den 26. Oktober“, darunter die Jahreszahl 1806, hinter dem Stein erhebt sich ein Eichengebüsch. Dieser Gedenkstein erinnert uns an die schlimmste Zeit, die unser Vaterland am Anfang des 19. Jahrhunderts erlebt hat: Die unglücklichen Schlachten von Jena und Auerstedt waren am 14. Oktober 1806 geschlagen, die beiden geschlagenen, zersprengten Heeresteile auf der Flucht, die Verluste entsetzlich. Alles kam darauf an, das Korps, das noch nicht gelitten, nämlich das Korps des Herzogs von Weimar, zur Elbe zu retten. Ueber Dingelstedt eilte man dem Harze zu, überschritt denselben an verschiedenen Stellen, vereinigte sich mit Blüchers Truppen und beschloß, bei Sandau über die Elbe zu gehen. Am 26. Oktober 1806 erreichte die Hauptkolonne die Fährstelle. Die Deckung des Rückzuges war dem Oberst Yorck, dem Kommandeur der Mittenwalder Jäger, übertragen. Zwischen Altenzaun und Polkritz fließt der Geestgraben; an diesem, ungefähr ¾ Stunden oberhalb der Sandauer Fährstelle, nahm Yorck mit den ihm überwiesenen Truppen eine treffliche Aufstellung. Der Feind — Marschall Soult mit seinem Armeecorps — ließ lange auf sich warten. Erst gegen 4 Uhr nachmittags erschien französische Kavallerie, plänkelte mit den Jägern und Füsilieren, wich aber vor dem gut gezielten Feuer eiligst zurück. Eine Stunde später rückten Infanteriezüge vor; aber auch sie konnten nichts ausrichten. Die Franzosen, übermütig gemacht durch die unglaublichen Erfolge der letzten Tage, hatten vielleicht gemeint, daß es nur eines stürmischen Angriffs bedürfe, um auch hier die entmutigten Preußen über den Haufen zu rennen. Sie irrten sich. Die 400 gut gezielten Büchsen brachten dem ungestüm vordringenden Feinde empfindliche Verluste bei. Da ging Yorck seinerseits mit seinen Truppen zum Angriff vor. Ein abgesessenes Kavallerieregiment wurde überrascht und vollkommen in die Flucht geschlagen. Die feindliche Infanterie ging zurück. Einen weiteren Angriff wagte der Feind nicht mehr. Die preußischen Verluste beliefen sich auf nur 20 Tote und Verwundete. Aber noch hatte Yorck den zweiten und schwierigeren Teil seiner Aufgabe zu lösen. Die Hauptkolonne war über die Elbe glücklich hinüber; er sollte mit seinen Truppen nachfolgen. Schwierig genug war der Abzug in so großer Nähe des Feindes. Yorck nahm seine Zuflucht zu der alten List mit den Wachtfeuern und wandte sie mit soviel Umsicht an, daß sie vollkommen gelang. Das Gefecht hatte bis zum Dunkelwerden gedauert. Die Wachtfeuer wurden angezündet. Der Abmarsch der Truppen begann. Die Truppen wurden immer weniger, die Feuer immer mehr. Um Mitternacht zog die letzte Kompagnie der Jäger ab; auch sie erreichte glücklich die Fährstelle, stieg in die Boote ein und fuhr ab. Da ertönten bittende Rufe zur Umkehr, Zurückgebliebene noch mitzunehmen. Die Jäger kehrten um; sie hatten sich doch überlisten lassen. Dem Ufer schon nahe, wurden sie mit Gewehrschüssen empfangen. Sie hatten nicht gedacht, daß es im Heere der Franzosen auch Deutsche gab! Yorck aber hatte seine Aufgabe glänzend gelöst! Nach so viel Schande preußischer Waffen war es das erste glückliche Gefecht. Wahrlich, nur der rechten Leitung und Verwendung der Truppen bedurfte es, um mit ihnen alles zu leisten.
So viel Ruhm auch die späteren Jahre einem Yorck brachten, immer hat er mit besonderer Genugtuung dieses Gefechts bei Altenzaun gedacht, wo seine Jäger dem Feinde zeigten, was sie unter kundiger Hand in dem Gelände von Mittenwalde gelernt. Und wenn Scharnhorst das harte Urteil fällte, daß er nach der Unglücksschlacht am 14. Oktober nur verzagte Generäle und Stabsoffiziere gesehen habe, so nahm er neben Blücher den Oberst Yorck ausdrücklich aus. Und als am 26. Oktober 1906 an dem Yorckstein bei Altenzaun die erhebende Jahrhundertfeier stattfand, hob kein Geringerer als der Graf Häseler in Gegenwart vieler Vertreter des Heeres, unter ihnen auch des kommandierenden Generals des 4. Armeekorps von Hindenburg, sowie in Gegenwart der Spitzen der Behörden, der Kreiskriegervereine und zahlreicher Patrioten die große Bedeutung dieses Gefechtes mit beredten Worten hervor.
Die vorstehenden Ausführungen sind dem trefflichen 1. Heft der „Skizzen und Bilder für den Geschichtsunterricht der Volksschule“ von L. Naumann, Superintendent und Kreisschulinspektor, entnommen. Ueber die Aufstellung der Truppen Yorcks und des Feindes, also über die Gefechtslage, unterrichtet vorzüglich ein Vortrag des Landrats Dr. Keßler-Osterburg, den er an Ort und Stelle anläßlich der Bereisung des Kreises durch Oberpräsident von Ulrich im Mai 1936 gehalten und der im 2. Blatt der „Osterburger Zeitung“ vom 20. Mai in der Hauptsache gut wiedergegeben ist.