Das Lehnswesen.

Diesem Kapitel schicken wir einige Erklärungen voraus, die zum allgemeinen Verständnis notwendig sind. Wir haben es in diesen „Beiträgen“ immer wieder mit Ausdrücken Lehnsherr, Lehnsmann, Mannlehn, Weiberlehn, Lehnseid, Lehnsmutung, „gesamte Hand“ zu tun. Diese Ausdrücke müssen wir näher kennen lernen.

Das Lehnsverhältnis ruhte auf der Ansicht vom geteilten Grundeigentum. Man unterschied das Obereigentum des Lehnsherrn und das Unter- oder Nutzungseigentum des Vasallen. Der letztere erhielt das Gut nur geliehen und zwar ursprünglich nur auf Widerruf, später auf Lebenszeit, gegen die Verpflichtung zur besonderen Treue, die sich insbesondere in der Leistung der Ritterdienste im Kriege, der Hofdienste im Frieden ausprägte. Erworben wurde das Lehnseigentum nicht schon durch den Eintritt des Vererbungsfalles, sondern erst durch die feierliche Belehnung oder Investitur, bei welcher der Vasall den Lehnseid zu leisten hatte, den Eid der Treue. Nach erfolgter Belehnung wurde ihm der Lehnbrief erteilt, eine feierliche Urkunde, die den Beleihungsvertrag enthielt, und eine genaue Aufzeichnung aller mit dem Lehnsbesitz verbundenen Berechtigungen und Verpflichtungen. Der Lehnsbrief entschied an erster Stelle auch über die Lehnsfolge bei dem Tode des Vasallen. Zur Lehnsfolge waren ursprünglich nur die männlichen Abkömmlinge des Vasallen befähigt; es gab nur Mannlehnsgüter. Später wurden bei einzelnen Gütern zur Aushilfe auch Frauen zur Lehnsfolge zugelassen und diese Güter wurden Mann- und Weiberlehn genannt. An erster Stelle wurden zur Lehnsfolge berufen die männlichen Abkömmlinge des verstorbenen Vasallen. Ein einziger Sohn erhielt das Lehn allein. Mehrere Söhne folgten zu gleichen Teilen, nach Köpfen, Enkel nach Stämmen, indem sie an die Stelle des vor dem Großvater verstorbenen Vaters traten.

Hinterließ der Vater keine lehnsfähige Nachkommenschaft, so vererbte sich das Lehn nicht auf seine Seitenverwandten, sondern nur auf die Mitbelehnten; waren solche nicht vorhanden, so fiel das Lehn an den Lehnsherrn zurück (Heimfall).

Auch die Mitbelehnten galten als Vasallen und mußten daher für ihre Person lehnsfähig sein. Ihr Recht am Lehngute war aber durchaus kein Miteigentum oder Mitbesitzrecht, sondern nur ein nach Lehnrechtsgrundsätzen vererbliches Recht auf künftige Lehnsfolge. Das Recht, das sie durch die Mitbelehnung erlangten, nannte man die „Gesamte Hand“; sie selbst wurden dementsprechend auch „Gesamthänder“ genannt. Aber erst dadurch erhielt er das Recht der „Gesamten Hand“, daß der Lehnsherr ihn feierlich damit belehnte, ihm die gesamte Hand bekannte. Das aber war wiederum davon abhängig, daß er innerhalb einer Frist von 1 Jahr 6 Wochen 3 Tagen bei dem Lehnhofe um die Belehnung nachsuchte, die Mitbelehnschaft mutete; auch er mußte wie der Hauptvasall den Lehnseid leisten. Statt des Lehnbriefes erhielt er nur einen Kanzleischein oder Mutzettel. Die Belehnung sowohl als die Mitbelehnung mußte mit allen Feierlichkeiten wiederholt werden, nicht nur so oft ein neuer Vasall durch Lehnsfolge oder durch ein Veräußerungsgeschäft das Lehn erwarb, sondern stets auch dann, wenn in der Person des Lehnsherrn eine Veränderung eintrat. Der Hauptvasall erhielt bei jeder neuen Belehnung einen neuen Lehnbrief ausgefertigt.

Den Gegensatz zu den Lehngütern bildeten die Allodialgüter; sie begreifen in sich das gesamte Vermögen des Vasallen, so weit es nicht zum Lehngut gehört. Dem Lehnserben steht der Landerbe gegenüber, wenn auch natürlich eine und dieselbe Person beides gleichzeitig sein kann. Das Lehnsverhältnis erlosch, wenn die lehnsfähige Familie des Vasallen ausstarb, ohne daß Mitbelehnte vorhanden waren, und damit das Nutzungseigentum an den Lehnsherrn, den Obereigentümer, zurückfiel. Andererseits erlosch es durch Allodifikation oder Erbverwandlung, wenn der Vasall zu dem Nutzungseigentum auch das Obereigentum erwarb, was selbstverständlich nur durch Verzicht des Lehnsherrn und mit Zustimmung der Mitbelehnten erfolgen konnte. Wir erinnern uns an ähnliche Vorgänge in der Geschichte des Rittergutes Neukirchen.