Kirchliches.

Bei der 1. Auflage dieser Arbeit war ich hinsichtlich der Neukirchener Reformationsgeschichte noch auf eine Extract-Matricul vom Jahre 1600 angewiesen, wie sie im 31. Jahresbericht des Altmärkischen Geschichtsvereins veröffentlicht ist. In der Zwischenzeit sind nun auch die Abschiede der Kirchenvisitationen, die in der Reformationszeit, und zwar in den Jahren 1541, 1551, 1578/79 und 1600 in der Wische gehalten wurden, erschienen. Im 2. Bande, Heft 4, Seite 447 ff., finden wir das, was in Neukirchen von den Visitatoren an Gebrechen auf kirchlichem Gebiete vorgefunden und abgeändert wurde. Es ist nicht nötig, alles das zu wiederholen, was schon in der Chronik wiedergegeben ist; wenn ich es hier und da tue, so deshalb, um einige erläuternde Bemerkungen hinzuzufügen. Interessant ist der Anfang des Visitationsberichtes; daß diese Pfarre etwan von dem Kapitel zu Beuster verliehen sei, daß aber die Beuster Kapitelsherren solche ihre Gerechtigkeit um der schweren Deiche willen verlassen und die Neukirchener Bauern Herrn Johann Albrecht zu einem Pfarrer angenommen und die Deiche der Pfarre übernommen hätten. Wir haben oben berichtet, daß um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Kirche zu Neukirchen dem Salzwedeler Kloster zum „Heiligen Geist" geschenkt wurde. Von einer geistlichen Hand ging die Kirche in eine andere über, vom Salzwedeler Kloster an das Beuster Stiftskapitel, wahrscheinlich weil Neukirchens weitere Entfernung von Salzwedel dem Kloster unbequem war. Auffallend muß es aber sein, daß die Neukirchener Bauern die schwere Last der Deiche auf sich nahmen und allein den Herrn Albrecht zum Pfarrer annahmen, ohne den Patron der Kirche zu berücksichtigen. Ich vermute, daß es sich hier ebenso verhielt wie in Klein-Beuster. Die Bauern des letzteren Dorfes wollten einen Pfarrer, der ihnen das Evangelium nach der neuen Weise predigte und die Sakramente nach der neuen Weise ministrierte, darauf aber wollten die der alten Lehre treu gebliebenen Domherren von Groß-Beuster nicht eingehen, darum nahmen die von Klein-Beuster ohne weiteres einen eigenen Pfarrer, der ihren Wünschen entsprach, an. Ich habe darüber in den „Stendaler Beiträgen", Band VI, Heft 4, S. 276 ff. näher berichtet. So legt wahrscheinlich auch hier in Neukirchen die schnelle eigenmächtige Wahl des Herrn Albrecht Zeugnis von der Sehnsucht der Bauern nach der Lehre Luthers ab. Freilich sollte es noch nicht so glatt abgehen. 1551 hören wir: „Noch ehe die Visitatoren von Seehausen zogen, ist zu ihnen gekommen Werner von der Schulenburg, Achims Sohn, und hat sich beklagt, der Pfarrer hätte sich vernehmen lassen, er wäre von den Visitatoribus auf der Pfarre konfirmiert, welches ihm, weil die Präsentation sein und er unserm gn. H. davon nichts zuständig wäre, zur Beschwerung und Abbruch seiner Gerechtigkeit gereiche." So hätte also der Patron den neuen Pfarrer wählen und präsentieren müssen und nicht die Gemeinde. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die Bauern angenommen, daß der Patron von der Schulenburg ihnen nicht den Pfarrer, den sie wünschten, geben würde. Die Klage des von der Schulenburg wurde von den Visitatoren gar bald beigelegt; sie entschuldigten sich damit, daß der Pfarrer mit Unrecht den Kurfürsten als den Collator angegeben hätte, die Leute aber Joachim von der Schulenburg. Wir können weiter daraus ersehen, daß das Rittergut Neuenkirchen inzwischen von der Familie von Neukirchen an die von der Schulenburg übergegangen war, weil das Kirchenpatronat kein persönlicher, sondern ein dinglicher, hing nicht an der Person, sondern an dem Besitz, nicht an dem Ritter, sondern an dem Rittersitz. Aus den folgenden Abschieden erfahren wir, daß 1581 Joachim von der Schulenburg zu Löcknitz Collator ist und 1600 die von der Schulenburg, während der Pfarrer 1600 Casparus Meyerus aus Landsberg ist, der von M. Joachim Steinbrecher am 22. Oktober 1599 berufen war; dieser Joachim Steinbrecher hatte nämlich damals das Gut auf etliche Jahre pfandweise von Reichard von der Schulenburg inne. Nicht erwähnt wird der Pfarrer Heinrich Witte, der von 1584 an 6 Gulden Zins nach dem Tode des Wendemarker Pfarrers Gabriel Pforten von Werben bezog. In dem „Abschied“ von 1541 wird das Einkommen des Pfarrers genau angegeben. Mag es an sich genügend gewesen sein, so würde es doch durch einen Posten der Ausgabe sehr beschränkt; der Pfarrer mußte nämlich von seinem Einkommen 11 Deiche halten, die ihm jährlich fast bei 12 Gulden „gestellet“; 1581 ist dann auch dieser Ausgabenposten gestrichen, also wahrscheinlich auf die Pfarrkasse übertragen worden, waren doch auch die Deichlasten nicht persönliche, sondern dingliche. Der Pfarrer hatte außer Pfarrhof und Garten eine Hufe und ¼ Landes; während er sein Land 1541 um die Hälfte zur Bestellung ausgetan, beackerte er es 1551 selber. 1581 war es von dem Wasser „gar verwüstet und versandet“. M. Joachim Steinbrecher wurde durch Erwerb des Rittergutes Patron; er erwies sich als trefflicher Patron. Im Jahre 1619 fühlte er sich zur Aufbesserung des Pfarrergehaltes bewogen; er bestimmte 24 Tlr. jährlichen Zins von 400 Tlr. Hauptsumme zum Ankauf von Kornpachten, die dem Pfarrer statt des Zinses gegeben werden sollten. Der Pfarrer Miriccius war der erste, dem diese Gehaltsaufbesserung zugute kam. Aber er tat in demselben Jahre noch mehr durch die Stiftung eines Stipendiums: Die Zinsen von 300 Tlr. sollten solche armen Studierenden bekommen, welche ihre Tüchtigkeit vorher durch ein Examen vor den von ihm bestimmten gelehrten Leuten bewiesen hätten. Dieses Stipendium sollte nicht aus Gunst übergeben werden, oder gar an solche, welche mehr „des spatzirens und buhlens, denn des studirens gewarten“. Wenn sie nicht fleißig studieren oder zu Hause liegen und allda „gassentreter“ sein wollen, so soll das Stipendium ihnen wieder genommen werden. Infolge der weisen Fürsorge und der strengen Aufsicht dieses Patrons besserten sich die Einkünfte der Kirche derartig, daß das Kurfürstliche Konsistorium am 14. Januar 1620 ausnahmsweise gestattete, alle Kosten zum Neubau der Pfarre aus dem Gotteshause zu bestreiten, unter der Bedingung, daß, wenn künftig an dem Hauptgebäude etwas zu verfertigen wäre, die Gemeinde es inhalts der Visitationsordnung zu tun schuldig wäre. Noch eine andere Tatsache beweist den guten Stand des Kirchenvermögens: Am Palmsonntag 1621 bekennt Michael Hoppenhöft, Bürger der Stadt Seehausen, daß Brendal Meseken und Fabian Schmied, Vorsteher des Gotteshauses zu Neukirchen, ihm mit Zustimmung des Joachim Steinbrecher 100 Tlr. Hauptsumme aus dem Gotteshause vorgestreckt haben; er gelobt, diese Summe von Palmarum 1621 an jährlich mit 6 Tlr. zu verzinsen; zum Bürgen setzt er Hermann Bürden, seiner Frau Mutter Bruder in Salzwedel, ein.

Hinsichtlich des Küsterhauses, Gärtleins und Küstervermögens verweise ich auf die Neufirchener Chronik. Für die heutige Trennung des Kirchen- und Schulamtes und -vermögens ist diese Stelle der Visitationsabschiede auch für Neukirchen von großer Wichtigkeit. Der zunehmende Wohlstand zeigt sich auch in der Zahl der heiligen Geräte: Hatte die Kirche 1541 nur 1 Kelch und ein Pacem, so besaß sie 1600 zwei silberne Kelche, von beiden der eine vergoldet war, ferner 2 Patenen, 2 Röhrchen und 1 blau sammet Meßgewand. Unter dem Pacem ist ein Kußtäfelchen zu verstehen, das bei der Messe den Andächtigen zum Kusse dargereicht wurde. Auch „Röhrchen“ kennt man heutzutage nicht mehr. Um bei dem Trinken des geweihten Abendmahlsweines das Verschütten einiger Tropfen zu verhüten, bediente man sich in der katholischen Kirche der Kelchröhrchen, durch die der Wein gesaugt würde. Diese oft wundervollen kleinen Kunstwerke waren aus Gold, Silber, Elfenbein oder Glas gefertigt und nicht selten mit den kostbarsten Edelsteinen besetzt. Vielfach hatten sie Henkel, an denen der Priester, der ja allein den geweihten Wein trank, das Röhrchen ergriff. Bei feierlichen Messen bedient sich der Papst seiner noch gegenwärtig. In der evangelischen Kirche läßt sich ihr Gebrauch bis in das 16. Jahrhundert, im Brandenburgischen sogar bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, verfolgen. In seiner „Vermahnung zum heiligen Abendmahl“ tut auch Luther derselben Erwähnung mit den Worten: „Habt bedacht, daß man mit Röhrlein aus dem Kelch trinken solle, damit das Blut Christi nicht verheeret werde.“ — Mit Erstaunen wird mancher gelesen haben, daß noch im Jahre 1600, also hoch lange nach der Einführung der Reformation, noch ein sammetnes Meßgewand zum kirchlichen Inventar gehört hat. Dazu ist zweierlei zu bemerken: Damals sorgte die Kirche für das Amtsgewand ihrer Pfarrer; das war eine gute Sitte, deren Bestehen auch heute von manchem gewünscht wird. Aber wozu sollte der evangelische Pfarrer mit dem Meßgewand? War nicht die Messe längst auch in Neukirchen abgetan? Luther war in diesen äußeren Dingen sehr weitherzig. Bei der Abendmahlsfeier wurde die Verwendung des Meßgewandes in der evangelischen Kirche noch längere Zeit beibehalten. Erst nach Aufhebung des Interim um 1552 und dann 1555 nach dem Religionsfrieden, auf dem Lande, wie hier in Neukirchen, noch viel später, kamen die Meßgewänder in Fortfall. Sonst übernahm die Amtstracht der evangelischen Geistlichen der damaligen Zeit das Gewand der Gelehrten unter Verzicht auf jeden äußeren Schmuck; es ist das Doktorgewand jener Zeit, das Luther 1524 mit der Mönchskutte vertauschte. So köstlich ist Luthers Wort über die Freiheit eines Christenmenschen, das er von den Bischöfen erklärte, daß wir es an dieser Stelle den Lesern nicht vorenthalten möchten: „Wir wollten sie gern hören und alles tun, was sie nur wollten von uns haben, und sie auf den Händen tragen. Ja, ich könnte eine Kappe und härenes Hemd tragen, eine Platte lassen scheren, einen Strick um die Lenden binden, nicht Fleisch essen am Freitag und an Mittwochen usw. Aber das ist des Teufels Schwanz, daß man durch solche Werke selig werden solle."

Aus dem „Abschiede“ vom Jahre 1600 erfahren wir die Namen der Gotteshausleute, des Michel Ruwe, Michel Hollender, ferner den Namen des Schulzen, Michel Lamprecht, und die Namen der vier Aeltesten, Kersten Neylingk, Augustin Ruwe, Pasche Müller und Merten Hollender. Die Namen dieser Männer, Hollender, Ruwe, Müller weisen auf sehr alte und sehr verbreitete Wischer Familien hin, die noch heute in der Wische vorhanden sind.