2. Die älteste Geschichte Räbels.

Dr. Brückner, Slawische Ansiedelungen in der Altmark, läßt es zweifelhaft, ob der Dorfname wendischen Ursprungs sei, uns ist es nicht zweifelhaft, hat man doch auf höher gelegenen Stellen des Dorfes Urnen gefunden, die mit ihrer plumpen Form, mit ihren Wellen- oder Schlangenlinien auf wendischen Ursprung deuten. Nur kurz sei hier daran erinnert, daß nach einander Langobarden, Thüringer und Sachsen sich bis in diese Gegenden ausbreiteten, daß sie aber dem Vordringen der letzteren die slawischen Wenden entgegensetzten. Wann das begonnen hat, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Jedenfalls wird ihre Einwanderung nicht durch plötzlichen Einbruch, sondern durch allmähliches Vordringen erfolgt sein. Was sie in die Wische lockte und veranlaßte, von den Höhen in sie hinabzusteigen, war nicht der fruchtbare Boden, dessen Schwere sie mit ihrem hölzernen leichten Hakenpflug nicht beikommen konnten, sondern die Fülle des Wassers und Waldes, die ihnen ergiebigen Fischfang und ertragreiche Vieh- und Bienenzucht verhieß. Wenn aber im Winter oder Frühjahr die steigenden Fluten der Elbe und der anderen Gewässer ihre kleinen Siedelungen bedrohten, dann zogen sie sich wieder auf die rechts der Elbe gelegenen Höhen zurück, von denen sie gekommen waren.

Wann wird nun Räbel zum ersten Male mit geschichtlicher Sicherheit erwähnt? Um das Werk der Bekehrung der Wenden zum Christentum zu fördern, gründete Otto I. im Jahre 946 für die zur Mark des Markgrafen Gero gehörenden Slawen das Bistum Havelberg, dessen Sprengel er bis zur Ostsee ausdehnte. Bei der Gründung erhielt das Bistum Havelberg u. a. in der Provinz Mintgo 30 Hufen und in den Dörfern Minteshusini, Hagerstedt, Aerthuni, Ajästoum und in dem Dorfe Robeli 6 Hufen. So wird also schon 946 Räbel als Dorf genannt. Mit den anderen neben Räbel genannten Namen können wir nichts recht anfangen; wir wissen nicht, ob damit noch heute bestehende, mit deutschen Namen bezeichnete Dörfer oder Höfe in der Elbgegend gemeint, oder ob darunter wüst gewordene Ortschaften zu verstehen sind. Aber das können wir sagen, daß es Ortschaften mit leichterem Boden auf etwas höheren, vor dem Wasser des Stromes einigermaßen geschützten Stellen gewesen sein müssen. Und noch eine andere Behauptung können wir aufstellen: Die Zuweisung dieser Dörfer zum Bistum Havelberg hatte nur dann Sinn und Wert, wenn ihre Bewohner wenigstens etwas für den Christenglauben gewonnen waren; mußten sie doch für das Bistum den Zehnten ausbringen, und wenn sie gegen die Feindschaft ihrer heidnisch gebliebenen Stammesgenossen auch äußerlich geschützt waren. Diese letztere Aufgabe konnte keine andere Burg haben wie die Burg Werben. So ist die Erwähnung jener Dörfer im Jahre 946 ein Beweis dafür, daß schon damals die Burg Werben bestanden haben muß. Daß sie mit urkundlicher Gewißheit erst 1005 genannt wird, als König, später Kaiser Heinrich II. Reichstage wider die Wenden dort abhielt, ist bekannt. Jedenfalls ist die Burg unmittelbar nach dem Regierungsantritt Ottos I. gegründet bzw. aus einer wendischen Wasserburg in eine deutsche verwandelt worden. Wir wissen ja, daß ein Vordringen des germanischen Elements in verstärktem Maße einsetzte, als unter Heinrich I. und unter den Ottonen der politische Schwerpunkt des Reiches in das Sachsenland verlegt wurde. Nun begann auch in der Wische eine lebhaftere Kolonisationstätigkeit der Deutschen.

Wir wissen aber, daß diese Besiedelung der Deutschen und die Christianisierung der Wenden damals keinen langen Bestand hatten. Die Wenden benutzten die Abwesenheit Kaiser Ottos II. in Italien und empörten sich im Jahre 983, weil ihnen der Uebermut des Markgrafen Dietrich zu drückend erschien. Das Land östlich der Elbe ging verloren. Die Nordmark, die dem Namen nach weiter bestand, war zunächst auf das linke Elbufer beschränkt. Es folgte eine lange Zeit ununterbrochener Kämpfe zwischen den Deutschen und Wenden, unter denen Werben und seine nähere und weitere Umgebung unendlich schwer leiden mußten. Erst mit dem tapferen Albrecht dem Bären trat eine hochbedeutsame Wendung zum Besseren ein; ihm gelang es, in der Nordmark dauernden Frieden zu schaffen, das Land den verheerenden Fluten des Elbe-Hochwassers zu entreißen und es dem Christentum und der Kultur endgültig zu erschließen. Ueber diese Tätigkeit des wackeren Askaniers ist an anderen Stellen altmärkischer Geschichtsschreibung schon so viel veröffentlicht, daß wir hier nicht weiter auf dieselbe einzugehen brauchen; sie ist auch unseren Lesern bekannt.

Der kolonisatorischen Tätigkeit Albrechts des Bären und der von ihm herbeigerufenen Ansiedler aus Holland, Seeland, Flandern, Friesland und den Rheingegenden verdankt die Wische nicht nur ihren Namen, sondern auch ihre heutige Form und Gestalt. Nun konnte auch das Bistum Havelberg zu neuem Leben erstehen und Urkunden der Jahre 1150 und 1179 bestätigen den Landbesitz in unserer Gegend von neuem. Immer wieder taucht die Frage nach der Entstehungszeit der typischen kirchlichen Backsteinbauten in der Wische auf. Indem ich auf das verweise, was ich darüber ausführlicher in der Unterhaltungsbeilage der „Seehäuser Zeitung“ vom Jahre 1925, Nr. 54, geschrieben habe, bemerke ich hier nur, daß wir die 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts als Entstehungszeit annehmen können; zwei Gründe sprechen für diese Annahme, nämlich erstens die Tatsache, daß der Backstein an den wichtigsten Kirchenbauten unserer Gegend in Havelberg und Jerichow erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts verwandt wurde, und zweitens die Tatsache, daß die fremden Ansiedler erst die unendlich schwierigen und langwierigen Kolonisationsaufgaben wenigstens in der Hauptsache beendigt haben mußten, ehe sie an die Errichtung ihrer prächtigen Kirchenbauten herangehen konnten. Sie werden sich bis dahin mit schlichten, gottesdienstlichen Räumen beholfen haben. Von prächtigen Dorfkirchen in der Wische können wir mit vollem Recht reden; wir denken dabei besonders an die Kirchen in Lichterfelde, Uchtenhagen, Giesenslage u. a.

Dem neu erstandenen Bistum Havelberg werden in König Konrads Bestätigungsurkunde vom Jahre 1150 auch wieder 6 Hufen in dem Dorfe Robeli bestätigt; sie werden als in dem Gau Mintga und in der Grafschaft Werenzonis gelegen bezeichnet. Mit diesem Namen ist jedenfalls der Graf der Nordmark Werner gemeint: der Name ist aus einer verloren gegangenen Bestätigungsurkunde Heinrichs II. in die Urkunden von 1150 und 1179 aufgenommen worden.

Räbel besteht aus einer am Deich gelegenen geschlossenen und einer zerstreut liegenden Dorfanlage. Uebrigens besitzen wir das erste sichere Zeichen der niederländischen Einwanderung und Ansiedlung in einer Urkunde vom Jahre 1160, in welcher Albrecht der Bär die erste Niederlassung der Johanniter in der ganzen „Mark, Sachsen, Pommern und Wendland“, wie es früher hieß, in Werben/Elbe gründete und ihr die Kirche in Werben mit allem Zubehör, mit allen Nutzungen, außer dem Zehnten „und 6 holländische“ Hufen schenkte. Ohne die Anwesenheit holländischer Kolonisten wären die Hufen sicherlich nicht nach holländischem Maß gemessen und geschenkt worden. Nur auf zweierlei, was gerade auch für das hart an der Elbe gelegene Räbel von ungeheurer Wichtigkeit gewesen ist, sei hier hingewiesen, nämlich auf den Deichbau und auf die Entwässerung des wasserreichen Bodens. Auch vor der holländischen Kolonisation hat es schon in unserer Elbgegend Deiche gegeben, aber sie waren nicht hoch und nicht stark genug; sie waren vor allem nicht planmäßig angelegt; jede Siedlung legte den Deich nur im Gedanken an den eigenen Schutz an. Die Kolonisten aber kannten aus ihrer Heimat die Kunst des Deichbaues; sie schauten auf das ganze durch Hochwasser gefährdete Land von Altenzaun bis nach Schnackenburg und legten mit dem Blick auf diese ganze weite Strecke ihre hohen, starken Deiche ganz planvoll an, nicht ohne sie von Jahr zu Jahr immer mehr zu erhöhen und zu verstärken. Bei der Entwässerung richteten sie ihr Hauptaugenmerk sehr vorsichtig und klug darauf, jeden Siedler in der Entwässerung seines Ackers selbständig zu machen. Darum zogen sie die Wasserfurchen in der Richtung der Beete, so daß keiner mitleidet, wenn der müßige Nachbar seine Beete verfallen läßt. Die Hofanteile liegen als lange Rechtecke nebeneinander; die Wasserfurchen münden in Querabzüge.