Allerlei Nöte vor und in dem 30jährigen Kriege.

Aus den Jahren 1433 und 1496 werden Deichbrüche gemeldet, in jenem Jahre unterhalb Hämerten an mehreren Stellen, in diesem Jahre bei Käcklitz, ferner zwischen Werben und Seehausen. Wenn wir auch über die Nöte, die diese Deichbrüche den Neukirchenern verursacht, keine besondere Kunde haben, so können wir uns doch denken, wie große Not gerade der letztere Deichbruch ihnen gebracht hat. In den Jahren 1524, 1566, 1569 brach wiederum der Deich an verschiedenen Stellen nicht weit von Neukirchen; das Wasser richtete namentlich auf den Feldern großen Schaden an. 1570 brach der Deich bei Neukirchen selbst. Sch. Chron. schreibt darüber: „Die Bruchstelle ist in der Nähe des Deichwachhauses zu suchen. Wir können es aus den „Abschieden“ ersehen: „Das vordem gute Pfarrland ist versandet“. Ebenso ergeht es Asmus Krüger, welcher sein Land daneben hat. Der Schaden muß sehr beträchtlich gewesen sein, wie wir aus folgender Kostenrechnung ersehen: „Das Rathaus in Seehausen im Jahre 1570 der Neukirchische Deiche vorgeschossen und zu fordern 1397 Tlr. 3 gr. 6 “. — Anfangs Frühjahr 1595 brachen die Deiche bei Werben. Die Wische erlitt ungeheure Verluste. 73 Stück Deich bei Werben wurden fortgerissen. 1613 brach der Deich bei Wendemark, also in unmittelbarer Nähe unseres Dorfes. — Wenn aber schon in Friedenszeiten, in denen die Deiche besichtigt und in Ordnung gehalten werden konnten, die Wassernöte groß waren, — wie viel größer müssen diese Nöte erst in der Zeit des 30jährigen Krieges gewesen sein, weil es da an Arbeitskräften zur Erhaltung des Deiches völlig fehlte! Sicherlich konnten auch in dieser Zeit die schon bestehenden Deichordnungen nicht innegehalten und erfüllt werden. Und der Neukirchener Deichhauptmann wird sich oft genug von seinem offen und ungeschützt daliegenden Gute nach dem sicheren Berlin, der Heimat seiner Familie, haben in Sicherheit bringen müssen. Und wovon sollte er auch in Neukirchen leben? Die Ackerleute konnten ihre Abgaben nicht mehr leisten, die Aecker unbestellt keine Erträge mehr zeitigen.

Entsetzlich wurden die Nöte in der Zeit des Krieges durch die beständigen Durchzüge der Truppen, durch die Einquartierungen, durch die Auferlegung gewaltiger Kriegskontributionen. Viel Unglück kam über unser Dorf durch die Nähe Werbens mit seinem schwedischen Lager, in dem Gustav Adolf mit seinem Heer von Mitte Juli bis Mitte August 1631 kampierte, und mit seiner starken Schanze an der Mündung der Havel in die Elbe, um die sich die Kriegsparteien zehn Jahre lang stritten. Wohl kam der Schwedenkönig als Freund und Retter auch nach der Altmark, aber die Not des Krieges zwang ihn zu harten Maßregeln. Als er erfuhr, daß sein mächtiger und grimmer Gegner Tilly von Süden her gegen das Werbener Lager heranrückte, ließ er alle irgendwie erreichbaren Lebens- und Futtermittel in der ganzen Umgegend von Werben auftreiben und ins Lager bringen, um dadurch den Gegner auszuhungern, was ihm dann auch tatsächlich gelang. Wie schwer aber haben die benachbarten Dörfer und Städte unter den schwedischen Fouragieren gelitten! Da hören wir von Falkenberg: „Der Rheingraf Karl Ludwig zu Lautereck lag in Falkenberg, welches so furchtbar geplündert wurde, daß auf dem einen Rittergut, wo der Rheingraf selbst lag, das gesamte zinnerne, messingene, kupferne und eiserne Küchen- und Ackergerät, selbst eiserne Eggen, Sicheln, Aexte, Pflugscharen usw. geraubt wurden, und zwar geschah dies unter Genehmigung und Beteiligung des Rheingrafen, welcher für sich den Hofhund samt der Kette und die sechs feinen Betten, welche noch vorhanden waren, wegnehmen und fortführen ließ“ (cf. Dr. Götze, Urkundliche Geschichte der Stadt Stendal, S. 470, gleichzeitige Akten des Rittergutes Falkenberg 1). Wenn es aber in Falkenberg so schlimm herging, wird es in dem benachbarten Neukirchen nicht minder schlimm gewesen sein.

Das Land geriet in den folgenden Jahren bei den beständigen Hin- und Herzügen der Truppen beider Parteien in die furchtbarste Not; ein Zeitgenosse schildert dieselbe folgendermaßen: „Ich kann nicht sattsam beschreiben die große Trübsal, die den armen Landmann betroffen hat; denn ob zwar die Städte mit Einquartierung, zum Teil auch Plünderungen und Beängstigungen, dadurch ein Teil gar öde dahin gestanden, seind beschweret worden, so hat doch der arme Landmann weder in den Städten, viel weniger in den Dörfern bleiben können; er hat kaum sein Leben erhalten mögen. Was er in den Wässern, Morästen oder auf dem Felde in die Erde tief versenket gehabt, ist durch Teufels Künste öfters herfür gesuchet. Hat er in die Stadt etwas mitgenommen, ist ihm solches vor dem Maul geraubt; ja, er ist als Bote zu laufen gezwungen worden, darüber mancher arme Mann Todes verblichen. Hat er sich in einem dicken Busch oder Gehölz verkrochen, ist er wohl durch Hunde herausgehetzet, nachmals ganz erbärmlich nach allem Mutwillen tractieret worden. Ja, ihrer viel haben Haus und Hof in Feuer und Dampf sehen aufgehen, und kann die große Trübsal nicht alle erzählet werden.“ Zu allen diesen Nöthen kam im Jahre 1636 die Pest. Unter den Landleuten hauste die Pest so entsetzlich, daß an vielen Orten, wo man die Felder noch bebaut hatte, das Getreide auf dem Felde ungemäht stehen blieb und die Aecker, ohne gepflügt zu sein, sich selbst wieder besamten, woraus doch gutes Getreide erwachsen sein soll. Aber es wurde größtenteils von Feldmäusen vernichtet. Auch Wölfe streiften in großer Zahl im Lande umher; häufig wurden Haustiere selbst von den Höfen und aus den Ställen von Wölfen geraubt.

Die Geistlichen auf den Dörfern waren bis zu 9 und 10 Meilen Entfernung geflohen, so daß gottesdienstliche Handlungen gar nicht mehr stattfanden. So wohnten 1636 in Seehausen auch die Pfarrer von Neukirchen und Wendemark, ferner von Dobbrun, Krüden und Wahrenberg, von Gr.-Breese und Dallmin in der Prignitz, auch der Pastor und Bürgermeister von Wittenberge, „weil ihr Städtlein niedergebrannt“. Genug dieser Schilderung. Jedem, der sie fortsetzen wollte, würde es doch so ergehen, wie dem obigen Zeitgenossen; er würde vermerken: „Und kann die große Trübsal nicht alle erzählet werden.“