3. Die von Kröcher in Räbel.
Die Familie von Kröcher, deren Stammsitz Kröchern bei Wolmirstedt ist, hat sich in früher Zeit allerlei Besitz in Räbel erworben. Den Genealogen und Heraldikern unter den Lesern sei ihr Wappen mitgeteilt: Im blauen Felde des Schildes ein weißes Kamel, auf dem Helm ein wachsendes Kamel. In älterer Zeit befanden sich als Hauptgüter Calbe, Beetzendorf und Tylsen in ihrem Besitz. Zeitweilig waren sie auch in Schwarzholz, Räbel und Natewisch ansässig. Den Räbeler Besitz lernen wir genauer aus zwei Lehnbriefen der Jahre 1472 und 1499 kennen; er bestand in dem höchsten und niedersten Gericht, in dem Kirchlehn, in Wasser und Weide und aller anderen Gerechtigkeit, ferner in 40 Kossaten-Erben (jedes gibt 13 Pfg. Pacht), dann in bestimmten Geldhebungen, in der Bede und dem Bedekorn auf einer Hufe, in dem Hofe, der liegt „thu dyke und damme“ dort bei der Elbe, endlich in der Fähre mit aller Gerechtigkeit. Die genannten Geldhebungen ruhten auf den Höfen von Belitz (Kunow), von Henning Plätz (Steffen Krüger), von Matthäus Obe (Jasper Amelung), von dem Havelberger Domherrn Tyde Rotydeke, von Drewes Klinte (Bolzke Belitz) und von Kone von dem Berge (S. Nicolaus-Viertel). Auch auf dem Kruge und dem Hofe derer von Rintorff ruhten Hebungen. Die eingeklammerten Namen geben die Abgabepflichtigen des Jahres 1499 an. Die von Kröcher waren danach Dorphere des Dorfes Robel, d. h. Gerichtsherren, wie auch schon 1432 Hans und 1458 Stillentin von Kr. als solche genannt werden. Die Namen der Besitzer weisen auf Familien hin, die damals in dem benachbarten Werben lebten. Wie sich aus späteren Verhandlungen ergibt, liegt der Hof „Zum Deich und Damm“ im Felde Niendorf bei Seehausen; er wird schon in der Urkunde von 1499 als wüster Hof derer von Woldeke bezeichnet. Sollte nicht mit dem S. Nicolaus-Viertel ein der Räbeler Kirche gehöriges Land gemeint sein? Wäre diese Frage zu bejahen, so hätten wir dadurch den Namen des Räbeler Kirchenheiligen erfahren. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, war doch Nicolaus der Heilige der Schiffer und der Fischer, deren es von Alters her hier an der Elbe viele gab.
Im Jahre 1322 hatten die von Kröcher eine Pacht, nämlich 10 Stück hartes Korn, von dem Zehnt in Räbel und Wolfswinkel; diese Pacht hatte Johann von Kr. am 15. Juni des genannten Jahres zu einer Stiftung dem Salzwedeler Kloster „Zum Heiligen Geist“ überlassen, wofür in der ganzen Altmark Oblaten zu Gottes Tisch gekauft werden sollten. Diese Meßstiftung war zur Sühne für seine, aller seiner Vorfahren und seiner Brüder Sünden bestimmt. 1 Stück (Wispel) hartes Korn (Roggen) hatte in Geld den Wert von 1 Pfund (talentum) oder ½ Mark. Ueber diese Stiftung kam es, wie wir der „Geschichte des Geschlechts von Kröcher“, Band I, 249, entnehmen, später zu langwierigen Verhandlungen: Es findet sich aus der Regierungszeit des Kurfürsten Joachim II. eine Petition aller zu Dreetz und Lohm (Prignitz) erbgesessenen von Kr., worin sie vortrugen, dieser Zehnt, der von ihrem eigenen und ihrer Untertanen Höfen zu Räbel entrichtet werde, sei in eine jährliche Geldabgabe von 18 Gulden verwandelt, welche das Kloster an Claus Goldbeck zu Werben abgetreten habe. Nun falle es ihnen, als den Stiftern solches Vermächtnisses, sehr beschwerlich, daß der Zehnt der Kirche entwandt und dem Claus Goldbeck von ihrem eigenen Wohnhof in Röbel gezahlt werden müsse, besonders da sie sehr schwere und gefährliche Deiche zu unterhalten hätten. Daher wäre von ihnen auf dem zuletzt gehaltenen Landtage gebeten, gegen ihren gnädigen Herrn, den Kurfürsten, für sie Vorbitte einzulegen, dessen sie sich hiermit zum höchsten und freundlichsten bedankten. Darauf sei an den Goldbeck der Befehl ergangen, daß er ihnen den Zehnt gegen Erlegung eines billigen Wertes abtreten möchte. Obwohl aber die Sache von Levin von der Schulenburg, Hauptmann der Altmark, am verschienen Montag nach Andreae verhört sei, so habe Goldbeck in Güte nicht abtreten wollen, sondern sich zu Rechte erboten. Derhalben gelange an die Landschaft nochmals der Antrag, sie gegen den Kurfürsten wegen Abtretung des Zehnts zu vorbitten. — Aus dem Jahre 1572 findet sich eine weitere Vorstellung derer von Kr. in derselben Angelegenheit. Die von Kr. führen darin u. a. an: Ihre Vorfahren hätten den Kornzehnt von Röbel eines Teils von den Hufen, die sie selbst beackern ließen, zudem auch von anderen Hufen vor Werben und zu Wolfswinkel belegen, daneben viele andere stattliche Güter, als zwei Dörfer Butterstedt und Warnstedt, dem „Heiligen Geist“ im Kloster vor Salzwedel zum Gottesdienst und Unterhalt der armen Leute daselbst gegeben. Wegen Rückerstattung des Zehnts hätten sie zum öftern bei dem Kurfürsten hochlöblichen Gedächtnis gebeten, doch weniger denn nichts erhalten mögen, sondern seien auf Claus Goldbecks parteilichen Bericht von einem Jahr zum andern davon abgehalten. Ihr Ansuchen gehe dahin, daß ihnen der Zehnt von Röbel restituiert und zu einem andern frommen Zweck verwandt werde, etwa für ihre arme Pfarre zu Lohm oder als Stipendium zum Studieren für einen aus ihrem Geschlecht oder Freundschaft. Sie bäten dieserhalb um Fürsprache bei dem Kurfürsten. — Der weitere Verlauf der Sache ergibt sich leider nicht.
Um das Jahr 1500 standen die von Kr. auf der Höhe ihres Besitzes und ihrer Stellung in Räbel. Die Urkunden des 16. Jahrhunderts handeln schon von Verkäufen und Verpachtungen, bis denn im 17. Jahrh. fast aller Besitz in Räbel an den von Kannenberg überging. Im Jahre 1518 verkauften die Gebrüder und Vettern von Kr. eine Hofstätte mit sieben Vierteln Landes im Dorfe und Gerichte zu Räbel an Gereke Schulze für 40 rhein. Gulden, wobei festgesetzt wird, daß der Käufer die Hofstätte bebauen und jährlich 11½ Mark weniger 2 Schilling stend. Pacht geben, sowie, daß der Hof gleich den anderen zu Räbel, zehnt-, deich- und dammfrei sein und nicht mehr als die andern mit Diensten belastet werden soll. Die Verkaufsurkunde ist von Joachim und Lütke von Kr. namens ihrer Brüder und Vettern besiegelt.
Ein unter den gutsherrlichen Rechten derer von Kr. stehender Hof in Räbel war 1586 an Achim Gyse gekommen. Der Hof geriet dermaßen in Schulden, daß weder die Gutsherren noch die Gläubiger befriedigt werden konnten und erstere nach einer ums Jahr 1603 aufgestellten Berechnung an rückständigen Pächten, Bede und Diensten allein 3025 Gulden 20 Schilling zu fordern hatten. Deshalb kauften Jürgen und Asmus von Kr. den wüst gewordenen Hof, der auf 850 Gulden taxiert war, für 1000 Gulden von den Gysenschen Erben und überließen denselben zunächst an Jakob Kratz, dann 1603 gegen eine jährliche Pacht von 1½ Wispel Weizen, 2 Wispel Hafer und ½ Wispel Gerste u. a. auf 6 Jahre an Carl Schartow, Bauer in Räbel, demnächst für eine gleiche Pacht an Michel Schultze und Brandt Rehfeld, endlich 1613 auf 12 Jahre an Jakob Kratz.
Inzwischen hatte Jürgen von Kr. die ihm zustehende Hälfte des Hofes sowie seinen Anteil am Straßengericht, Kirchlehn, Jagd auf der Räbeler Feldmark und alles, was ihm in der Altmark an liegenden Gründen, Diensten, Gerichten, Pächten und Zehnten zukam, im Jahre 1607 wiederkäuflich auf 9 Jahre an Dr. Friedrich Corfinius veräußert. Dieser Vertrag war aber wohl 1613 bereits rückgängig geworden. Dr. Corfinius wird in der Werbener Chronik S. 246 als der ehemalige Lehrer des Eberhard von Holla erwähnt. Als letzterer auf der Rückkehr von Braunschweig nach Pommern in Gardelegen an einem hitzigen Fieber erkrankte, wurde er von seinem Arzt nach Werben zu seinem ehemaligen Lehrer Dr. Corfinius gebracht, aber am 21. Mai 1611 von dem Tode ereilt und in der Werbener Kirche beigesetzt.
Der 30jährige Krieg, der ja in der Werbener Gegend besonders schlimm wütete, ruinierte auch den Räbeler Besitz derer von Kr. in Grund und Boden; es blieb ihnen nichts anderes übrig, wie einen Besitz nach dem andern zu verkaufen. In dem General von Kannenberg, der mit reichem Vermögen aus dem 30jährigen Kriege in seine altmärkische Heimat zurückgekehrt war, fanden sie einen willkommenen zahlungsfähigen Käufer. 1653 veräußerte Christoph von Kr. seinen Anteil an Räbel an Dorothea Elisabeth von Barsewisch, Hans Erdmanns von Rengerslagen Hausfrau, wiederkäuflich. In dem Vertrage vom 10. März 1653 heißt es: Sowohl der Rittersitz als die zugehörigen Kossaten-Erben seien wegen Brandschadens und Kriegsverderbnis funditus und in totum demoliert und verwüstet, daß davon an Gebäuden nicht das geringste mehr vorhanden. Der Käuferin sollten die Meliorationen erstattet werden: Zu dem Gute gehörte Folgendes: Ober- und Untergerichte, Kirchlehn und Jagden, etwa 2 Hufen Land, ein Ackermann, der jährlich 14 Scheffel Korn, von 5 Stücken Landes den Zehnt, auch den Fleischzehnt, gab und mit dem Spann diente, so oft es ihm angesagt würde, der Krüger, der 1 Huhn gab, eine Strehne Garn spann und 1½ Pfd. Pfeffer und 17 Schilling Krugzins gab, ein Kossat, der 2 Hühner gab und 2 Strehnen Garn spann, ein Kossat zu Berge, 6 Kossaten, alle wüst, welche sonst dienten, so oft es ihnen angesagt wurde, und 13 Pfennig, 1 Huhn und den Zehnt gaben, laut brüderlicher Teilung von Michaelis 1556, in welcher das Gut Räbel des Hieronymus von Kröcher Anteil geworden, freie Fähre über die Elbe und jährlich 4 Gulden 8 Schilling Geld und 1 Schock Neunaugen, 3 Ruthen Werder, die Bauerwiese bei Rodan usw. Frau von Rengerslage trat ihre Rechte auf das Gut an den General von Kannenberg ab, und Christophs von Kr. Söhne, Joachim Friedrich und Hermann Gabriel überließen es dessen Erben laut Urkunde vom 4. 1. 1673. Diese letztere Urkunde ist in mehrfacher Hinsicht interessant; sie gibt uns ausführlich alle Einkünfte, Dienste, Rechte derer von Kr. an; sie weist uns zwiefach auf die Verwüstungen in dem 30jährigen Kriege hin, denn sie besagt, daß nicht nur der Rittersitz, sondern auch die Kossaten-Erben durch Brandschaden und Kriegsverderbnis von Grund auf und völlig zerstört und verwüstet seien; sie erklärt uns den Begriff „Kossaten-Erbe", dem wir schon öfter begegnet sind und noch begegnen werden; sie erinnert uns an die erste Gemahlin des Hans Erdmann von Rengerslage, die fromme Stifterin eines Legates, das jährlich zur einen Hälfte der Kirche zu Rengerslage, zur anderen Hälfte dem derzeitigen Prediger zugute kommen sollte. 1659 erwarb dieser General Christoph von Kannenberg Hufen und Pächte zu Räbel von Christoph von Kröcher auf Lohme, sodann einen Anteil ebendaselbst von den Brüdern Joachim und Hans Georg von Kr. 1660 gelangten in den Besitz des Generals diejenigen 4 bewohnten und 3 wüsten Kossaten-Erben in Räbel, welche Christoph von Kr. 1650 dem Werbener Bürgermeister Joachim Fritze wiederkäuflich verkauft hatte. Das Jahr 1663 brachte dem General einen neuen Zuwachs, als ihm der Vormund des Asmus Ludwig von Kr. dessen „Gerechtigkeiten“ in Räbel erblich überließ. 1667 kaufte der General verschiedene Geld- und Naturalhebungen aus Räbel, welche zuerst Christoph von Kr., dann (1645) seine Hausfrau Margarethe von Wuthenau, dann Christoph Ludwig von Winterfeld, ihr Oheim, Domherr zu Brandenburg, dann (1655) seine Tochter Katharina, Lorenz Gleims, Pfarrers in Ost- und Westheeren, Ehefrau, und endlich (1660) dessen Vater Johann Gleim-Werben besessen hatten. Der letzte Besitzerwerb des Generals erfolgte wenige Wochen vor seinem Tode, als ihm Friedrich und Erasmus von Kr. ihren Anteil an Räbel mittelst Kontraktes vom 4. 1. 1673 erblich verkauften. Aber noch 1695 läßt die Deichordnung die von Kr. im Besitze von ¾ Land und von einem Hof zu Räbel erscheinen. Dieser Hof aber war der sogenannte Hof „Wolfswinkel".