1. Das Wöllmerstift.

An der Stelle des heutigen Wöllmerstiftes lag ein Dorf Kamerik. Wir schließen aus verschiedenen Urkunden. Am 12. November 1208 bestätigt Markgraf Albrecht dem Kloster Arendsee seine Besitzungen, darunter eine Hufe von Frau Ode, der Gemahlin eines Grafen von Osterburg, in dem Dorfe Kamerik, und 2 Hufe am Bache Aland. Und als 1329 Otto von Velbe mit Genehmigung des Markgrafen Ludwig den Verkauf von Höfen bei Werben an das Kloster Arendsee beurkundet, nennt er auch den Hof Kamerik, gelegen zwischen dem unmittelbar bei Werben gelegenen Ziegelhof und dem Dorfe Wendemark. Nach dem Orte nannte sich auch eine ritterliche Familie, die von 1225 bis 1391 in Urkunden vorkommt. In einem Auszuge aus dem Landbuche des Jahres 1427 heißt der aus 3 Hufen bestehende Wendemarker Hof „Kamerik“; er hat nicht geringe Abgaben an das Kloster Arendsee, an das Kloster Heiligengrabe und an das Schloß Arneburg zu leisten. Schon früh muß die Familie von Kamerik ihren Wendemarker Besitz an das Kloster Arendsee abgetreten haben, denn in den folgenden Urkunden ist immer von den beiden Arendseer Meierhöfen die Rede. In einer Urkunde des Jahres 1457 fand ich zum letzten Male für diese beiden Höfe den Namen „die kemericke, belegen vor Werben“. Der Name der Höfe weist auf niederländischen Ursprung; es ist derselbe Name wie der der nordfranzösischen Stadt Cambray. Noch heute gibt es ein Kameryk bei Utrecht in Holland. Niederländische Kolonisten werden unser altmärkisches Kame-

Wöllmerstift mit Königseiche.

(Berg. S. 56 ff.)(Aufn.. A. Regeberg)

rik gegründet und nach ihrem heimatlichen Orte genannt haben, ebenso wie sie es gewiß mit der bei Wittenberg gelegenen Stadt Kemberg, früher Kemerick, mit Flemmingen bei Naumburg, früher Kemerich, getan haben.

Es gibt auch eine wohl noch jetzt blühende bürgerliche Familie dieses Namens; zu ihr gehörten Christian Kämerich, Bürgermeister in Werben 1659 bis 1673, Joachim K., Sekretär, dann Bürgermeister ebendaselbst 1669 bis 1681, Christian, um 1658 Pfarrer in Legde, Franz, 1650 Rektor in Havelberg, 1652 Pfarrer in Jerichow, dann Pfarrer und geistlicher Inspektor in Osterburg, zuletzt in Havelberg, ferner sein Sohn Dietrich Heinrich, Professor in Jena. Ueber den Pfarrer M. Kämrich in Schönhagen bei Pritzwalk wird in der Zeitschrift für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen 1916, S. 57 ff., näheres mitgeteilt.

Die Geschichte dieser beiden Wendemarker Meierhöfe tritt nun in ein neues Stadium: Johann Georg, Kurfürst von Brandenburg, willigt 1590 darin, daß der Arendseer Bürger Hans Schorstedt, welcher die Witwe des ehemaligen Arendseer Amtsschreibers Lorenz Breder geehelicht hat, die beiden unter der Lehnshoheit des Arendseer Jungfrauenklosters stehenden Meierhöfe zu seinem und jener Witwe Nutz und Frommen verkaufen möge, doch daß von den Käufern und Besitzern der beiden Höfe der Herrschaft und den Kapitelspersonen dasjenige jederzeit geleistet werde, was von alters her geleistet ist, und daß sie auch ihren Anteil an den Elbdeichen in Würde erhalten und machen sollen. Der Käufer ist, wie schon oben bemerkt ist, Joachim von Rintorff, Jakobs sel. Sohn, Erbsessen zu Wendemark und Gethlingen. Von dem Kaufgeld bleibt er der Domina Adelheid von Eichstedt und dem ganzen Konvent des Jungfrauenklosters Arendsee 600 Reichstaler schuldig. Wie er sich für pünktliche Zahlung der Zinsen verbürgt, das ist oben näher geschildert.

Wie war das Kloster überhaupt dazu gekommen, diese beiden Höfe zu verkaufen? Die auf ihnen ruhende schwere Deichlast hatte es dazu genötigt. Zuerst hatte das Kloster die beiden Höfe dem Kampiel und Baumgart und ihren Ehefrauen Zeit ihres Lebens verschrieben, dann dem Amtsschreiber Lorenz Breder wegen seiner langjährigen dem Kloster treu geleisteten Dienste und zwar letzterem laut Verschreibung vom 18. Mai 1562 unter der Bedingung, daß er der Pröpstin jährlich auf Martini oder Weihnacht eine bestimmte Getreide- und Geldpacht, der Domina ebenfalls eine bestimmte Summe Geld gäbe und die dazu gehörigen Elbdeiche erhalten und machen sollte. Unter dem 20. Juni 1589 willigte die Kurfürstin Elisabeth, der das Kloster mit allem Zubehör zum besseren Unterhalt übergeben war, darin, daß die Witwe des Lorenz Breder und deren Erben die beiden Meierhöfe verkaufen könnten. Dieselbe Erlaubnis erteilte dann, wie wir oben berichtet haben, der Kurfürst im Jahre 1590 dem Hans Schorstedt, der die Witwe des Lorenz Breder geheiratet hatte.

Die von Rintorff konnten, wie oben ausgeführt, ihren Wendemarker Besitz in der furchtbaren Zeit des 30jährigen Krieges nicht behaupten. Der Parishof ging 1650 in den Besitz des Johann Roloff über, die beiden Meierhöfe aber kamen in den Besitz seines Schwiegersohnes Peter Barfels. Von nun an ist nur von einem Meierhof die Rede. Jedenfalls sind die beiden Höfe in der Zeit des Krieges völlig zerstört, und dann von Peter Barfels als ein Hof wieder aufgebaut. 1651 und 1660 tritt Peter Barfels als Taufzeuge im Werbener Kirchenbuch auf. Er muß Ende 1660 oder Anfang 1661 gestorben sein, denn am 11. März 1661 wird seine Frau Adelheid als Witwe genannt. Bis zu ihrem Tode 1679 bewirtschaftete sie zugunsten ihrer noch unmündigen Kinder den Hof. Nach ihrem Tode einigten sich die inzwischen herangewachsenen Söhne dahin, daß die Brüder Peter, Kurt, Heinrich und Michel den Hof nebst allen Pertinentien ihrem Bruder Jakob überließen. Um 1697 hatte Jakob B. den Hof an Katharine Dames, die Witwe Jochim Beckers, verpachtet, während er selbst mit unbekanntem Aufenthalt abwesend war. Dann aber hatte er ihn wieder selber übernommen und bis etwa 1728 inne. Sein Nachfolger war wieder ein Peter Barfels. Von seinen Pflichten dem Kloster Heiligengrabe gegenüber hören wir in einem Auszuge aus dem Original-Erbregister des Stifts vom 1. Juli 1723: Peter Barfels gibt wegen des Kornzehnts auf seinem Hofe 32 Tlr. jährlich.

Noch gibt derselbe wegen des Fleischzehnts 2 Tlr. 6 gr., welche er in das Kapitul „Gericht bei Brendal Becker oder Claus Falcke“ einliefert. Wir ersehen ferner daraus, daß dasselbe Stift die Rechtsprechung über die beiden letzteren Besitzer und die Jagdgerechtigkeit auf ihrer Feldmark hat, daß die Kapitulbedienten von ihnen mit Futter und Mahl deferiert werden, und daß die beiden gehalten sind, ein Jahr ums andere drei Windhunde aufzuziehen.

1732 geht der Hof an den Grenadier des Königl. Leibregiments in Potsdam Johann Andreas Engel über, der auch 1738 als Besitzer auftritt. Er war ein Sohn des Joachim Christoph Engel, des Besitzers vom Rittergut II in Wendemark; er war ein Bruder der Justine Elisabeth, der Ehefrau des Wendemarker Pfarrers Johann Dietrich Löwe. Johann Andreas starb früh in Potsdam 1738 oder 1739. Mit seinem Tode ging der Hof an seinen Schwager, den Wendemarker Pfarrer Johann Dietrich Löwe über. Er starb am 18. August 1750. Kurz vor seinem Tode hatte ihm Nicolaus Falcke, der Bruder des Johann F. auf dem Einhofe, den Hof abgekauft und zwar unter der Bedingung, daß der Pfarrer ihm seine älteste Tochter zur Ehe gäbe. Aus den schon oben angeführten Werbener Briefen des Diaconus Ragge erfahren wir: „Die Mutter des genannten Ackermanns Falcke ist drei Tage vor der Hochzeit gestorben; weil sie aber ausdrücklich es bestellt hatte, daß die Hochzeit sollte gehalten werden; so geschah sie auch und 2 Tage darauf ward sie begraben“. Die Trauung fand am 10. Nov. 1750 statt. Daß es sich aber tatsächlich um diesen Hof handelt, erhellt daraus, daß noch im Jahre 1800 eine Schuld an Katharina Margarethe Löwe, die Ehefrau des vorigen Besitzers, auf den Hof eingetragen war. Die Mutter aber, die am 8. November 1750 gestorben und zwei Tage nach der Hochzeit ihres Sohnes Nicolaus und dessen Braut Katharina Margarethe geb. Löwe beerdigt war, hieß Frau Katharina Elisabeth geb. Wahrenberg. Daß Johann Christian, Sohn desselben Wendemarker Pfarrers Johann Dietrich Löwe, 1759 als Freisasse auf dem inkorporierten Drudenhufe genannt wurde, wissen wir aus der Geschichte dieses Hofes. Es läßt sich leicht deuten, welche einflußreiche Stellung der Pfarrer Johann Dietrich Löwe unter solchen Verhältnissen unter seinen Gemeindegliedern gehabt hat. Nicolaus Falcke vergrößert seinen Besitz durch den Ankauf der 12 Stücke Neumanns Acker, die er so lange gepachtet hatte; er kaufte sie für 950 Tlr. vorbehaltlich der Zustimmung der Witwe des Regierungsrates Neumann und ihrer Kinder, die in Perleberg wohnen. Dieser Acker lag zwischen den Höfen der beiden Brüder Falcke. Schon in dem von Jagowschen Haus- und Hauptbuch vom Jahre 1522, Seite 38, ist von diesem Acker die Rede. Aus dem Jahre 1790 liegt ein Ehevertrag vor zwischen Johann Dietrich Falcke, angehendem Freisassen in Wendemark, in Beistand seines Vaters Nikolaus und seiner Stiefmutter Anna Luise geb. Haverlandt einerseits und Jungfrau Catharina Elisabeth Schultze aus Behrendorf in Beistand ihres Vaters Nikolaus und ihrer Vormünder andererseits. Die Ehe wird alsbald darauf geschlossen sein. Johann Dietrich vergrößert im Jahre 1800 den Besitz durch Ankauf der Güter Wilhelminensau und Clausius Hof; er nimmt mit seiner Frau dazu eine Schuld von 1500 Reichsthalern bei dem Wasmerslager Ackersmann Joachim Christian Cunow auf. Der Wert des Wendemarker Hofes wird in dem gleichen Jahr einschließlich des Inventars, nach Abzug der auf ihm ruhenden Lasten, auf 16 402 Tlr. 17 gr. 7 taxiert.

Johann Dietrich der Aeltere tritt den Hof 1825 an seinen älteren Sohn Nicolaus Friedrich ab, aber schon am 11. April 1827 erklärt Johann Dietrich der Jüngere, daß er den Hof von dem Freisassen und Ackermann Nikolaus Friedrich Falcke, seinem Bruder, und von dessen Ehefrau Engel Marie Caroline, geb. Schulz, für den Preis von 1435 Tlr. Geld und 5565 Tlr. Courant gegen Uebernahme der Altenteile sowie gegen Verpflichtung der unentgeltlichen Erziehung der beiden minorennen Söhne des Verkäufers, Friedrich Wilhelm Theodor und Adolph Friedrich, gekauft habe. Johann Dietrich der Aeltere, der 1760 geboren war, starb 1835; sein Grabstein liegt, anstatt auf seiner Grabstätte, leider vor der Tür des Wohnhauses. Johann Dietrich der Jüngere hatte die hohe Ehre, den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. am 26. Mai 1841 als Gast begrüßen zu können.

Der König kam mit dem Prinzen Karl, seinem Bruder, auf seiner Huldigungsreise durch die Altmark von Werben aus nach Wendemark und stieg in der Wohnung des Dietrich Falcke ab, um ein aus königlicher Küche bereitetes Frühstück einzunehmen. Haus und Hof waren festlich geschmückt. Im Inneren der Wohnung, in einem Eichenkranze, begrüßte den König folgende Inschrift: „Ziehe wie zu Friedensfesten, wie zu Friedensfesten ziehe bei uns ein. Fei‘re der Triumphe besten, den Triumph, geliebt zu sein.“ Vor dem Eingange standen die Jungfrauen des Dorfes mit Blumengewinden, die Gemeindeglieder mit ihrem Prediger. Der König erwiderte den Jubelruf der Versammelten mit einem freundlichen „Guten Morgen“. Außer der hohen Begleitung waren der Landwehr-Kommandeur v. Rohr-Havelberg, der Freisasse Falcke nebst Frau, die Rittergutsbesitzer, der Wendemarker Prediger und der Werbener Bürgermeister Ebel zur Frühstückstafel befohlen. Nach aufgehobener Tafel begab sich der König unter die große an dem Wege nach der Parisstraße stehende Eiche. Die Bewohner der hiesigen Gegend versammelten sich um den treu geliebten Landesherrn. Huldvoll um sich blickend, freundlich redend stand der König wohl über eine Viertelstunde hier. Nachdem der König gegen den Freisassen Falcke seine Zufriedenheit auf die huldvollste Weise zu erkennen gegeben, bestieg er mit seinem Bruder den Wagen, um die Reise nach Seehausen fortzusetzen. So hatten die Wendemarker einen Festtag erlebt, der über alles schön und erhaben war. Eine eiserne Inschriftentafel an jener Eiche wird es noch lange den kommenden Geschlechtern melden.

Johann Dietrich erwarb, wie schon oben berichtet, den Zernitzer Hof von Johann Friedrich Bielefeldt hinzu. Nach seinem Tode verwaltete seine Witwe beide Höfe allein, bis dann der Stammhof in den Besitz des Friedrich Wöllmer, jener andere Hof aber in den Besitz des älteren Theodor Falcke überging. Es mag noch nachgeholt werden, daß vom 15. Dezember 1802 ein erneuerter Ziese-Kontrakt für den Freisassen Johann Dietrich Falcke und vom 15. August 1807 ein Vergleich zwischen dem Stift Heiligengrabe und demselben Freisassen vorliegen, die beide im 31. Jahresbericht des Altmärkischen Geschichtsvereins nach ihrem Hauptinhalt wiedergegeben sind.

Es ist bekannt, welches tragische Ende der letzte Besitzer des Hofes, Friedrich Wöllmer, ein allgemein beliebter, hochgeachteter, friedlicher und freundlicher Mann, anfangs Oktober 1901 fand. Er hat seine fromme christliche Gesinnung noch zuletzt dadurch bestätigt, daß er testamentarisch festsetzte, sein Erbe solle hinfort dem Zwecke der Krankenpflege dienen. Das ist denn auch Tatsache geworden. Der Hof trägt seit jener Zeit den Namen „Wöllmerstift“.