Die Befreiungskriege.

Aus der Werbener Geschichte des 19. Jahrhunderts hebt sich die Geschichte der Befreiungskriege besonders hervor. Noch einmal wurde die Stadt Werben Mittelpunkt wichtiger kriegerischer Unternehmungen, noch einmal sah sie bald Freund, bald Feind in ihren Mauern, noch einmal brachte sie schwere Opfer des Krieges. Doch hören wir, wie eine geschriebene Chronik des Rates die Ereignisse des Krieges uns schildert:

„Das preußische Heer war bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 geschlagen. Ein Teil des geschlagenen Heeres unter Blücher hatte sich nordwärts nach der Altmark gewandt. Von diesem Heeresteil kamen bereits am 19. Oktober 1806 die ersten Truppen hier in Werben an; es waren 400 Mann Gardes du Corps, ein Teil der Königlichen Garde und einzelne Mannschaften von verschiedenen Regimentern. Am Abend folgte die königliche Bagage mit einem Zug Maultiere, sowie zwei Kriegskassen. Immer neue Truppen füllten fast mit jeder Stunde die Stadt an und setzten dann auf den von oben hergeschafften Fähren und Schiffgefäßen über die Elbe. Dies dauerte bis zum Donnerstag, den 23. Oktober nachmittags. Da mussten auf Befehl des Herzogs von Weimar die Fahrzeuge schnell nach Sandau geschafft werden, um hier den Rest der Armee überzusetzen. Die Franzosen waren dicht hinter den Preußen her. Hier zeigte Oberst York, der Kommandeur der Nachhut, mit seinen Mittenwalder Jägern in dem meisterhaften Treffen von Altenzaun zum ersten Mal wieder, dass der alte preußische Soldatenmut noch nicht erloschen war. Ein schlichter Denkstein mit zwei gekreuzten Schwertern und dem Datum des Gefechtes gibt noch heute Kunde von diesem Gefecht.[113]

Am 27. Oktober 1806, früh um 3 Uhr, kamen schon die ersten Franzosen hier an, bestehend in einem Kommando Chasseurs, welche achtzehn vierspännige Wagen requirierten, sich aber mit sechs Wagen abfinden ließen. Am 6. November kam der Kapitän Levasseur mit achtzehn Pontonieren und einunddreißig zu einer Schiffbrücke bestimmten großen Fahrzeugen hier an. Diese Vorsicht der Franzosen, welche im Falle eines unglücklichen Ausgangs bei Lübeck den Rückzug über Werben bestimmt hatten, wurde durch den für den General Blücher nachteiligen Ausgang bei Lübeck unnötig.

Nachdem in Stendal der Intendant Chibaille und der General Boussin angestellt waren, wurden 72 Repräsentanten aus den Rittergutsbesitzern, den Städten und dem Bauernstande gewählt, welche die Kriegssteuer für die einzelnen Orte festzustellen hatten. Von der Werben auferlegten Kriegssteuer ward ein Viertel von den Einwohnern bar aufgebracht, zur Bestreitung der anderen drei Viertel wurden nach eingeholter Genehmigung nach und nach sehr viele Eichen aus dem jenseitigen Hainholz verkauft, wodurch der größte Teil dieses Holzes geräumt wurde.

Im Jahre 1807 wurde auch hier, wie in den übrigen Städten der Provinz, eine aus Bürgern bestehende Gendarmerie-Brigade errichtet.

1808 hatte die Stadt französische Einquartierung. Bei Nitzow wurde ein französisches Lager errichtet, welches für die angrenzenden Streuwiesen sehr nachteilig wurde. Zu Anfang desselben Jahres wurde der Kanton Werben gegründet, zu welchem außer dem Hauptort Werben die Dörfer Wendemark, Neukirchen, Lichterfelde, Nengerslage, Jüden, Hindenburg, Busch, Schwarzholz, Behrendorf, Giesenslage, Berge, Räbel und die damit verbundenen Ortschaften gehörten. Die Behörde bildete in Werben ein Maire mit seinem Adjoint, ein Friedensrichter mit dem Greffier und ein Munizipalrat von acht Mitgliedern. Am 9. März 1808 musste der ganze Kanton Werben dem französischen Könige Jerome von Westfalen vor dem hiesigen Rathause huldigen.

Zu Ende April des Jahres 1809 ging ein Corps unter dem Leutnant von Katte bei dem Sandauer Fährkrug über die Elbe nach Stendal. Am 9. und 11. Mai waren die ersten Truppen vom Corps des Majors von Schill in der Stadt. Am 12. mussten alle Gewehre abgeliefert werden. Am 13. früh rückte Major von Schill mit seinem Corps hier ein. Schon vorher mussten bedeutende Lieferungen von Lebensmitteln, Schuhen, Leinwand u. dergl. nach Arneburg hin geleistet werden. Am 14. Mai, morgens, zog Schill mit der Kavallerie nach Seehausen, die Infanterie aber auf Schiffen nach Dömitz. Verschiedene hiesige Einwohner wurden gezwungen, Dienste zu nehmen, mehrere, worunter sogar Knaben von noch nicht 14 Jahren, gingen freiwillig mit. Nachdem das Unternehmen des Majors von Schill ein so tragisches Ende genommen und das Corps zu Stralsund gefangen genommen oder zersprengt war, kamen die Holländer mit den erbeuteten Sachen zu Schiffe zurück; mehrere mitgebrachte Schiffe wurden hier in den Grund gebohrt. Von dieser Zeit an wurde die Stadt beständig von Einquartierung belästigt.

Zu Anfang des Jahres 1813 stand hier ein Kommando französischer Gendarmen; diese wurden im Februar durch einige zwanzig Mann der sogenannten Pariser Husaren abgelöst.

Am 25. März 1813, am Tage Marien, morgens um drei Uhr, setzte ein Corps von preußischem und russischem Militär über die Elbe; jenes war ein Bataillon des Majors von Borck, dieses ein Teil des Czernitschef'schen Corps. Diese Truppen nahmen den kommandierenden Offizier und 19 Husaren gefangen, wobei zwei der letzteren erschossen wurden. Vormittags kamen auch die beiden Generale Dörnberg und Benkendorf mit den übrigen Truppen hier an; sie wurden von der Bürgerschaft, besonders von der Schützengilde, freudig empfangen. Auf Befehl des ersteren wurde Gottesdienst auf öffentlichem Markt und nächstdem eine Messe von dem russischen Popen gehalten.

Während der 26. März ruhig vorüberging, kam am 27. gegen Mittag, wie eben der Rest des Czernitschef'schen Corps erwartet wurde, die Nachricht, dass ein französisches Corps von Stendal her, angeblich 3000 Mann, im Anmarsch wäre. Da die preußischen und besonders die russischen Truppen mehr aus Kavallerie bestanden und in dem sehr durchschnittenen Terrain der hiesigen Gegend nicht füglich operieren konnten, so zogen sich diese sämtlich nach Seehausen und gaben Werben den Franzosen preis. Was von den französischen Truppen nicht einquartiert werden konnte, das biwakierte auf den Straßen. Rings um die Stadt wurden starke Posten ausgestellt, an fünf bis sechs Stellen ungeheure Feuer angezündet, die Scheunen vor den Toren erbrochen und die darin befindlichen Strohvorräte geraubt.

Am 28. März ganz früh brachen die Franzosen zur Verfolgung der Preußen und Russen wieder auf, aber schon am Abend des 29. rückten 2500 Mann unter dem Kommando des Generals Ferrier hier ein. Auf Befehl des Generals wurde ein Bataillon vom Regiment Etrangers in der Kirche einquartiert. Auch die Schulklassen waren mit Franzosen belegt. Diese Truppen machten am 1. April dem General Pointsot mit seiner Division Platz. Als dieses letztere Corps am 8. April nach Stendal zog, musste ihm eine bedeutende Menge Schlachtvieh mitgegeben werden. Von dieser Zeit an wurde die Stadt ohne Unterlass von Kosaken heimgesucht.

Wie sich im April 1813 die Kavallerie des Lützow'schen Freikorps in Havelberg und Sandau und der dortigen Gegend befand, wurden aus dem Kanton Werben achtzehn Pferde und gleich darauf ebenso viele an den in Havelberg kommandierenden Leutnant von Schachtmeyer geliefert.

Am 28. April wurde der Canton-Maire aufgehoben und nach Havelberg abgeführt, woselbst sich bereits der Unterpräfekt Graf von der Schulenburg-Bodendorf und der damalige Stendaler Canton-Maire von Bismarck befanden.

Am 19. Juni 1813 kam französischerseits der Befehl, dass zur Anlegung eines Forts bei Werben aus dem Distrikt allein 2000 Arbeiter gestellt werden sollten. Am 21. Juni wurde wirklich mit dem Bau der Anfang gemacht. Die Stadt stellte täglich dazu 50, später 80 Mann. Am 24. Juni kam Befehl, dass auch 200 Zimmerleute gestellt werden sollten. Den Befehl über die Schanzarbeiter führte ein Kapitän vom Geniekorps, namens Lanternier, unter dem Oberkommando des Generals Haxo. 500 vierspännige Wagen wurden zur Abholung des in der Letzlinger Forst geschlagenen Holzes zum Palisadenbau requiriert, was jedoch späterhin als unnötig abbestellt wurde. Vom 9. Juli ab mussten 4000 Mann die Schanzarbeiten verrichten. Aus allen Winkeln des weiten Königreiches Westfalen wurden Menschen hierher getrieben, so dass man hier noch nie gehörte Dialekte vernahm. Das Aller- und Oker-Departement stellten jedes 1500 Mann. Weit entfernte und reiche Ortschaften sandten der französischen Behörde statt Menschen große Summen zu. Mancher fand hier in dieser trübseligen Zeit sein gutes Brot. Knaben gar nicht unbemittelter Eltern verließen die Schule, weil sie es vorzogen, sich hier mit Schanzarbeit täglich 14 Groschen Courant zu erwerben. Zur Errichtung dieser Schanze wurden die meisten Gebäude des benachbarten Rittergutes Neu-Goldbeck zerstört. Da kam am 14. Juli plötzlich und unerwartet der Befehl, dass die Schanzarbeiten aufhören und die Wälle wieder demoliert werden sollten, was denn auch gleich begonnen, aber erst 1815 völlig beendet wurde.

Am 19. Juli fingen die Franzosen an, den Garten vor dem Seehäuser Tor, welcher darnach zum Begräbnisplatz umgewandelt wurde, zu zerstören, das darin befindliche Gartenhaus zu einem Blockhaus umzuschaffen und mit einem hohen Wall und tiefen Graben und starken Palisaden zu versehen.

Nach Ablauf des Waffenstillstandes am 17. August kam der Landsturm unter Anführung des Amtmanns Braumann aus Quitzöbel und stellte das von den Franzosen errichtete Blockhaus in Brand, wobei die Stadt selbst in die größte Gefahr geriet. Nachdem sich diese Landstürmer aller Vorräte in den hiesigen Magazinen bemächtigt hatten, überließen sie die Stadt ihrem Schicksal. Gleich darauf war auch der General-Kommissär der Hohen Polizei Moiser aus Magdeburg nebst dem Oberpräfekten Bercagni hier, um die Einwohner zur Treue und Anhänglichkeit an ihren Landesherrn zu ermahnen.

Im September 1813 wurden bereits von hier aus Lieferungen an die preußischen Truppen nach Havelberg geleistet. In der letzten Hälfte des Oktober lief endlich die Nachricht von der glücklichen Schlacht bei Leipzig ein, welche auch hier durch Gottesdienst und Illumination gefeiert wurde. Die in Havelberg und an anderen Orten sich aufhaltenden Behörden waren bereits in ihren Wirkungskreis wieder entlassen. Unter dem 5. November wurden 279 Thaler 3 Groschen 6 Pfennig zur Pflege der bei Leipzig verwundeten Krieger zusammengebracht und eingesandt.

Zum Anfang des Jahres 1815 bildete sich hier ein Verein von 16 Frauen und 22 Jungfrauen unter dem Vorstande der ältesten Tochter des Kreisamtmanns Ebel und des Oberpredigers Bettin, um für die Krieger weibliche Arbeiten, wie Hemden, Strümpfe, Bandagen, Wundfäden, zu verfertigen. Auch verpflichteten sich 118 Bürger, während der Dauer des Krieges monatliche Geldbeiträge zu spenden.

Am 25. März 1816, als dem für die Bewohner merkwürdigen Tage, an welchem sie zuerst die Hoffnung schöpften, der Fremdherrschaft entrissen zu werden, wurde auf dem hiesigen Markt unter dem Geläute aller Glocken, unter einer Festrede und Absingung des Liedes: „Nun danket alle Gott" eine von Schulknaben herbeigetragene Friedenseiche gepflanzt.

So weit lautet der Bericht der geschriebenen Chronik über die Befreiungskriege. Wohl leuchtete auch den Werbenern manchmal das Morgenrot der Freiheit auf, aber immer wieder musste es dem dunklen drohenden Gewölk weichen, bis denn auch ihnen endlich das ersehnte Licht des Freiheitstages untrüglich aufging. Ob auch die Bewohner äußerlich französische Untertanen sein mussten, so bewahrten sie doch treu die preußische Gesinnung und bewährten dieselbe, so bald und so oft sich ihnen Gelegenheit bot. Möchte allezeit, ob Krieg oder Friede, diese Gesinnung die gleiche patriotische sein und bleiben! Für König und Vaterland starben in diesen Kämpfen die folgenden Werbener den Heldentod: Carl Hoffmann, Wilhelm Jaenicke, Caspar Ragosky, Joachim Friedrich Witte, Christian Rabe, Joachim Knacke, Adam Brosius, Levin Jacob.

Fußnoten

[113] Noch als General-Feldmarschall soll sich Dorf mit Vorliebe an dieses Gefecht bei Altenzaun erinnert haben. In der That war es ein lichter Punkt in trüber Zeit.