Die Bilder am Fuße des Kelches.
a) „Die Verkündigung Mariä" mit der lateinischen Umschrift: „Ave Maria Gracia Plenna Dominus Tecum“, auf deutsch: „Gegrüßet seist Du, Holdselige! der Herr ist mit Dir" (Luc. 1 V. 28). Dieses Bild will den Beginn der Menschwerdung Christi zur bildlichen Anschauung bringen. Mit dem Glauben der Maria hebt für die Menschheit das Erlösungswerk an.
b) „Moses, zu welchem der Herr aus dem feurigen Busch redet". Wir sehen nicht nur das heilige Feuer an des Strauches Wurzel und den sprechenden Vater über seinem Gipfel, sondern auch den anbetenden Moses ausdrücklich auf die in den Vordergrund gerückte Entschuhung seines Fußes hinweisen. Darum befindet sich die Inschrift: „Quod Rubus Ut Flamma, Tu Portasti, Virgo M(ater) F(acta)“, auf deutsch: „(das Wort), welches Du, wie der Busch in der Flamme, getragen hast, als Jungfrau Mutter geworden". Wie der Künstler die Inschrift aus einem sehr berühmten und verbreiteten Marienliede des 1054 verstorbenen Hermannus Contractus von Reichenau entnommen hat, so hat er auch seine Zeichnung durch ihren Wortlaut bedingen lassen. Wie der Busch durch das Feuer unverletzt geblieben, so ist die Jungfräulichkeit der Maria durch die Empfängnis unverletzt geblieben. Und derselbe, der sich im Busche dem Moses geoffenbart, ist's auch, den Maria unter dem Herzen getragen: das „Wort“, „Gott der Sohn". So weist also dieses Bild auf den göttlichen Ursprung Christi hin.
c) „Gideon betet vor dem durch Regen aus gestirntem Himmel wunderbar benetzten Vlies" (Richter 6, Vers 36). Derselbe erscheint in der Tracht eines mittelalterlichen Kriegers mit bewimpelter Lanze, mit Schwert und Schild. Die Umschrift, die nicht ganz vollständig ist, lautet genau: „Fusa Caeli Rore Tellus Fusum Gideonis Vellus Deitatis Pluvia“, auf deutsch: „Benetzt ist die Erde durch den Tau des Himmels, benetzt Gideons Fell durch den Regen der Gottheit". Diese Umschrift ist die achte Strophe aus einem Lobgesange auf Maria, der mit den Worten „Hodiernas lux diei“ beginnend, in vielen Kirchen an den Festen der Opferung der Maria (21. November) und ihrer Empfängnis (8. Dezember) gesungen wurde. Wie das Vlies durch Himmelstau wunderbar benetzt ward, so hat auch Maria übernatürlich empfangen. So will also dieses Bild die jungfräuliche Geburt zur Anschauung bringen.
d) Auf dem vierten Bilde sehen wir den Gekreuzigten mit geneigtem Haupte, übergelegtem rechten Fuß und mit drei Nägeln angeheftet dargestellt. Die waagerechte Haltung der Arme, die fehlende Dornenkrone und der volle, von den Hüften bis zu den Knien reichende Schurz erinnern noch an die ältere Darstellungsweise. Unter dem Kreuz sehen wir die Gestalten der Maria und des Johannes. Die Mutter jedoch nicht, wie der Jünger, mit zur Wange erhobener Hand, sondern mit emporgehobenen Händen. Die Aufschrift lautet: „Jesus Nazarenus Rex Judaeorum“, auf Deutsch: „Jesus von Nazareth, der Juden König". Entsprechend dem gegenüber befindlichen Bilde von der Verkündigung der Maria, als dem Anfange der Erniedrigung, stellt dieses Bild das Ende derselben dar. Wie auch die Sage, welche beide Ereignisse auf denselben Jahrestag (25. März) verlegt, die gegenseitige Beziehung derselben andeutet.
So hat also der Künstler am Fuße des Kelches die vier wesentlichen Punkte der Menschwerdung Christi zur bildlichen Anschauung gebracht und damit zugleich die erste Hälfte des zweiten Artikels im „Apostolischen Glaubensbekenntnis" erschöpft.