Erneuerter Gildebrief der Schuhmacher-Gilde aus dem Jahre 1477.
„Wir Ratmänner der Stadt Werben bestätigen, dass ein jedes (Mitglied der Gilde) zu den Lichten (auf der Krone und den „bomen“) geben soll alle Vierteljahr zwei stendalsche Pfennige; wer dawiderspricht, dem sollen die dazu verordneten Kumpane den Dienst und die Arbeit so lange versagen, bis er die zwei Pfennige ausgegeben hat. Wenn aber einer mit den zwei Pfennigen wegliefe, so sollte es sein Meister sogleich dem Meisterknappe sagen, der ihn mit Hilfe der Kumpane pfänden mag. Würde er sich aber heimlich wegstehlen, so soll man ihn auf den Brief setzen. Jene Lichte auf der Krone in der Kirche soll man anstecken an allen hohen Festen und Apostelfesten zu der Hochmesse, in der Christnacht und in der Leidensnacht, endlich zu den Vierzeiten während der Vesper, Frühmesse und Hochmesse. Die Lichte auf den „bomen“ soll man um den Kirchhof tragen an den hohen Festen, wenn man mit dem „heiligen Leichnam" geht und den Baldachin darüber trägt, auch zu den Hochmessen sollen an diesen Festen die Lichte auf den Lichtträgern oder Lichthaltern angezündet werden. Die Meisterknappen sollen mit dem Tragen zwei Kumpane (Gewerksgenossen) beauftragen; diese letzteren aber sollen sie ziemlich in den Händen tragen, nicht auf den Schultern.[39]
Wenn ein Kumpane spielte … um Geld in der Stadt oder vor dem Thore, so sollte er, so oft er darüber gesehen würde, einen Groschen märkischer Währung zahlen; dem Widersprechenden sollte man die Arbeit kündigen, bis er den Groschen ausgegeben hat. Wenn ein Kumpane einem anderen sein Gut entfernte oder übel täte, dem soll man seine Arbeit verbieten und ihn hinfort für einen Schalk halten so lange, bis er sich verantwortet hat.
Ferner bestätigen wir, wenn ein Kumpane krank wird und hätte nichts zu verzehren, dem soll man zu Hilfe kommen aus „Unserer-Lieben-Frauen-Büchse" mit zwei Schilling weniger sechs Pfennig, darnach sollen ihm die Kumpane zu Hilfe kommen, ein jeglicher mit vier Pfennig; verzehrt er das, sollen sie ihm nochmals zu Hilfe kommen; wenn sie ihm so zu Hilfe gekommen und es nicht besser geworden, soll man noch mehr zu Hilfe kommen aus „Unserer-Lieben-Frauen-Büchse" mit einem Schilling weniger sechs Pfennig, wenn man's daraus entbehren kann. Wenn er dann wieder gesund geworden, soll er sogleich, was er über die Kosten seines Unterhalts hinaus verdient, in die Büchse legen, so viel, als er daraus bekommen hat. Kann er hier keine Arbeit finden, mag man ihm erlauben, in einer anderen Stadt zu arbeiten und das Geld herzusenden. Was ihm die Kumpane zu Hilfe gegeben, dafür mag er ihnen danken. Stürbe er aber in seiner Krankheit, so sollte, was er hätte an Kleidern und an anderem Wertbesitz, der „Büchse" zugutekommen. Käme ein Kumpane auf seiner Wanderung auf eine halbe Meile nach Werben heran und würde krank, so sollen ihn die Kumpane einholen und an ihm tun, wie von Kranken geschrieben steht.[40]
Ferner sollen die Kumpane keinen Bund oder Willkür gegen ihren Meister bei ihrem Dienste und Arbeit machen.
Ferner erlauben wir, dass ein jeder Kumpane soll helfen trinken eine Tonne Bier zu drei Zeiten bei Zwange, als des Weihnachten, des Fastenabends und des Pfingsten. Wenn ein Kumpane dem entgegen wäre und mit Vorsatz fortbliebe, soll er die Tonne Bier in dem Vierteljahr nach seinem Anteile bei seiner Arbeit helfen bezahlen, und die dazu verordneten Kumpane sollen bei der Tonne Bier Rechenschaft ablegen, was ein jeder bezahlen (gelten) soll. Ferner bestimmen wir, dass, wenn die Kumpane trinken, und jemand zur Unsitte tränke oder sich unrein machte bei der Gesellschaft oder in seines Meisters Hause, der soll geben ein Pfund Wachs zur Strafe.
Ferner, wenn ein Kumpane ginge mit bloßen Beinen mit seinem „Schorteldecke" oder mit dem „Umgherhede" über seines Meisters Münzstein bei Sonnenschein, der soll bezahlen sechs Pfennig; nur wenn er hilft seinem Meister Leder „treten“ oder schmieren, so lange soll er ohne Strafe bleiben. Ginge auch ein Kumpane mit einer halben Hacke und hätte gesunde Beine, soll er zahlen sechs Pfennig. Auch soll niemand Kränze tragen von Leder oder Borsten pflücken von einem lebenden Schweine bei sechs Pfennig. Auch soll kein Kumpane Speere aufnehmen bei dem Turniere oder Hufeisen ohne Erlaubnis, bei einem Pfund Wachs.
Ferner soll kein Kumpan sich schlagen mit dem anderen oder mit dem Meisterknappe; wer schlägt, soll zahlen an den Kumpane ein Pfund Wachs; sind beide schuldig, ein jeder ein Pfund Wachs an den Meisterknappe; ist der letztere schuld, so soll er zwei Pfund Wachs an den Kumpane geben. Wenn ein Kumpane den anderen misshandelte mit unhöflichen und höhnischen Worten, so soll er an den Kumpane ein Pfund Wachs und an den Meisterknappe zwei Pfund geben. Würde aber ein Kumpane oder Meisterknappe misshandelt von einem anderen Kumpane an heimlicher Stätte und der Misshandelte wollte es nicht oder dürfte es nicht nachsagen, es käme aber doch den anderen zu Ohren, so sollen beide je ein Pfund Wachs geben. Wenn einer den anderen würfe spottweise mit alten Schuhen und der andere das wegen des Spottes nicht dulden wollte, soll er sechs Pfennig geben.
Auch soll kein Kumpane bringen in seines Meisters Haus gemeine Frauen, mit ihnen zu essen oder zu trinken; so oft das geschieht, soll er sechs Pfennig bezahlen. Wenn ein Lehrjunge zugelassen wird, der soll geben in der Schuhknechte Kumpanei ein Pfund Wachs. Ferner bestätigen wir, dass wer die Kumpanei gewinnen will, Frau oder Mann, soll ein Pfund Wachs und alle Vierteljahr einen Pfennig zu den Lichten geben. Hierfür sollen die Kumpane allen denjenigen, die aus ihrer Kumpanei versterben, zu ihrer Vigilie und Seelenmesse kommen und nachher zum Grabe folgen, sofern ihnen das angesagt wird, bei sechs Pfennig. Die Meisterknappen sollen in das Haus, darin der Tote (dat lick == der Leichnam) ist, zur Vigilie tragen die vier Lichthalter mit den Lichten und zur Seelenmesse bei dem Altar (zeleblock) anstecken, so lange bis die Kommendacie (Gedächtnisfeier) getan ist.
Ferner erlauben wir den Kumpanen, dass sie mögen vor ihren Meistern, die ihnen gesetzt sind, halten eine Morgensprache alle Vierteljahr, oder wenn es not ist, da die Meister mögen Licht alles, was ihnen fehlt. Welcher Kumpane sein Wort nicht recht einbringen kann, mag einen anderen bitten, sein Wort zu halten; würde er aber niemanden bitten und unrechtes einbringen, so soll er drei Pfennig zahlen.
Alle diese vorgeschriebenen Strafen sind bestätigt und gegeben in der Ehre „Unserer lieben Frauen", ihre Lichte damit zu halten, und alle diese obengenannten Strafen soll man bezeugen, als vorn geschrieben steht, und die Werkmeister, die dazu gesetzt werden, sollen alle Vergehen richten und verfolgen nach Aus- und Anweisung dieses vorgeschriebenen Briefes.
Ferner sollen die Meisterknappen alle Jahre ewiglich begehen lassen sowohl Vigilien als auch Seelenmessen allen denen, die aus der Kumpanei verstorben sind, nämlich am Donnerstagabend in den Pfingsten oder in der Woche darnach nach Bequemlichkeit des Pfarrers und der Kumpane, die andere Vigilie des Donnerstags in der Quatertember in der Fastenzeit, wenn sie so viel in der Kasse haben, mit zwei Priestern, zwei Küstern und zwei Schülern; ein jeder Kumpane soll sein zur Vigilie und Seelenmesse, bei sechs Pfennig.
Ferner wenn die Schuhmacher wählen neue Werkmeister, so sollen sie auch wählen den Kumpanen einen Meister des Sonntags darnach, der „Unserer lieben Frauen" bequem ist. Und die Kumpane sollen unter sich zwei bescheidene, biedere Kumpane zu Meisterknappen wählen, welche ihren Lichten und gemeinen Pfennigen vorstehen und die Satzungen wahren. Die alten Meisterknappen sollen den neuen Rechenschaft ablegen über alles vor dem neuen Kumpan-Meister. Würde jemand von den Kumpanen zum Meisterknappe gewählt und wehrte sich dagegen und wollte die Wahl nicht annehmen, soll er, so oft man ihn wählt, ein Pfund Wachs zu den Lichten und eine halbe Tonne Bier den Kumpanen geben. Wer gekoren wird, der soll vorstehen seinem Amte ein ganzes Jahr nach den vorgeschriebenen Satzungen. Wäre jemand als Meisterknappe gewählt und wollte in dem Jahre wandern, so soll man ihm das gestatten, sofern er Rechenschaft ablegt und mit den Meistern und seinen Mithelfern einen hilft wählen an seiner Stelle; die Schlüssel soll er geben einem Meister oder Kumpane, der hier denkt zu arbeiten.
Dass alle diese vorgeschriebenen Stücke und Artikel, insgesamt und einzeln, stets fest und unverbrochen wohl gehalten werden, haben wir Ratmänner der Stadt Werben unser großes Siegel mit Wissenschaft lassen hängen an diesen Brief. Gegeben und geschrieben nach Christi Geburt 1400 darnach in dem 47. Jahre, am guten Mittwoch.
Nach fleißiger Bitte haben wir angesehen ihren Fleiß, den sie beweisen, den Gottesdienst zu mehren, deswegen befestigen, bestätigen und konfirmieren wir diese Kumpanei mit allen alten und neuen Artikeln in Kraft dieses Briefes, insgesamt und besonders. Dessen zur gewisseren Urkunde haben wir unserer Stadt großes Siegel absichtlich und wissentlich unten an diesen Brief hängen lassen. Gegeben Werben, nach der Geburt Christi unseres Herrn 1477, am Freitage vor Vocem iucunditatis."
Beim Rückblick auf diesen Gildebrief können wir das Bedauern nicht unterdrücken darüber, dass nicht manche Bestimmungen noch heute gelten. Bestimmungen über die gute Sitte wären auch heute am Platz. Die gegenseitige Verpflichtung, in Krankheitsfällen zu helfen, würde auch heute das notwendige Gefühl der Zusammengehörigkeit erhöhen. Innigere Beziehung zwischen dem beruflichen und dem kirchlichen Leben würde in glaubensarmer Zeit erst recht not tun.
Wohl ist es zu beklagen, dass wir gerade aus mittelalterlicher Zeit nicht mehr Gildebriefe unserer Stadt haben, doch würde sicherlich der Inhalt der anderen Gildebriefe wesentlich dem obigen ähnlich sein. Zu diesem Briefe der Schuhmacher-Gilde, der die sozialen Verhältnisse besonders betont, bildet der Brief der Lakenmacher, von dem weiter unten die Rede sein wird, insofern eine schöne Ergänzung, als er näher auf die gewerbliche Bedeutung solcher Gilden eingeht.[41]