c) Das Elbthor.

Von der alten Befestigung steht heute noch außer einem Stück der Stadtmauer mit einem Turm an der westlichen Stadtseite das schön erhaltene Elbthor mit seinem gewaltigen Turm als ein beredter Zeuge mittelalterlicher Baukunst. Wir können auch dieses Bauwerk den Lesern im Bilde zeigen und nach dem oft erwähnten Gewährsmann genau beschreiben: „Das schöne und wohlerhaltene Stadtthor, welches in Fassade, Durchschnitt, Grundrissen und Details dargestellt worden ist, besteht aus dem zum Durchgangsverkehre bestimmten Thorhause und dem daneben stehenden Rundturm. Das erstere öffnet sich mittels profilierter Spitzbogen nach Stadt- und Feldseite und ist mit einem auf birnenförmigen Knöpfen ruhenden Kreuzgewölbe überdeckt. Die reiche, aber schon etwas flache Profilierung des äußeren Thorbogens, sowie die an den Formsteinen desselben vorkommenden Ziegelstempel zeigen die Abbildungen. Die über dem Thore angeordnete Plattform ist innen und außen mit gegliederten Zinnenwänden besetzt, an deren Pfeilern Wappenblenden eingefügt sind.

Der in zwei Absätzen sich erhebende außerordentlich starke Rundturm, dessen Untermauer eine Dicke von 11 Fuß besitzt, wird von der Stadtseite her mittels einer schmalen Treppe erstiegen. Diese Treppe führt zu dem kreisförmigen, mit einer Rundkuppel überwölbten Wachtraume, welcher mittels dreier Fensterscharten die Feldseite bestreicht und durch eine Öffnung im Fußboden mit einem kuppelüberwölbten unterirdischen Raum verbunden ist, in dessen Mitte sich ein Wasserbrunnen befindet. Von dem Wachtraume führt eine zweite Treppe einerseits auf die Plattform des Thores, andererseits zu dem gleichfalls mit einer Kuppel überwölbten oberen Stockwerke, welches einen Kamin besitzt und von dem 2 Fuß 10 Zoll breiten gezinnten und abgepflasterten Umgange, der den Unterturm bekrönt, durch eine Doppeltür abgeschlossen werden kann. An der Außenmauer des Oberturmes sind eiserne Haken eingemauert, welche wahrscheinlich zur Befestigung der bei feindlichen Angriffen anzubringenden Schirmdächer über dem gezinnten Umgange dienten. Von dem oberen Geschosse führt endlich eine massive Treppe zu der Plattform des Oberturmes, welche mit einem Zinnenkranze umgeben ist und die übliche Einrichtung zur Ableitung des Regenwassers zeigt. Die mit schwarz glasierten Zickzackstreifen belebte Fassade des Rundturmes macht durch die energische Gesamtgestaltung und die kräftige Profilierung der Zinnenkränze und Hauptgesimse, welche aus dem Bilde ersieht werden kann, eine sehr bedeutende Wirkung. Das Mauerwerk ist in sorgfältigem Rohbau hergestellt und die Güte des Materials entspricht der Gediegenheit der Arbeit. Das Steinformat beträgt an den Zinnen des Umgangs 11½ Zoll, 5½Zoll und 3⅝ Zoll, an dem Thore und Unterturme 11¾ bis 12 Zoll, 5½ bis 5¾ Zoll und 3⅝ bis 4 Zoll. Nach dem Charakter der Kunstformen beurteilt, darf die Bauzeit des Elbthores auf ungefähr 1460 angenommen werden.

Da die Erbauungszeit des Elbthores dieselbe ist wie die des Haupttores der Kirche, so hat vermutlich Meister Stephan Buxtehude auch das Elbthor erbaut. Der Inhalt des Zerbst Briefes bestätigt diese Vermutung, wie es scheint. An der Westseite steht noch heute der Turm, dessen Bild wir auch bringen. Wenn wir bedenken, dass in diesem Jahrhundert außer den genannten Gebäuden auch noch das Hospital und die Kapelle der heiligen Gertrud vor dem Elbthor, ferner die St. Georgskapelle vor dem Seehäuser Thor, gewiss auch das Rathaus an dem Markte erbaut worden sind, so dürfen wir mit Recht auf eine rege Bautätigkeit, aber auch auf eine gewisse Wohlhabenheit der Stadt in dieser Zeit schließen. Freilich werden auch hier, wie überall damals, die privaten Bauten den Vergleich mit den immerhin großartigen öffentlichen nicht ausgehalten haben. Selbst vornehme Patrizierfamilien behalfen sich mit strohgedeckten Häusern. Innerhalb derselben saß die Bevölkerung ziemlich dicht, nicht deswegen, weil viele zur Miete gewohnt hätten, sondern weil oft mehrere selbständige Glieder desselben Geschlechts, auch wenn sie verheiratet waren, sich mit einem Hause, dem angestammten Erbsitz der Familie, begnügten. So dauerte noch bis tief in das 16. Jahrhundert hinein selbst in vornehmen Familien jene ärmliche Beschränkung, dass der Sohn des Hauses mit seiner jungen Frau in einem Hinterstübchen bei den Eltern wohnte und ohne eigenen Haushalt bei ihnen zur Kost ging.“