Die weitere Entwicklung der evangelischen Gemeinde.

In den folgenden Jahren erlebte die junge evangelische Gemeinde mancherlei Freud und Leid. Doch wie uns der Blick auf das gesamte kirchliche Leben dieses Zeitabschnitts lehrt, ging sie aus Freud und Leid neu gestärkt hervor. Wir dürfen uns den Übergang vom katholischen zum evangelischen Kirchenwesen nur ganz allmählich vorstellen. Noch lange blieben gewisse Gebräuche an bestimmten Festen, lateinische Kirchengesänge und katholische Amtskleider erhalten. Gewiss waren auch die Predigten in ihrem evangelischen Gehalt noch sehr unvollkommen. Wie wichtig war es daher für die Entwicklung des evangelischen Lebens, als im Jahre 1545 eine von Luther übersetzte und noch von ihm selbst herausgegebene Bibel nach Werben gelangte! Und das machte sie der Gemeinde so lieb und teuer, dass der Reformator selbst mit eigener Hand den Anfang des 1. Psalms nebst einigen erklärenden Worten, gleichsam als ernste Mahnung, nicht auf Menschenwort zu vertrauen, hineingeschrieben hatte. Nun war erst ganz der feste Grund allen Lehrens und Glaubens gefunden, nun war die Geistesgemeinschaft mit dem Reformator zum schönen Ausdruck gekommen, nun wurde die Gemeinde durch ein Andenken an den Mann, dessen Name überall genannt wurde, beglückt.

Wichtig war ferner der Wechsel der Komture. Thomas Runge siedelte 1545 als Herrenmeister nach Sonnenburg über, während Balthasar von der Marwitz Komtur von Werben wurde. Mit ihm zog der erste evangelische Komtur in Werben ein, auch der erste Komtur, der in den heiligen Ehestand trat. So wurde auch möglichen Streitigkeiten mit einem katholischen Komtur vorgebeugt.

Es war aber auch nötig, dass die evangelische Gemeinde erstarkte, denn es sollte ihr an Stürmen in der Folgezeit nicht fehlen. Der erste Pfarrer, Augustin Brinkmann, der ihr das Evangelium verkündete, geriet in allerlei Glaubensirrtümer, sodass er am 2. Februar 1546 deshalb abgesetzt werden musste. Wir wissen nicht, in was für Irrtümer man verfallen, ob in katholische oder in kalvinistische, aber wir ahnen, wie sehr die junge evangelische Gemeinde durch dieses Ereignis erschüttert wurde. Auch sein Nachfolger, Johann Ulrich, wohl ein geborener Werbener, nahm schon 1548 „des Pfarramts halber“ seinen Abschied und starb bald darauf. Recht bedenklich erscheint auch die Wahl des Diakonus Laurentius Pasche im Jahre 1546. Dieser Laurentius Pasche war vorher der größte Gegner der Reformation in Gardelegen gewesen. Er war ein geistig begabter aber unlauterer Mann, nach dem Zeugnis eines Geschichtsschreibers war er eines Messpfaffen Sohn. Wahrscheinlich bald nach der Visitation 1541 war er aus Gardelegen gewichen. Nachdem er auf seine Art Frieden mit der Reformation geschlossen, gelang es ihm infolge seiner glänzenden Gaben, 1546 in Werben Diakonus, 1548 in Wilsnack und endlich in Kyritz Pfarrer und Inspektor zu werden. Zu seiner Charakteristik sei das Folgende aus einer Klageschrift des Kyritzer Rates an den Kurfürsten vom Jahre 1562 angeführt: „Er ist alle Tage voll, schreiet und jauchzet, geht samt seiner Gesellschaft auf der Gassen in Hosen und Wams mit Büchsen und Spießen, wie keinem Geistlichen zusteht, zu dem so lässt er sich unseres Schadens nicht leid sein, sondern treibt noch das Gespött darauf mit diesen Worten, er sei ein Mordbrenner, will es noch einmal anstecken u. s. w.“ Auf der Feste Giebichenstein nahm dieser ehemalige Werbener Diakonus ein schreckliches Ende. Ein Glück, dass er das Werbener Amt nicht länger als zwei Jahre inne hatte.[51]

Ruhe und Friede zogen von nun an ein. Die beiden folgenden Geistlichen, Ambrosius Barth und Pascha Woldmann, führten ihr Amt bis zum Jahre 1588 zum Segen der Gemeinde. Von dem regen kirchlichen Leben, welches in dieser Zeit nach der Reformation in der Gemeinde geherrscht, zeugen am besten die vielen kirchlichen Stiftungen, von denen weiter unten die Rede sein wird.[52][53]

Fußnoten

[51] Chr. Schulße. - Cf. 20. Jahresbericht des Altm. Geschichtsvereins, 2. Heft, S. 9 ff. – Seidel „Bildersammlung“.
[52] In dem Wittenberger Album wird er als Eilenburger bezeichnet, der 1542 im Juni nach Wittenberg zog.
[53] 1542, am 13. April, bezog er die Hochschule zu Wittenberg. Er wird als Osterburger in dem Album dieser Hochschule bezeichnet.