a) Die Kirche.
Das 15. Jahrhundert war für die Stadt Werben eine Zeit reger Bautätigkeit. War in dem voraufgehenden Jahrhundert der Kunstsinn durch den politischen Druck, die Sorge für die äußere Sicherheit und das Streben nach möglichster Macht unterdrückt, jetzt entfaltete er frei seine Schwingen. Noch heute geben uns davon die Kirche, die Kapelle des Heiligen Geistes und das Elbtor beredtes Zeugnis. Lassen wir über diese Bauten wiederum unseren Gewährsmann reden:[28]
„Die vierte und letzte Bauepoche hat die wahrscheinlich durch den Stadtbrand schwer beschädigte Kirche nicht nur restauriert, sondern auch durch die oben beschriebene Choranlage beträchtlich erweitert. Zu dieser Bauausführung gehören daher sämtliche auf gleich profilierten Rippen ruhenden, hochbogigen Kreuzgewölbe des älteren Langhauses, einschließlich der tragenden Längsgurte, ferner der ganze Chor mit Pfeilern, Gewölben und Umfassungsmauern. Bei der Herstellung des Chores ist die Pfeilerbildung der älteren Schiffspfeiler im Motive zwar festgehalten, aber in der Profilierung selbst so nüchtern und geistlos wiedergegeben worden, dass darin der spätgotische Charakter unverkennbar hervortritt. Auf die sonstige Gestaltung des Chores hat andererseits der Dom zu Stendal eingewirkt, denn es sind nicht nur die dort vorhandenen hohen und schlanken dreiteiligen Fenster mit ihren tiefen Laibungen, ferner die mit Reliefblenden geschmückten Untermauern für das Äußere, sondern auch die auf blattlosen Kelchkonsolen aufsetzenden Dienste, die Spitzbogenblenden an den Untermauern, sowie die Überhöhung der Schildbogen im Mittelschiff für das Innere völlig maßgebend gewesen. (Vergleiche beifolgende Darstellung des Querschnittes und der Ostfassade). Die geringen Variationen, welche auftreten, sind aber weder als Verbesserungen noch als gelungene Änderungen zu bezeichnen. Dahin gehören die absatzlos aufsteigenden, bis über das magere Hauptgesims reichenden Strebepfeiler, die sehr schwerfällig erscheinen; ferner die an den Chorwänden oberhalb der Fenster angeordneten, kaum eine Wirkung erzeugenden Rosettenblenden. Von den letzteren gibt nebenstehende Zeichnung eine Darstellung.
Eine an der Südseite belegene zweigeschossige Kapelle, welche sich oben mit breiten Arkaden nach dem Chor hin öffnet, scheint, nach den nüchternen Kunstformen zu urteilen, dem Schlusse des 15. Jahrhunderts anzugehören.“
Technisches. „Der interessanteste Teil des Chorbaues ist die reich gestaltete Anordnung der drei Polygonschlüsse, welche bei dem Wunsch, möglichst viele und breite, zur Aufnahme von Glasmalereien bestimmte Fenster anzulegen, zu eigentümlichen Konstruktionen geführt hat. Die sinnreiche Struktur, womit das Hauptgesims der Nebenchöre mit den betreffenden Polygonmauern des Hauptchores verbunden sind, zeigt beifolgendes Bild, wobei bemerkt wird, dass der die Seitenfronten der Strebepfeiler miteinander verbindende Flachbogen, sowie die dagegen gelegte hochbogige Kreuzkappe es notwendig machten, dass die äußersten Fenster des Hauptchores nicht höher emporgeführt werden konnten, als die Fenster der Nebenchöre reichten. Gleichzeitig wurde durch die getroffene Anordnung die Möglichkeit gegeben, den Hauptchor wie die Nebenchöre mit demselben Dachverband zu überdecken, wie dies die obige Figur der Ostfassade lehrt.
Die technische Ausführung ist an der ganzen Kirche höchst gediegen zu nennen und wird durch ein Material von großer Dichtigkeit und schöner Färbung trefflich unterstützt. Das Steinformat beträgt am südlichen Seitenschiff 11 bis 11¼ Zoll, 5 bis 5¾ Zoll und 3½ bis 3¾ Zoll, am Chor 11¼ bis 11½ Zoll, 5½ bis 5⅝ Zoll, 3¼ bis 3½ Zoll.
Resultat. Der oblonge Westturm ist in seinen unteren Teilen vor 1160, im oberen Stockwerk um 1220, die westlichen Unterteile der Seitenschiffsmauern ungefähr 1310 bis 1320, der Westteil des Langhauses 1412 bis 1420, der Chor 1440 bis 1468 erbaut worden."
Dieser Darstellung haben wir nur noch einige Nachrichten über den Baumeister Stephan Buxtehude hinzuzufügen. In einem Briefe an den Rat und die Kirchenvorsteher der Stadt Zerbst, in welchem er sich für etwaige Bauten an der dortigen Kirche und an der Befestigung empfiehlt, schreibt er wörtlich: „Also ich doch in der Altmark zu Stendal, zu Angermünde, zu Werben Türme und Kirchen gewölbt und gemauert habe, in der Neumark zu Brandenburg in beiden Städten, in Berlin Unser-Lieben-Frauen-Turm, die Sankt Nikolai-Kirche zu Brandenburg, auf der Burg das Tor gemauert und gewölbt habe, das noch alle Tage sichtbar vor Augen steht." Meister Buxtehude stammte vielleicht aus einer Salzwedeler Familie dieses Namens.[29]